Merkwürdig ist hiebey noch die Veränderung in der Geschwindigkeit der übrigen Vorstellun- gen, welche in dem Augenblicke vorgeht, da die schwächste zur Schwelle sinkt. Die Hem- mungssumme muss ihrem Gesetze gemäss continuirlich sinken; verschwindet nun plötzlich diejenige Vorstellung, welche bisher von der Hemmungssumme am meisten zu leiden hatte, so müssen in diesem Augenblicke die stär- keren einen weit beträchtlichern Druck erleiden, als sie bisher zu tragen hatten.
In dem ersten Beyspiele ist nach Verlauf der Zeit =0,944.. noch zu hemmen übrig Se--t=3.e--0,944..=1,17...; dieses drückt, unmittelbar vor dem völligen Sinken von c, mit der 1,17..x
[Formel 1]
auf a, und mit der Kraft 1,17..x
[Formel 2]
auf b; hingegen unmittelbar darnach ändert sich das Hem- mungsverhältniss; a und b müssen den Rest der Hem- mungssumme allein theilen; es drückt auf a die Kraft 1,17..x
[Formel 3]
, auf b die Kraft 1,17..x
[Formel 4]
. Die Geschwindig- keit des Sinkens ist, wie oben gesagt, allemal der un- mittelbare Ausdruck der zum Sinken nöthigenden Kraft, und derselben proportional. Sie wird demnach in unserm Falle plötzlich mehr als verdoppelt.
Sind mehr als drey Vorstellungen im Spiele: so kön- nen sich dergleichen plötzliche Aenderungen mehrmals ereignen; denn jede der schwächeren hat ihren Zeitpunct, wo sie zur Schwelle sinkt, und den übrigen die Theilung der Hemmungssumme überlässt.
Dies ist ein leichtes Beyspiel von dem, was keine empirische Psychologie jemals hätte wissen können. Ueber den Gegensatz der plötzlichen und der continuirlichen Veränderungen im Bewusstseyn kann sie sich nur wun- dern, nicht sie erklären.
§. 76.
Die Anwendung des Bisherigen auf Complexionen und Verschmelzungen kann wohl kaum Schwierigkeit fin- den. Immer beharrt die Hemmungssumme bey dem glei- chen Gesetze des Sinkens. Aber die Elemente der Ver-
Merkwürdig ist hiebey noch die Veränderung in der Geschwindigkeit der übrigen Vorstellun- gen, welche in dem Augenblicke vorgeht, da die schwächste zur Schwelle sinkt. Die Hem- mungssumme muſs ihrem Gesetze gemäſs continuirlich sinken; verschwindet nun plötzlich diejenige Vorstellung, welche bisher von der Hemmungssumme am meisten zu leiden hatte, so müssen in diesem Augenblicke die stär- keren einen weit beträchtlichern Druck erleiden, als sie bisher zu tragen hatten.
In dem ersten Beyspiele ist nach Verlauf der Zeit =0,944.. noch zu hemmen übrig Se—t=3.e—0,944..=1,17…; dieses drückt, unmittelbar vor dem völligen Sinken von c, mit der 1,17..×
[Formel 1]
auf a, und mit der Kraft 1,17..×
[Formel 2]
auf b; hingegen unmittelbar darnach ändert sich das Hem- mungsverhältniſs; a und b müssen den Rest der Hem- mungssumme allein theilen; es drückt auf a die Kraft 1,17..×
[Formel 3]
, auf b die Kraft 1,17..×
[Formel 4]
. Die Geschwindig- keit des Sinkens ist, wie oben gesagt, allemal der un- mittelbare Ausdruck der zum Sinken nöthigenden Kraft, und derselben proportional. Sie wird demnach in unserm Falle plötzlich mehr als verdoppelt.
Sind mehr als drey Vorstellungen im Spiele: so kön- nen sich dergleichen plötzliche Aenderungen mehrmals ereignen; denn jede der schwächeren hat ihren Zeitpunct, wo sie zur Schwelle sinkt, und den übrigen die Theilung der Hemmungssumme überläſst.
Dies ist ein leichtes Beyspiel von dem, was keine empirische Psychologie jemals hätte wissen können. Ueber den Gegensatz der plötzlichen und der continuirlichen Veränderungen im Bewuſstseyn kann sie sich nur wun- dern, nicht sie erklären.
§. 76.
