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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Fünfter Abschnitt. Gärten oder Scenen

Er ruhet am Ende eines Parks, wo ihn der Ankommende erst erblickt, wenn er ihm
nahe ist. Zu dem offenen Porticus gelangt man aus dem hinter ihm gelegenen Ge-
sellschaftszimmer, von außen aber gar nicht. Zwo zu beyden Seiten abwärts ge-
hende breite Treppen führen in einen hinter dem Gebäude im Thal liegenden Platz,
der mit Blumen und Orangeriebäumen besetzt ist. Der Unbekannte gelangt in die-
sen und wieder zurück, ohne in das Gebäude selbst zu kommen; der Freund aber kennt
eine zur Rechten gelegene, verborgene, bequeme Treppe, und diese führt ihn in ein klei-
nes Apartement, das aus einem Vorzimmer, einem Saal, und zweyen einander
folgenden Kabinetten besteht. Das letztere von diesen liegt an den zum Bade be-
stimmten Gemächern. Das zweyte Stockwerk enthält die zur Erwärmung des Bad-
wassers und andern Bequemlichkeiten erforderlichen Behältnisse.



Die Nacht, welche die Natur zur Ruhe aller Geschöpfe bestimmte, scheint
zwar von dem Vorrecht der Tageszeiten, einen ihnen gewidmeten Garten zu haben,
ausgeschlossen zu seyn. Wie gern entziehen wir indessen nicht zuweilen dem Schlafe
einige Stunden der Sommernacht, um uns an ihren sanften Annehmlichkeiten zu la-
ben! Und mit wie vielem Rechte beschäftigt nicht der Weise, während dieser heiligen
Feyer der Natur, seinen Geist mit der Betrachtung der Welten, die über seinem
Haupte leuchten!

Für das Auge sind die blühenden Schönheiten der Erde verschwunden. Aber
der dunstfreye Himmel zeigt, wenn der Mond in feyerlicher Pracht an ihm herauf-
steigt, ein Schauspiel, das die Erde wieder mit einem neuen Reize verschönert. Ein
breites schweigendes Gewässer, oder ein See, worinn das Licht der Nacht in sanftem
Abglanz zerfließt; murmelnde Bäche oder kleine Wassergüsse mit mäßigem Geräusch
und regelmäßigem Fall; Gruppen, Hayne und Wälder, worinn der stille Silber-
schimmer umher schleicht, und sich in tausend erheiterte Stellen zerstreut; ein ruhiges
Thal, von erfrischten Kräutern, oder gemähetem Klee duftend; Pflanzungen von wohl-
riechenden Blumen und Sträuchern -- alles dies scheint zum wollüstigen Genuß ei-
ner schönen Sommernacht zu gehören. In einer Gegend, mit diesen Annehmlichkeiten
bereichert, ist ein Schlafkabinet nicht blos eine schickliche Verzierung der Scene, son-
dern es kann auch zum anmuthigen Gebrauch eingerichtet werden, wie schon an ei-
nem andern Ort gezeiget ist. *) Seine Bestimmung kann durch die Form, durch

die
*) S. 3ten B. S. 37.
Fuͤnfter Abſchnitt. Gaͤrten oder Scenen

Er ruhet am Ende eines Parks, wo ihn der Ankommende erſt erblickt, wenn er ihm
nahe iſt. Zu dem offenen Porticus gelangt man aus dem hinter ihm gelegenen Ge-
ſellſchaftszimmer, von außen aber gar nicht. Zwo zu beyden Seiten abwaͤrts ge-
hende breite Treppen fuͤhren in einen hinter dem Gebaͤude im Thal liegenden Platz,
der mit Blumen und Orangeriebaͤumen beſetzt iſt. Der Unbekannte gelangt in die-
ſen und wieder zuruͤck, ohne in das Gebaͤude ſelbſt zu kommen; der Freund aber kennt
eine zur Rechten gelegene, verborgene, bequeme Treppe, und dieſe fuͤhrt ihn in ein klei-
nes Apartement, das aus einem Vorzimmer, einem Saal, und zweyen einander
folgenden Kabinetten beſteht. Das letztere von dieſen liegt an den zum Bade be-
ſtimmten Gemaͤchern. Das zweyte Stockwerk enthaͤlt die zur Erwaͤrmung des Bad-
waſſers und andern Bequemlichkeiten erforderlichen Behaͤltniſſe.



Die Nacht, welche die Natur zur Ruhe aller Geſchoͤpfe beſtimmte, ſcheint
zwar von dem Vorrecht der Tageszeiten, einen ihnen gewidmeten Garten zu haben,
ausgeſchloſſen zu ſeyn. Wie gern entziehen wir indeſſen nicht zuweilen dem Schlafe
einige Stunden der Sommernacht, um uns an ihren ſanften Annehmlichkeiten zu la-
ben! Und mit wie vielem Rechte beſchaͤftigt nicht der Weiſe, waͤhrend dieſer heiligen
Feyer der Natur, ſeinen Geiſt mit der Betrachtung der Welten, die uͤber ſeinem
Haupte leuchten!

