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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Sechster Abschnitt. Gärten


Sechster Abschnitt.
Gärten nach dem verschiedenen Charakter ihrer Besitzer.
I.
Königliche und fürstliche Gärten; Parks der ersten Größe oder
in einem prächtigen Styl.

Bey allen Nationen unterscheiden sich die Könige und Fürsten des Volks, auch
durch die Art ihrer Wohnung, von ihren Unterthanen und von den übrigen
Stämmen. Selbst der Anführer einer wilden Horde wohnet in einem größern Zelt
oder in einer höher gelegenen Hütte. Es geschah nicht blos aus einem Gefühl der
Verehrung, daß rohe Völker ihren Fürsten den Vorzug einer edlern Wohnung ga-
ben; auch die Begriffe von Schicklichkeit und Würde, die sich in gesellschaftlichen
Verbindungen so früh entwickeln, forderten ihn. Und auf die Wahrheit dieser Be-
griffe haben alle aufgeklärte Architekturlehrer das Gesetz gegründet, daß ein Fürst an-
ders, als sein Unterthan, wohnen, und daß Würde, Pracht und Größe sein Schloß
von der Einfalt und Bescheidenheit eines Privathauses unterscheiden müsse.

Eben dieser Unterschied der Wohnung breitet sich mit Recht auch über die Gär-
ten aus. Sie dürfen dem Charakter ihrer Besitzer folgen, und sind nicht weniger,
als die Gebäude, *) den allgemeinen Regeln der Schicklichkeit unterworfen. Man
sucht in dem Park eines Lustschlosses doch etwas anders zu sehen, als in dem Gar-
ten einer Privatwohnung.

Durch Größe und Pracht müssen sich die Gärten der Könige und Fürsten aus-
zeichnen. Man schien die Wahrheit dieser Forderung schon ehemals zu empfinden;
allein man suchte ihre Befriedigung, wo sie nicht ganz zu finden war. Man über-
häufte die Gärten der Fürsten mit einer größern Menge von Wasserkünsten, von Sta-
tuen, Büsten, Vasen, Triumphbögen, Obelisken und andern Prachtwerken der
Kunst. Man vergaß aber, daß Pracht und Größe auch in der Natur und vor allen
in ihr zu suchen sind.

Diesen Gesichtspunkt scheint selbst ein vortrefflicher Dichter in einem Lehrge-
dichte von classischem Werth **) übersehen zu haben. Indem er die verschiedene

Manier
*) S. 3ten Band S. 16-17.
**) Les Jardins. Poeme par M. l'Abbe Delille. Paris 1782. Cant. 1. p. 8.
Sechster Abſchnitt. Gaͤrten


Sechster Abſchnitt.
Gaͤrten nach dem verſchiedenen Charakter ihrer Beſitzer.
I.
Koͤnigliche und fuͤrſtliche Gaͤrten; Parks der erſten Groͤße oder
in einem praͤchtigen Styl.

Bey allen Nationen unterſcheiden ſich die Koͤnige und Fuͤrſten des Volks, auch
durch die Art ihrer Wohnung, von ihren Unterthanen und von den uͤbrigen
Staͤmmen. Selbſt der Anfuͤhrer einer wilden Horde wohnet in einem groͤßern Zelt
oder in einer hoͤher gelegenen Huͤtte. Es geſchah nicht blos aus einem Gefuͤhl der
Verehrung, daß rohe Voͤlker ihren Fuͤrſten den Vorzug einer edlern Wohnung ga-
ben; auch die Begriffe von Schicklichkeit und Wuͤrde, die ſich in geſellſchaftlichen
Verbindungen ſo fruͤh entwickeln, forderten ihn. Und auf die Wahrheit dieſer Be-
griffe haben alle aufgeklaͤrte Architekturlehrer das Geſetz gegruͤndet, daß ein Fuͤrſt an-
ders, als ſein Unterthan, wohnen, und daß Wuͤrde, Pracht und Groͤße ſein Schloß
von der Einfalt und Beſcheidenheit eines Privathauſes unterſcheiden muͤſſe.

Eben dieſer Unterſchied der Wohnung breitet ſich mit Recht auch uͤber die Gaͤr-
ten aus. Sie duͤrfen dem Charakter ihrer Beſitzer folgen, und ſind nicht weniger,
als die Gebaͤude, *) den allgemeinen Regeln der Schicklichkeit unterworfen. Man
ſucht in dem Park eines Luſtſchloſſes doch etwas anders zu ſehen, als in dem Gar-
ten einer Privatwohnung.

