Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite
Also zur Sache. Wie hat der Mensch, seinen
Kräften überlassen, sich auch
II. eine Sprache, wo ihm kein Ton
vortönte,
erfinden können? Wie hängt Gesicht und
Gehör, Farbe und Wort, Duft und Ton
zusammen?
Nicht unter sich in den Gegenständen; aber
was sind denn diese Eigenschaften in den Ge-
genständen? Sie sind blos sinnliche Em-
pfindungen in uns, und als solche fließen sie
nicht Alle in Eins? Wir sind Ein denkendes
sensorium commune, nur von verschiednen
Seiten berührt -- Da liegt die Erklärung.

Allen Sinnen liegt Gefühl zum Grunde, und
dies gibt den verschiedenartigsten Sensationen schon
ein so inniges, starkes, unaussprechliches Band,
daß aus dieser Verbindung die sonderbarsten Er-
scheinungen entstehen. Mir ist mehr als Ein
Beispiel bekannt, da Personen natürlich, vielleicht
aus einem Eindruck der Kindheit nicht anders
konnten, als unmittelbar durch eine schnelle An-

wande-
Alſo zur Sache. Wie hat der Menſch, ſeinen
Kraͤften uͤberlaſſen, ſich auch
II. eine Sprache, wo ihm kein Ton
vortoͤnte,
erfinden koͤnnen? Wie haͤngt Geſicht und
Gehoͤr, Farbe und Wort, Duft und Ton
zuſammen?
Nicht unter ſich in den Gegenſtaͤnden; aber
was ſind denn dieſe Eigenſchaften in den Ge-
genſtaͤnden? Sie ſind blos ſinnliche Em-
pfindungen in uns, und als ſolche fließen ſie
nicht Alle in Eins? Wir ſind Ein denkendes
ſenſorium commune, nur von verſchiednen
Seiten beruͤhrt — Da liegt die Erklaͤrung.

Allen Sinnen liegt Gefuͤhl zum Grunde, und
dies gibt den verſchiedenartigſten Senſationen ſchon
ein ſo inniges, ſtarkes, unausſprechliches Band,
daß aus dieſer Verbindung die ſonderbarſten Er-
ſcheinungen entſtehen. Mir iſt mehr als Ein
Beiſpiel bekannt, da Perſonen natuͤrlich, vielleicht
aus einem Eindruck der Kindheit nicht anders
konnten, als unmittelbar durch eine ſchnelle An-

wande-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0100" n="94"/>
            <list>
              <item>Al&#x017F;o zur Sache. Wie hat der Men&#x017F;ch, &#x017F;einen<lb/>
Kra&#x0364;ften u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich auch</item>
            </list>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#aq">II.</hi> eine Sprache, wo ihm kein Ton<lb/>
vorto&#x0364;nte,</head><lb/>
            <list>
              <item>erfinden ko&#x0364;nnen? Wie ha&#x0364;ngt Ge&#x017F;icht und<lb/>
Geho&#x0364;r, Farbe und Wort, Duft und Ton<lb/>
zu&#x017F;ammen?</item><lb/>
              <item>Nicht unter &#x017F;ich in den Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden; aber<lb/>
was &#x017F;ind denn die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaften in den Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nden? Sie &#x017F;ind blos &#x017F;innliche Em-<lb/>
pfindungen in uns, und als &#x017F;olche fließen &#x017F;ie<lb/>
nicht Alle in Eins? Wir &#x017F;ind Ein denkendes<lb/><hi rendition="#aq">&#x017F;en&#x017F;orium commune,</hi> nur von ver&#x017F;chiednen<lb/>
Seiten beru&#x0364;hrt &#x2014; Da liegt die Erkla&#x0364;rung.</item>
            </list><lb/>
            <p>Allen Sinnen liegt Gefu&#x0364;hl zum Grunde, und<lb/>
dies gibt den ver&#x017F;chiedenartig&#x017F;ten Sen&#x017F;ationen &#x017F;chon<lb/>
ein &#x017F;o inniges, &#x017F;tarkes, unaus&#x017F;prechliches Band,<lb/>
daß aus die&#x017F;er Verbindung die &#x017F;onderbar&#x017F;ten Er-<lb/>
&#x017F;cheinungen ent&#x017F;tehen. Mir i&#x017F;t mehr als Ein<lb/>
Bei&#x017F;piel bekannt, da Per&#x017F;onen natu&#x0364;rlich, vielleicht<lb/>
aus einem Eindruck der Kindheit nicht anders<lb/>
konnten, als unmittelbar durch eine &#x017F;chnelle An-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wande-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0100] Alſo zur Sache. Wie hat der Menſch, ſeinen Kraͤften uͤberlaſſen, ſich auch II. eine Sprache, wo ihm kein Ton vortoͤnte, erfinden koͤnnen? Wie haͤngt Geſicht und Gehoͤr, Farbe und Wort, Duft und Ton zuſammen? Nicht unter ſich in den Gegenſtaͤnden; aber was ſind denn dieſe Eigenſchaften in den Ge- genſtaͤnden? Sie ſind blos ſinnliche Em- pfindungen in uns, und als ſolche fließen ſie nicht Alle in Eins? Wir ſind Ein denkendes ſenſorium commune, nur von verſchiednen Seiten beruͤhrt — Da liegt die Erklaͤrung. Allen Sinnen liegt Gefuͤhl zum Grunde, und dies gibt den verſchiedenartigſten Senſationen ſchon ein ſo inniges, ſtarkes, unausſprechliches Band, daß aus dieſer Verbindung die ſonderbarſten Er- ſcheinungen entſtehen. Mir iſt mehr als Ein Beiſpiel bekannt, da Perſonen natuͤrlich, vielleicht aus einem Eindruck der Kindheit nicht anders konnten, als unmittelbar durch eine ſchnelle An- wande-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/100
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/100>, abgerufen am 21.11.2024.