Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Der Zeitgeist. Zu lang schon waltest über dem Haupte mir Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit! Zu wild, zu bang ist's ringsum, und es Trümmert und wankt ja, wohin ich blicke. Ach! wie ein Knabe seh' ich zu Boden oft, Such' in der Höhle Rettung vor Dir, und möcht,' Ich Blöder, eine Stelle finden, Alleserschütt'rer! wo Du nicht wärest. Lass' endlich, Vater! offenen Aug's mich Dir Begegnen! hast denn Du nicht zuerst den Geist Mit Deinem Stral aus mir geweckt? mich Herrlich an's Leben gebracht, o Vater! Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft; In milder Luft begegnet den Sterblichen, Und wenn sie still im Haine wandeln, Heiternd ein Gott; doch allmächt'ger weckst Du Die reine Seele Jünglingen auf, und lehrst Die Alten weise Künste; der Schlimme nur Wird schlimmer, daß er bälder ende, Wenn Du, Erschütterer! ihn ergreifest. Der Zeitgeiſt. Zu lang ſchon walteſt uͤber dem Haupte mir Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit! Zu wild, zu bang iſt's ringsum, und es Truͤmmert und wankt ja, wohin ich blicke. Ach! wie ein Knabe ſeh' ich zu Boden oft, Such' in der Hoͤhle Rettung vor Dir, und moͤcht,' Ich Bloͤder, eine Stelle finden, Alleserſchuͤtt'rer! wo Du nicht waͤreſt. Laſſ' endlich, Vater! offenen Aug's mich Dir Begegnen! haſt denn Du nicht zuerſt den Geiſt Mit Deinem Stral aus mir geweckt? mich Herrlich an's Leben gebracht, o Vater! Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft; In milder Luft begegnet den Sterblichen, Und wenn ſie ſtill im Haine wandeln, Heiternd ein Gott; doch allmaͤcht'ger weckſt Du Die reine Seele Juͤnglingen auf, und lehrſt Die Alten weiſe Kuͤnſte; der Schlimme nur Wird ſchlimmer, daß er baͤlder ende, Wenn Du, Erſchuͤtterer! ihn ergreifeſt. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0052" n="44"/> <div n="1"> <head><hi rendition="#g">Der Zeitgeiſt</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Zu lang ſchon walteſt uͤber dem Haupte mir</l><lb/> <l>Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit!</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Zu wild, zu bang iſt's ringsum, und es</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Truͤmmert und wankt ja, wohin ich blicke.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ach! wie ein Knabe ſeh' ich zu Boden oft,</l><lb/> <l>Such' in der Hoͤhle Rettung vor Dir, und moͤcht,'</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Ich Bloͤder, eine Stelle finden,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Alleserſchuͤtt'rer! wo Du nicht waͤreſt.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Laſſ' endlich, Vater! offenen Aug's mich Dir</l><lb/> <l>Begegnen! haſt denn Du nicht zuerſt den Geiſt</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Mit Deinem Stral aus mir geweckt? mich</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Herrlich an's Leben gebracht, o Vater!</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft;</l><lb/> <l>In milder Luft begegnet den Sterblichen,</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Und wenn ſie ſtill im Haine wandeln,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Heiternd ein Gott; doch allmaͤcht'ger weckſt Du</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Die reine Seele Juͤnglingen auf, und lehrſt</l><lb/> <l>Die Alten weiſe Kuͤnſte; der Schlimme nur</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Wird ſchlimmer, daß er baͤlder ende,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Wenn Du, Erſchuͤtterer! ihn ergreifeſt.</hi> </l> </lg><lb/> <l/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </body> </text> </TEI> [44/0052]
Der Zeitgeiſt.
Zu lang ſchon walteſt uͤber dem Haupte mir
Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit!
Zu wild, zu bang iſt's ringsum, und es
Truͤmmert und wankt ja, wohin ich blicke.
Ach! wie ein Knabe ſeh' ich zu Boden oft,
Such' in der Hoͤhle Rettung vor Dir, und moͤcht,'
Ich Bloͤder, eine Stelle finden,
Alleserſchuͤtt'rer! wo Du nicht waͤreſt.
Laſſ' endlich, Vater! offenen Aug's mich Dir
Begegnen! haſt denn Du nicht zuerſt den Geiſt
Mit Deinem Stral aus mir geweckt? mich
Herrlich an's Leben gebracht, o Vater!
Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft;
In milder Luft begegnet den Sterblichen,
Und wenn ſie ſtill im Haine wandeln,
Heiternd ein Gott; doch allmaͤcht'ger weckſt Du
Die reine Seele Juͤnglingen auf, und lehrſt
Die Alten weiſe Kuͤnſte; der Schlimme nur
Wird ſchlimmer, daß er baͤlder ende,
Wenn Du, Erſchuͤtterer! ihn ergreifeſt.
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/52>, abgerufen am 23.02.2025. |