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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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nach, das sich rechts die Höhe hinauf gewandt hatte,
die Hand über die Augen haltend gegen die scharfe
Sonne. Eh sich der Weg oben zwischen Mauern
zurückzieht, stand sie einen Augenblick still, wie um
Athem zu schöpfen, und sah um. Die Marine lag
zu ihren Füßen, ringsum thürmte sich der schroffe
Fels, das Meer blaute in seltener Pracht -- es war
wohl ein Anblick des Stehenbleibens werth. Der
Zufall fügte es, daß ihr Blick, bei Antonino's Barke
vorübereilend, sich mit jenem Blick begegnete, den
Antonino ihr nachgeschickt hatte. Sie machten beide
eine Bewegung, wie Leute, die sich entschuldigen wol¬
len, es sei etwas nur aus Versehen geschehn, worauf
das Mädchen mit finsterm Munde ihren Weg fortsetzte.


Es war erst eine Stunde nach Mittag, und schon
saß Antonino zwei Stunden lang auf einer Bank
vor der Fischerschenke. Es mußte ihm was durch
den Sinn gehn, denn alle fünf Minuten sprang er
auf, trat in die Sonne hinaus und überblickte sorg¬
fältig die Wege, die links und rechts nach den zwei
Inselstädtchen führen. Das Wetter sei ihm bedenk¬
lich, sagte er dann zu der Wirthin der Osterie. Es
sei wohl klar, aber er kenne diese Farbe des Himmels
und Meers. Gerade so hab' es ausgesehn, eh der
letzte große Sturm war, wo er die englische Familie

nach, das ſich rechts die Höhe hinauf gewandt hatte,
die Hand über die Augen haltend gegen die ſcharfe
Sonne. Eh ſich der Weg oben zwiſchen Mauern
zurückzieht, ſtand ſie einen Augenblick ſtill, wie um
Athem zu ſchöpfen, und ſah um. Die Marine lag
zu ihren Füßen, ringsum thürmte ſich der ſchroffe
Fels, das Meer blaute in ſeltener Pracht — es war
wohl ein Anblick des Stehenbleibens werth. Der
Zufall fügte es, daß ihr Blick, bei Antonino's Barke
vorübereilend, ſich mit jenem Blick begegnete, den
Antonino ihr nachgeſchickt hatte. Sie machten beide
eine Bewegung, wie Leute, die ſich entſchuldigen wol¬
len, es ſei etwas nur aus Verſehen geſchehn, worauf
das Mädchen mit finſterm Munde ihren Weg fortſetzte.


Es war erſt eine Stunde nach Mittag, und ſchon
ſaß Antonino zwei Stunden lang auf einer Bank
vor der Fiſcherſchenke. Es mußte ihm was durch
den Sinn gehn, denn alle fünf Minuten ſprang er
auf, trat in die Sonne hinaus und überblickte ſorg¬
fältig die Wege, die links und rechts nach den zwei
Inſelſtädtchen führen. Das Wetter ſei ihm bedenk¬
lich, ſagte er dann zu der Wirthin der Oſterie. Es
ſei wohl klar, aber er kenne dieſe Farbe des Himmels
und Meers. Gerade ſo hab' es ausgeſehn, eh der
letzte große Sturm war, wo er die engliſche Familie

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[104/0116] nach, das ſich rechts die Höhe hinauf gewandt hatte, die Hand über die Augen haltend gegen die ſcharfe Sonne. Eh ſich der Weg oben zwiſchen Mauern zurückzieht, ſtand ſie einen Augenblick ſtill, wie um Athem zu ſchöpfen, und ſah um. Die Marine lag zu ihren Füßen, ringsum thürmte ſich der ſchroffe Fels, das Meer blaute in ſeltener Pracht — es war wohl ein Anblick des Stehenbleibens werth. Der Zufall fügte es, daß ihr Blick, bei Antonino's Barke vorübereilend, ſich mit jenem Blick begegnete, den Antonino ihr nachgeſchickt hatte. Sie machten beide eine Bewegung, wie Leute, die ſich entſchuldigen wol¬ len, es ſei etwas nur aus Verſehen geſchehn, worauf das Mädchen mit finſterm Munde ihren Weg fortſetzte. Es war erſt eine Stunde nach Mittag, und ſchon ſaß Antonino zwei Stunden lang auf einer Bank vor der Fiſcherſchenke. Es mußte ihm was durch den Sinn gehn, denn alle fünf Minuten ſprang er auf, trat in die Sonne hinaus und überblickte ſorg¬ fältig die Wege, die links und rechts nach den zwei Inſelſtädtchen führen. Das Wetter ſei ihm bedenk¬ lich, ſagte er dann zu der Wirthin der Oſterie. Es ſei wohl klar, aber er kenne dieſe Farbe des Himmels und Meers. Gerade ſo hab' es ausgeſehn, eh der letzte große Sturm war, wo er die engliſche Familie

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/116>, abgerufen am 26.04.2024.