Fuͤr das Auge ſind die bluͤhenden Schoͤnheiten der Erde verſchwunden. Aber
der dunſtfreye Himmel zeigt, wenn der Mond in feyerlicher Pracht an ihm herauf-
ſteigt, ein Schauſpiel, das die Erde wieder mit einem neuen Reize verſchoͤnert. Ein
breites ſchweigendes Gewaͤſſer, oder ein See, worinn das Licht der Nacht in ſanftem
Abglanz zerfließt; murmelnde Baͤche oder kleine Waſſerguͤſſe mit maͤßigem Geraͤuſch
und regelmaͤßigem Fall; Gruppen, Hayne und Waͤlder, worinn der ſtille Silber-
ſchimmer umher ſchleicht, und ſich in tauſend erheiterte Stellen zerſtreut; ein ruhiges
Thal, von erfriſchten Kraͤutern, oder gemaͤhetem Klee duftend; Pflanzungen von wohl-
riechenden Blumen und Straͤuchern — alles dies ſcheint zum wolluͤſtigen Genuß ei-
ner ſchoͤnen Sommernacht zu gehoͤren. In einer Gegend, mit dieſen Annehmlichkeiten
bereichert, iſt ein Schlafkabinet nicht blos eine ſchickliche Verzierung der Scene, ſon-
dern es kann auch zum anmuthigen Gebrauch eingerichtet werden, wie ſchon an ei-
nem andern Ort gezeiget iſt. *) Seine Beſtimmung kann durch die Form, durch

die
*) S. 3ten B. S. 37.
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[22/0030] Fuͤnfter Abſchnitt. Gaͤrten oder Scenen Er ruhet am Ende eines Parks, wo ihn der Ankommende erſt erblickt, wenn er ihm nahe iſt. Zu dem offenen Porticus gelangt man aus dem hinter ihm gelegenen Ge- ſellſchaftszimmer, von außen aber gar nicht. Zwo zu beyden Seiten abwaͤrts ge- hende breite Treppen fuͤhren in einen hinter dem Gebaͤude im Thal liegenden Platz, der mit Blumen und Orangeriebaͤumen beſetzt iſt. Der Unbekannte gelangt in die- ſen und wieder zuruͤck, ohne in das Gebaͤude ſelbſt zu kommen; der Freund aber kennt eine zur Rechten gelegene, verborgene, bequeme Treppe, und dieſe fuͤhrt ihn in ein klei- nes Apartement, das aus einem Vorzimmer, einem Saal, und zweyen einander folgenden Kabinetten beſteht. Das letztere von dieſen liegt an den zum Bade be- ſtimmten Gemaͤchern. Das zweyte Stockwerk enthaͤlt die zur Erwaͤrmung des Bad- waſſers und andern Bequemlichkeiten erforderlichen Behaͤltniſſe. Die Nacht, welche die Natur zur Ruhe aller Geſchoͤpfe beſtimmte, ſcheint zwar von dem Vorrecht der Tageszeiten, einen ihnen gewidmeten Garten zu haben, ausgeſchloſſen zu ſeyn. Wie gern entziehen wir indeſſen nicht zuweilen dem Schlafe einige Stunden der Sommernacht, um uns an ihren ſanften Annehmlichkeiten zu la- ben! Und mit wie vielem Rechte beſchaͤftigt nicht der Weiſe, waͤhrend dieſer heiligen Feyer der Natur, ſeinen Geiſt mit der Betrachtung der Welten, die uͤber ſeinem Haupte leuchten! Fuͤr das Auge ſind die bluͤhenden Schoͤnheiten der Erde verſchwunden. Aber der dunſtfreye Himmel zeigt, wenn der Mond in feyerlicher Pracht an ihm herauf- ſteigt, ein Schauſpiel, das die Erde wieder mit einem neuen Reize verſchoͤnert. Ein breites ſchweigendes Gewaͤſſer, oder ein See, worinn das Licht der Nacht in ſanftem Abglanz zerfließt; murmelnde Baͤche oder kleine Waſſerguͤſſe mit maͤßigem Geraͤuſch und regelmaͤßigem Fall; Gruppen, Hayne und Waͤlder, worinn der ſtille Silber- ſchimmer umher ſchleicht, und ſich in tauſend erheiterte Stellen zerſtreut; ein ruhiges Thal, von erfriſchten Kraͤutern, oder gemaͤhetem Klee duftend; Pflanzungen von wohl- riechenden Blumen und Straͤuchern — alles dies ſcheint zum wolluͤſtigen Genuß ei- ner ſchoͤnen Sommernacht zu gehoͤren. In einer Gegend, mit dieſen Annehmlichkeiten bereichert, iſt ein Schlafkabinet nicht blos eine ſchickliche Verzierung der Scene, ſon- dern es kann auch zum anmuthigen Gebrauch eingerichtet werden, wie ſchon an ei- nem andern Ort gezeiget iſt. *) Seine Beſtimmung kann durch die Form, durch die *) S. 3ten B. S. 37.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/30>, abgerufen am 26.04.2024.