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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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Was das für einen gewaltigen Einfluß auf das
Verständniß ihrer Sprache hat, ist hier nicht der
Ort zu sagen; daß dies Wehende aber den Ursprung
ihrer Sprache verrathe, ist offenbar. Was ist
unschreibbarer, als die unartikulirten Töne der
Natur? Und wenn die Sprache, je näher ihrem
Ursprunge desto unartikulirter ist -- was folgt,
als daß sie wohl nicht von einem höhern Wesen
für die vier und zwanzig Buchstaben, und
diese Buchstaben gleich mit der Sprache erfun-
den, daß diese ein weit späterer nur unvoll-
kommener Versuch gewesen, sich einige Merkstäbe
der Erinnerung zu setzen, und daß jene nicht aus
Buchstaben der Grammatik Gottes, sondern aus
wilden Tönen freier Organe entstanden sey *).
Es wäre doch sonst artig, daß eben die Buchstaben,
aus denen und für die Gott die Sprache erfunden,
mit Hülfe derer er den ersten Menschen die Spra-
che beigebracht, eben die allerunvollkommensten

in
*) Die beste Schrift für diese noch zum Theil unausgear-
beitete Materie ist Wachteri naturae & scripturae concor-
dia, Hafn.
1752. die sich von den Kircherschen und so
viel andern Träumen, wie Alterthumsgeschichte von
Märchen unterscheidet.

Was das fuͤr einen gewaltigen Einfluß auf das
Verſtaͤndniß ihrer Sprache hat, iſt hier nicht der
Ort zu ſagen; daß dies Wehende aber den Urſprung
ihrer Sprache verrathe, iſt offenbar. Was iſt
unſchreibbarer, als die unartikulirten Toͤne der
Natur? Und wenn die Sprache, je naͤher ihrem
Urſprunge deſto unartikulirter iſt — was folgt,
als daß ſie wohl nicht von einem hoͤhern Weſen
fuͤr die vier und zwanzig Buchſtaben, und
dieſe Buchſtaben gleich mit der Sprache erfun-
den, daß dieſe ein weit ſpaͤterer nur unvoll-
kommener Verſuch geweſen, ſich einige Merkſtaͤbe
der Erinnerung zu ſetzen, und daß jene nicht aus
Buchſtaben der Grammatik Gottes, ſondern aus
wilden Toͤnen freier Organe entſtanden ſey *).
Es waͤre doch ſonſt artig, daß eben die Buchſtaben,
aus denen und fuͤr die Gott die Sprache erfunden,
mit Huͤlfe derer er den erſten Menſchen die Spra-
che beigebracht, eben die allerunvollkommenſten

in
*) Die beſte Schrift fuͤr dieſe noch zum Theil unausgear-
beitete Materie iſt Wachteri naturae & ſcripturae concor-
dia, Hafn.
1752. die ſich von den Kircherſchen und ſo
viel andern Träumen, wie Alterthumsgeſchichte von
Märchen unterſcheidet.
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[18/0024] Was das fuͤr einen gewaltigen Einfluß auf das Verſtaͤndniß ihrer Sprache hat, iſt hier nicht der Ort zu ſagen; daß dies Wehende aber den Urſprung ihrer Sprache verrathe, iſt offenbar. Was iſt unſchreibbarer, als die unartikulirten Toͤne der Natur? Und wenn die Sprache, je naͤher ihrem Urſprunge deſto unartikulirter iſt — was folgt, als daß ſie wohl nicht von einem hoͤhern Weſen fuͤr die vier und zwanzig Buchſtaben, und dieſe Buchſtaben gleich mit der Sprache erfun- den, daß dieſe ein weit ſpaͤterer nur unvoll- kommener Verſuch geweſen, ſich einige Merkſtaͤbe der Erinnerung zu ſetzen, und daß jene nicht aus Buchſtaben der Grammatik Gottes, ſondern aus wilden Toͤnen freier Organe entſtanden ſey *). Es waͤre doch ſonſt artig, daß eben die Buchſtaben, aus denen und fuͤr die Gott die Sprache erfunden, mit Huͤlfe derer er den erſten Menſchen die Spra- che beigebracht, eben die allerunvollkommenſten in *) Die beſte Schrift fuͤr dieſe noch zum Theil unausgear- beitete Materie iſt Wachteri naturae & ſcripturae concor- dia, Hafn. 1752. die ſich von den Kircherſchen und ſo viel andern Träumen, wie Alterthumsgeſchichte von Märchen unterſcheidet.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/24>, abgerufen am 26.04.2024.