Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.Erstes Capitel. Am offnen Fenster, das auf den kleinen Blumen¬ Tiefer im Zimmer saß ein blinder Knabe auf einem Plötzlich brach er ab, mitten in einem geistlichen "Du hast geseufzt, Marlene?" fragte er mit um¬ 1 *
Erſtes Capitel. Am offnen Fenſter, das auf den kleinen Blumen¬ Tiefer im Zimmer ſaß ein blinder Knabe auf einem Plötzlich brach er ab, mitten in einem geiſtlichen „Du haſt geſeufzt, Marlene?“ fragte er mit um¬ 1 *
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Erſtes Capitel.
Am offnen Fenſter, das auf den kleinen Blumen¬
garten hinausging, ſtand die blinde Tochter des Dorf¬
küſters und erquickte ſich am Winde, der über ihr
heißes Geſicht flog. Die zarte, halbwüchſige Geſtalt
zitterte, die kalten Händchen lagen in einander auf dem
Fenſterſims. Die Sonne war ſchon hinab und die
Nachtblumen fingen an zu duften.
Tiefer im Zimmer ſaß ein blinder Knabe auf einem
Schemelchen an dem alten Spinett und ſpielte un¬
ruhige Melodieen. Er mochte fünfzehn Jahre alt ſein
und nur etwa um ein Jahr älter als das Mädchen.
Wer ihn gehört und geſehen hätte, wie er die großen
offnen Augen bald emporwandte, bald das Haupt nach
dem Fenſter neigte, hätte ſein Gebrechen wohl nicht
geahnt. So viel Sicherheit, ja Ungeſtüm lag in ſei¬
nen Bewegungen.
Plötzlich brach er ab, mitten in einem geiſtlichen
Liede, das er nach eignem Sinne verwildert zu haben
ſchien.
„Du haſt geſeufzt, Marlene?“ fragte er mit um¬
gewandtem Geſicht.
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