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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

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sah, wenn sie die Ebb' und Fluth des Herzens mir behorcht' und sorgsam trübe Stunden ahnete, indess mein Geist zu unenthaltsam, zu verschwenderisch im üppigen Gespräche sich verzehrte, wenn das liebe Wesen, treuer, wie ein Spiegel, jeden Wechsel meiner Wange mir verrieth, und oft in freundlichen Bekümmernissen über mein unstet Wesen mich ermahnt, und strafte, wie ein theures Kind -

Ach! da du einst, Unschuldige, an den Fingern die Treppen zähltest, von unsrem Berge herab zu deinem Hause, da du deine Spaziergänge mir wiesest, die Pläze, wo du sonst gesessen, und mir erzähltest, wie die Zeit dir da vergangen, und mir am Ende sagtest, es sey dir jezt, als wär' ich auch von jeher dagewesen -

Gehörten wir da nicht längst uns an?

Hyperion an Bellarmin.

Ich baue meinem Herzen ein Grab, damit es ruhen möge; ich spinne mich ein, weil überall es Winter ist; in seeligen Erinnerungen hüll' ich vor dem Sturme mich ein.

Wir sassen einst mit Notara - so hiess der Freund, bei dem ich lebte - und einigen andern, die auch, wie wir, zu den Sonderlin-

sah, wenn sie die Ebb’ und Fluth des Herzens mir behorcht’ und sorgsam trübe Stunden ahnete, indess mein Geist zu unenthaltsam, zu verschwenderisch im üppigen Gespräche sich verzehrte, wenn das liebe Wesen, treuer, wie ein Spiegel, jeden Wechsel meiner Wange mir verrieth, und oft in freundlichen Bekümmernissen über mein unstet Wesen mich ermahnt, und strafte, wie ein theures Kind –

Ach! da du einst, Unschuldige, an den Fingern die Treppen zähltest, von unsrem Berge herab zu deinem Hause, da du deine Spaziergänge mir wiesest, die Pläze, wo du sonst gesessen, und mir erzähltest, wie die Zeit dir da vergangen, und mir am Ende sagtest, es sey dir jezt, als wär’ ich auch von jeher dagewesen –

Gehörten wir da nicht längst uns an?

Hyperion an Bellarmin.

Ich baue meinem Herzen ein Grab, damit es ruhen möge; ich spinne mich ein, weil überall es Winter ist; in seeligen Erinnerungen hüll’ ich vor dem Sturme mich ein.

Wir sassen einst mit Notara – so hiess der Freund, bei dem ich lebte – und einigen andern, die auch, wie wir, zu den Sonderlin-

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[0116] sah, wenn sie die Ebb’ und Fluth des Herzens mir behorcht’ und sorgsam trübe Stunden ahnete, indess mein Geist zu unenthaltsam, zu verschwenderisch im üppigen Gespräche sich verzehrte, wenn das liebe Wesen, treuer, wie ein Spiegel, jeden Wechsel meiner Wange mir verrieth, und oft in freundlichen Bekümmernissen über mein unstet Wesen mich ermahnt, und strafte, wie ein theures Kind – Ach! da du einst, Unschuldige, an den Fingern die Treppen zähltest, von unsrem Berge herab zu deinem Hause, da du deine Spaziergänge mir wiesest, die Pläze, wo du sonst gesessen, und mir erzähltest, wie die Zeit dir da vergangen, und mir am Ende sagtest, es sey dir jezt, als wär’ ich auch von jeher dagewesen – Gehörten wir da nicht längst uns an? Hyperion an Bellarmin. Ich baue meinem Herzen ein Grab, damit es ruhen möge; ich spinne mich ein, weil überall es Winter ist; in seeligen Erinnerungen hüll’ ich vor dem Sturme mich ein. Wir sassen einst mit Notara – so hiess der Freund, bei dem ich lebte – und einigen andern, die auch, wie wir, zu den Sonderlin-

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/116>, abgerufen am 26.04.2024.