Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

Merkwürdig ist hiebey noch die Veränderung in
der Geschwindigkeit der übrigen Vorstellun-
gen, welche in dem Augenblicke vorgeht, da
die schwächste zur Schwelle sinkt
. Die Hem-
mungssumme muss ihrem Gesetze gemäss continuirlich
sinken; verschwindet nun plötzlich diejenige Vorstellung,
welche bisher von der Hemmungssumme am meisten zu
leiden hatte, so müssen in diesem Augenblicke die stär-
keren einen weit beträchtlichern Druck erleiden, als sie
bisher zu tragen hatten.

In dem ersten Beyspiele ist nach Verlauf der Zeit
=0,944.. noch zu hemmen übrig Se--t=3.e--0,944..=1,17...;
dieses drückt, unmittelbar vor dem völligen Sinken von
c, mit der 1,17..x [Formel 1] auf a, und mit der Kraft 1,17..x [Formel 2]
auf b; hingegen unmittelbar darnach ändert sich das Hem-
mungsverhältniss; a und b müssen den Rest der Hem-
mungssumme allein theilen; es drückt auf a die Kraft
1,17..x [Formel 3] , auf b die Kraft 1,17..x [Formel 4] . Die Geschwindig-
keit des Sinkens ist, wie oben gesagt, allemal der un-
mittelbare Ausdruck der zum Sinken nöthigenden Kraft,
und derselben proportional. Sie wird demnach in unserm
Falle plötzlich mehr als verdoppelt.

Sind mehr als drey Vorstellungen im Spiele: so kön-
nen sich dergleichen plötzliche Aenderungen mehrmals
ereignen; denn jede der schwächeren hat ihren Zeitpunct,
wo sie zur Schwelle sinkt, und den übrigen die Theilung
der Hemmungssumme überlässt.

Dies ist ein leichtes Beyspiel von dem, was keine
empirische Psychologie jemals hätte wissen können. Ueber
den Gegensatz der plötzlichen und der continuirlichen
Veränderungen im Bewusstseyn kann sie sich nur wun-
dern, nicht sie erklären.

§. 76.

Die Anwendung des Bisherigen auf Complexionen
und Verschmelzungen kann wohl kaum Schwierigkeit fin-
den. Immer beharrt die Hemmungssumme bey dem glei-
chen Gesetze des Sinkens. Aber die Elemente der Ver-

Merkwürdig ist hiebey noch die Veränderung in
der Geschwindigkeit der übrigen Vorstellun-
gen, welche in dem Augenblicke vorgeht, da
die schwächste zur Schwelle sinkt
. Die Hem-
mungssumme muſs ihrem Gesetze gemäſs continuirlich
sinken; verschwindet nun plötzlich diejenige Vorstellung,
welche bisher von der Hemmungssumme am meisten zu
leiden hatte, so müssen in diesem Augenblicke die stär-
keren einen weit beträchtlichern Druck erleiden, als sie
bisher zu tragen hatten.

In dem ersten Beyspiele ist nach Verlauf der Zeit
=0,944.. noch zu hemmen übrig Se—t=3.e—0,944..=1,17…;
dieses drückt, unmittelbar vor dem völligen Sinken von
c, mit der 1,17..× [Formel 1] auf a, und mit der Kraft 1,17..× [Formel 2]
auf b; hingegen unmittelbar darnach ändert sich das Hem-
mungsverhältniſs; a und b müssen den Rest der Hem-
mungssumme allein theilen; es drückt auf a die Kraft
1,17..× [Formel 3] , auf b die Kraft 1,17..× [Formel 4] . Die Geschwindig-
keit des Sinkens ist, wie oben gesagt, allemal der un-
mittelbare Ausdruck der zum Sinken nöthigenden Kraft,
und derselben proportional. Sie wird demnach in unserm
Falle plötzlich mehr als verdoppelt.

Sind mehr als drey Vorstellungen im Spiele: so kön-
nen sich dergleichen plötzliche Aenderungen mehrmals
ereignen; denn jede der schwächeren hat ihren Zeitpunct,
wo sie zur Schwelle sinkt, und den übrigen die Theilung
der Hemmungssumme überläſst.

Dies ist ein leichtes Beyspiel von dem, was keine
empirische Psychologie jemals hätte wissen können. Ueber
den Gegensatz der plötzlichen und der continuirlichen
Veränderungen im Bewuſstseyn kann sie sich nur wun-
dern, nicht sie erklären.

§. 76.

