Eher würde dem Einzelnen die Schrift behülflich seyn können. Diese fixirt wirklich manchmal die Gedan- ken, um sie zu Objecten des weiter fortschreitenden Den- kens zu machen. Das zeigt sich jedoch weit mehr beym Rechnen, und beym Aufbehalten des Geschichtlichen, als beym Philosophiren, dem vielmehr das voreilige Nieder- schreiben unreifer Einfälle unsäglichen Schaden zufügt. Man weiss, wie Platon die Buchstaben verklagt; und Homer bedurfte ihrer nicht.
Diejenigen, welche die intellectuale Anschauung an- preisen, und das discursive, in der Sprache ausgedrückte Denken herabsetzen, haben in so fern nicht ganz Un- recht, als das Kleben am Symbol, wenn man sich darauf lehnt und stützt, das wahre Wissen zerbröckelt, und das Scheinwissen einschwärzt. Es wäre nur zu wünschen, dass jene selbst sich aus dem Wust ihrer Worte her- auszuarbeiten verstünden. Gäbe es eine intellectuale An- schauung: so würde ihr Angeschautes unaussprechlich seyn. Gerade dieselbe Eigenschaft hat aber auch das wahre Wissen, welches aus dem discursiven Denken am Ende hervorgeht. Resultate vieljähriger Forschungen be- dürfen vieler Worte, um vorgetragen zu werden, aber der Vortrag, der alle diese Worte auf Einen langen Fa- den reihet, ist nicht das Wissen selbst, welches in bey- nahe ungetheilter Ueberschauung die ganze Kette der allmählig ausgebildeten Gedanken trägt und vesthält.
§. 131.
So wenig nun auch eine scharfgezogene Gränzlinie zwischen Mensch und Thier kann gerechtfertigt werden: so bestimmt lässt sich gleichwohl der Grund angeben, weshalb in dem Gedankenkreise des gesellschaftlich le- benden Menschen sich Keime entwickeln müssen, deren Ausbildung beym Thiere so unmöglich ist, dass eine un- geheure Kluft in der Gesammt-Erscheinung der Mensch- heit und Thierheit daraus nothwendig entstehen muss. Um dies zu begreifen, gehe man zurück zur innern Ap- perception.
Eher würde dem Einzelnen die Schrift behülflich seyn können. Diese fixirt wirklich manchmal die Gedan- ken, um sie zu Objecten des weiter fortschreitenden Den- kens zu machen. Das zeigt sich jedoch weit mehr beym Rechnen, und beym Aufbehalten des Geschichtlichen, als beym Philosophiren, dem vielmehr das voreilige Nieder- schreiben unreifer Einfälle unsäglichen Schaden zufügt. Man weiſs, wie Platon die Buchstaben verklagt; und Homer bedurfte ihrer nicht.
Diejenigen, welche die intellectuale Anschauung an- preisen, und das discursive, in der Sprache ausgedrückte Denken herabsetzen, haben in so fern nicht ganz Un- recht, als das Kleben am Symbol, wenn man sich darauf lehnt und stützt, das wahre Wissen zerbröckelt, und das Scheinwissen einschwärzt. Es wäre nur zu wünschen, daſs jene selbst sich aus dem Wust ihrer Worte her- auszuarbeiten verstünden. Gäbe es eine intellectuale An- schauung: so würde ihr Angeschautes unaussprechlich seyn. Gerade dieselbe Eigenschaft hat aber auch das wahre Wissen, welches aus dem discursiven Denken am Ende hervorgeht. Resultate vieljähriger Forschungen be- dürfen vieler Worte, um vorgetragen zu werden, aber der Vortrag, der alle diese Worte auf Einen langen Fa- den reihet, ist nicht das Wissen selbst, welches in bey- nahe ungetheilter Ueberschauung die ganze Kette der allmählig ausgebildeten Gedanken trägt und vesthält.
§. 131.
So wenig nun auch eine scharfgezogene Gränzlinie zwischen Mensch und Thier kann gerechtfertigt werden: so bestimmt läſst sich gleichwohl der Grund angeben, weshalb in dem Gedankenkreise des gesellschaftlich le- benden Menschen sich Keime entwickeln müssen, deren Ausbildung beym Thiere so unmöglich ist, daſs eine un- geheure Kluft in der Gesammt-Erscheinung der Mensch- heit und Thierheit daraus nothwendig entstehen muſs. Um dies zu begreifen, gehe man zurück zur innern Ap- perception.
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Eher würde dem Einzelnen die Schrift behülflich
seyn können. Diese fixirt wirklich manchmal die Gedan-
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kens zu machen. Das zeigt sich jedoch weit mehr beym
Rechnen, und beym Aufbehalten des Geschichtlichen, als
beym Philosophiren, dem vielmehr das voreilige Nieder-
schreiben unreifer Einfälle unsäglichen Schaden zufügt.
Man weiſs, wie Platon die Buchstaben verklagt; und
Homer bedurfte ihrer nicht.
Diejenigen, welche die intellectuale Anschauung an-
preisen, und das discursive, in der Sprache ausgedrückte
Denken herabsetzen, haben in so fern nicht ganz Un-
recht, als das Kleben am Symbol, wenn man sich darauf
lehnt und stützt, das wahre Wissen zerbröckelt, und das
Scheinwissen einschwärzt. Es wäre nur zu wünschen,
daſs jene selbst sich aus dem Wust ihrer Worte her-
auszuarbeiten verstünden. Gäbe es eine intellectuale An-
schauung: so würde ihr Angeschautes unaussprechlich
seyn. Gerade dieselbe Eigenschaft hat aber auch das
wahre Wissen, welches aus dem discursiven Denken am
Ende hervorgeht. Resultate vieljähriger Forschungen be-
dürfen vieler Worte, um vorgetragen zu werden, aber
der Vortrag, der alle diese Worte auf Einen langen Fa-
den reihet, ist nicht das Wissen selbst, welches in bey-
nahe ungetheilter Ueberschauung die ganze Kette der
allmählig ausgebildeten Gedanken trägt und vesthält.
§. 131.
So wenig nun auch eine scharfgezogene Gränzlinie
zwischen Mensch und Thier kann gerechtfertigt werden:
so bestimmt läſst sich gleichwohl der Grund angeben,
weshalb in dem Gedankenkreise des gesellschaftlich le-
benden Menschen sich Keime entwickeln müssen, deren
Ausbildung beym Thiere so unmöglich ist, daſs eine un-
geheure Kluft in der Gesammt-Erscheinung der Mensch-
heit und Thierheit daraus nothwendig entstehen muſs.
Um dies zu begreifen, gehe man zurück zur innern Ap-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/281>, abgerufen am 22.12.2024.
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