Durch Groͤße und Pracht muͤſſen ſich die Gaͤrten der Koͤnige und Fuͤrſten aus-
zeichnen. Man ſchien die Wahrheit dieſer Forderung ſchon ehemals zu empfinden;
allein man ſuchte ihre Befriedigung, wo ſie nicht ganz zu finden war. Man uͤber-
haͤufte die Gaͤrten der Fuͤrſten mit einer groͤßern Menge von Waſſerkuͤnſten, von Sta-
tuen, Buͤſten, Vaſen, Triumphboͤgen, Obelisken und andern Prachtwerken der
Kunſt. Man vergaß aber, daß Pracht und Groͤße auch in der Natur und vor allen
in ihr zu ſuchen ſind.

Dieſen Geſichtspunkt ſcheint ſelbſt ein vortrefflicher Dichter in einem Lehrge-
dichte von claſſiſchem Werth **) uͤberſehen zu haben. Indem er die verſchiedene

Manier
*) S. 3ten Band S. 16-17.
**) Les Jardins. Poeme par M. l’Abbé Delille. Paris 1782. Cant. 1. p. 8.
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[26/0034] Sechster Abſchnitt. Gaͤrten Sechster Abſchnitt. Gaͤrten nach dem verſchiedenen Charakter ihrer Beſitzer. I. Koͤnigliche und fuͤrſtliche Gaͤrten; Parks der erſten Groͤße oder in einem praͤchtigen Styl. Bey allen Nationen unterſcheiden ſich die Koͤnige und Fuͤrſten des Volks, auch durch die Art ihrer Wohnung, von ihren Unterthanen und von den uͤbrigen Staͤmmen. Selbſt der Anfuͤhrer einer wilden Horde wohnet in einem groͤßern Zelt oder in einer hoͤher gelegenen Huͤtte. Es geſchah nicht blos aus einem Gefuͤhl der Verehrung, daß rohe Voͤlker ihren Fuͤrſten den Vorzug einer edlern Wohnung ga- ben; auch die Begriffe von Schicklichkeit und Wuͤrde, die ſich in geſellſchaftlichen Verbindungen ſo fruͤh entwickeln, forderten ihn. Und auf die Wahrheit dieſer Be- griffe haben alle aufgeklaͤrte Architekturlehrer das Geſetz gegruͤndet, daß ein Fuͤrſt an- ders, als ſein Unterthan, wohnen, und daß Wuͤrde, Pracht und Groͤße ſein Schloß von der Einfalt und Beſcheidenheit eines Privathauſes unterſcheiden muͤſſe. Eben dieſer Unterſchied der Wohnung breitet ſich mit Recht auch uͤber die Gaͤr- ten aus. Sie duͤrfen dem Charakter ihrer Beſitzer folgen, und ſind nicht weniger, als die Gebaͤude, *) den allgemeinen Regeln der Schicklichkeit unterworfen. Man ſucht in dem Park eines Luſtſchloſſes doch etwas anders zu ſehen, als in dem Gar- ten einer Privatwohnung. Durch Groͤße und Pracht muͤſſen ſich die Gaͤrten der Koͤnige und Fuͤrſten aus- zeichnen. Man ſchien die Wahrheit dieſer Forderung ſchon ehemals zu empfinden; allein man ſuchte ihre Befriedigung, wo ſie nicht ganz zu finden war. Man uͤber- haͤufte die Gaͤrten der Fuͤrſten mit einer groͤßern Menge von Waſſerkuͤnſten, von Sta- tuen, Buͤſten, Vaſen, Triumphboͤgen, Obelisken und andern Prachtwerken der Kunſt. Man vergaß aber, daß Pracht und Groͤße auch in der Natur und vor allen in ihr zu ſuchen ſind. Dieſen Geſichtspunkt ſcheint ſelbſt ein vortrefflicher Dichter in einem Lehrge- dichte von claſſiſchem Werth **) uͤberſehen zu haben. Indem er die verſchiedene Manier *) S. 3ten Band S. 16-17. **) Les Jardins. Poeme par M. l’Abbé Delille. Paris 1782. Cant. 1. p. 8.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/34>, abgerufen am 21.11.2024.