Die Anwendung des Bisherigen auf Complexionen
und Verschmelzungen kann wohl kaum Schwierigkeit fin-
den. Immer beharrt die Hemmungssumme bey dem glei-
chen Gesetze des Sinkens. Aber die Elemente der Ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0269" n="449[249]"/>
              <p>Merkwürdig ist hiebey noch die <hi rendition="#g">Veränderung in<lb/>
der Geschwindigkeit der übrigen Vorstellun-<lb/>
gen, welche in dem Augenblicke vorgeht, da<lb/>
die schwächste zur Schwelle sinkt</hi>. Die Hem-<lb/>
mungssumme mu&#x017F;s ihrem Gesetze gemä&#x017F;s continuirlich<lb/>
sinken; verschwindet nun plötzlich diejenige Vorstellung,<lb/>
welche bisher von der Hemmungssumme am meisten zu<lb/>
leiden hatte, so müssen in diesem Augenblicke die stär-<lb/>
keren einen weit beträchtlichern Druck erleiden, als sie<lb/>
bisher zu tragen hatten.</p><lb/>
              <p>In dem ersten Beyspiele ist nach Verlauf der Zeit<lb/>
=0,944.. noch zu hemmen übrig <hi rendition="#i">Se</hi><hi rendition="#sup">&#x2014;t</hi>=3.<hi rendition="#i">e</hi><hi rendition="#sup">&#x2014;0,944..</hi>=1,17&#x2026;;<lb/>
dieses drückt, unmittelbar vor dem völligen Sinken von<lb/><hi rendition="#i">c</hi>, mit der 1,17..×<formula/> auf <hi rendition="#i">a</hi>, und mit der Kraft 1,17..×<formula/><lb/>
auf <hi rendition="#i">b</hi>; hingegen unmittelbar darnach ändert sich das Hem-<lb/>
mungsverhältni&#x017F;s; <hi rendition="#i">a</hi> und <hi rendition="#i">b</hi> müssen den Rest der Hem-<lb/>
mungssumme allein theilen; es drückt auf <hi rendition="#i">a</hi> die Kraft<lb/>
1,17..×<formula/>, auf <hi rendition="#i">b</hi> die Kraft 1,17..×<formula/>. Die Geschwindig-<lb/>
keit des Sinkens ist, wie oben gesagt, allemal der un-<lb/>
mittelbare Ausdruck der zum Sinken nöthigenden Kraft,<lb/>
und derselben proportional. Sie wird demnach in unserm<lb/>
Falle plötzlich mehr als verdoppelt.</p><lb/>
              <p>Sind mehr als drey Vorstellungen im Spiele: so kön-<lb/>
nen sich dergleichen plötzliche Aenderungen mehrmals<lb/>
ereignen; denn jede der schwächeren hat ihren Zeitpunct,<lb/>
wo sie zur Schwelle sinkt, und den übrigen die Theilung<lb/>
der Hemmungssumme überlä&#x017F;st.</p><lb/>
              <p>Dies ist ein leichtes Beyspiel von dem, was keine<lb/>
empirische Psychologie jemals hätte wissen können. Ueber<lb/>
den Gegensatz der plötzlichen und der continuirlichen<lb/>
Veränderungen im Bewu&#x017F;stseyn kann sie sich nur wun-<lb/>
dern, nicht sie erklären.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 76.</head><lb/>
              <p>Die Anwendung des Bisherigen auf Complexionen<lb/>
und Verschmelzungen kann wohl kaum Schwierigkeit fin-<lb/>
den. Immer beharrt die Hemmungssumme bey dem glei-<lb/>
chen Gesetze des Sinkens. Aber die Elemente der Ver-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[449[249]/0269] Merkwürdig ist hiebey noch die Veränderung in der Geschwindigkeit der übrigen Vorstellun- gen, welche in dem Augenblicke vorgeht, da die schwächste zur Schwelle sinkt. Die Hem- mungssumme muſs ihrem Gesetze gemäſs continuirlich sinken; verschwindet nun plötzlich diejenige Vorstellung, welche bisher von der Hemmungssumme am meisten zu leiden hatte, so müssen in diesem Augenblicke die stär- keren einen weit beträchtlichern Druck erleiden, als sie bisher zu tragen hatten. In dem ersten Beyspiele ist nach Verlauf der Zeit =0,944.. noch zu hemmen übrig Se—t=3.e—0,944..=1,17…; dieses drückt, unmittelbar vor dem völligen Sinken von c, mit der 1,17..×[FORMEL] auf a, und mit der Kraft 1,17..×[FORMEL] auf b; hingegen unmittelbar darnach ändert sich das Hem- mungsverhältniſs; a und b müssen den Rest der Hem- mungssumme allein theilen; es drückt auf a die Kraft 1,17..×[FORMEL], auf b die Kraft 1,17..×[FORMEL]. Die Geschwindig- keit des Sinkens ist, wie oben gesagt, allemal der un- mittelbare Ausdruck der zum Sinken nöthigenden Kraft, und derselben proportional. Sie wird demnach in unserm Falle plötzlich mehr als verdoppelt. Sind mehr als drey Vorstellungen im Spiele: so kön- nen sich dergleichen plötzliche Aenderungen mehrmals ereignen; denn jede der schwächeren hat ihren Zeitpunct, wo sie zur Schwelle sinkt, und den übrigen die Theilung der Hemmungssumme überläſst. Dies ist ein leichtes Beyspiel von dem, was keine empirische Psychologie jemals hätte wissen können. Ueber den Gegensatz der plötzlichen und der continuirlichen Veränderungen im Bewuſstseyn kann sie sich nur wun- dern, nicht sie erklären. §. 76. Die Anwendung des Bisherigen auf Complexionen und Verschmelzungen kann wohl kaum Schwierigkeit fin- den. Immer beharrt die Hemmungssumme bey dem glei- chen Gesetze des Sinkens. Aber die Elemente der Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/269
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 449[249]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/269>, abgerufen am 21.11.2024.