Die Anwendung des Bisherigen auf Complexionen und Verschmelzungen kann wohl kaum Schwierigkeit fin- den. Immer beharrt die Hemmungssumme bey dem glei- chen Gesetze des Sinkens. Aber die Elemente der Ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0269"n="449[249]"/><p>Merkwürdig ist hiebey noch die <hirendition="#g">Veränderung in<lb/>
der Geschwindigkeit der übrigen Vorstellun-<lb/>
gen, welche in dem Augenblicke vorgeht, da<lb/>
die schwächste zur Schwelle sinkt</hi>. Die Hem-<lb/>
mungssumme muſs ihrem Gesetze gemäſs continuirlich<lb/>
sinken; verschwindet nun plötzlich diejenige Vorstellung,<lb/>
welche bisher von der Hemmungssumme am meisten zu<lb/>
leiden hatte, so müssen in diesem Augenblicke die stär-<lb/>
keren einen weit beträchtlichern Druck erleiden, als sie<lb/>
bisher zu tragen hatten.</p><lb/><p>In dem ersten Beyspiele ist nach Verlauf der Zeit<lb/>
=0,944.. noch zu hemmen übrig <hirendition="#i">Se</hi><hirendition="#sup">—t</hi>=3.<hirendition="#i">e</hi><hirendition="#sup">—0,944..</hi>=1,17…;<lb/>
dieses drückt, unmittelbar vor dem völligen Sinken von<lb/><hirendition="#i">c</hi>, mit der 1,17..×<formula/> auf <hirendition="#i">a</hi>, und mit der Kraft 1,17..×<formula/><lb/>
auf <hirendition="#i">b</hi>; hingegen unmittelbar darnach ändert sich das Hem-<lb/>
mungsverhältniſs; <hirendition="#i">a</hi> und <hirendition="#i">b</hi> müssen den Rest der Hem-<lb/>
mungssumme allein theilen; es drückt auf <hirendition="#i">a</hi> die Kraft<lb/>
1,17..×<formula/>, auf <hirendition="#i">b</hi> die Kraft 1,17..×<formula/>. Die Geschwindig-<lb/>
keit des Sinkens ist, wie oben gesagt, allemal der un-<lb/>
mittelbare Ausdruck der zum Sinken nöthigenden Kraft,<lb/>
und derselben proportional. Sie wird demnach in unserm<lb/>
Falle plötzlich mehr als verdoppelt.</p><lb/><p>Sind mehr als drey Vorstellungen im Spiele: so kön-<lb/>
nen sich dergleichen plötzliche Aenderungen mehrmals<lb/>
ereignen; denn jede der schwächeren hat ihren Zeitpunct,<lb/>
wo sie zur Schwelle sinkt, und den übrigen die Theilung<lb/>
der Hemmungssumme überläſst.</p><lb/><p>Dies ist ein leichtes Beyspiel von dem, was keine<lb/>
empirische Psychologie jemals hätte wissen können. Ueber<lb/>
den Gegensatz der plötzlichen und der continuirlichen<lb/>
Veränderungen im Bewuſstseyn kann sie sich nur wun-<lb/>
dern, nicht sie erklären.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 76.</head><lb/><p>Die Anwendung des Bisherigen auf Complexionen<lb/>
und Verschmelzungen kann wohl kaum Schwierigkeit fin-<lb/>
den. Immer beharrt die Hemmungssumme bey dem glei-<lb/>
chen Gesetze des Sinkens. Aber die Elemente der Ver-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[449[249]/0269]
Merkwürdig ist hiebey noch die Veränderung in
der Geschwindigkeit der übrigen Vorstellun-
gen, welche in dem Augenblicke vorgeht, da
die schwächste zur Schwelle sinkt. Die Hem-
mungssumme muſs ihrem Gesetze gemäſs continuirlich
sinken; verschwindet nun plötzlich diejenige Vorstellung,
welche bisher von der Hemmungssumme am meisten zu
leiden hatte, so müssen in diesem Augenblicke die stär-
keren einen weit beträchtlichern Druck erleiden, als sie
bisher zu tragen hatten.
In dem ersten Beyspiele ist nach Verlauf der Zeit
=0,944.. noch zu hemmen übrig Se—t=3.e—0,944..=1,17…;
dieses drückt, unmittelbar vor dem völligen Sinken von
c, mit der 1,17..×[FORMEL] auf a, und mit der Kraft 1,17..×[FORMEL]
auf b; hingegen unmittelbar darnach ändert sich das Hem-
mungsverhältniſs; a und b müssen den Rest der Hem-
mungssumme allein theilen; es drückt auf a die Kraft
1,17..×[FORMEL], auf b die Kraft 1,17..×[FORMEL]. Die Geschwindig-
keit des Sinkens ist, wie oben gesagt, allemal der un-
mittelbare Ausdruck der zum Sinken nöthigenden Kraft,
und derselben proportional. Sie wird demnach in unserm
Falle plötzlich mehr als verdoppelt.
Sind mehr als drey Vorstellungen im Spiele: so kön-
nen sich dergleichen plötzliche Aenderungen mehrmals
ereignen; denn jede der schwächeren hat ihren Zeitpunct,
wo sie zur Schwelle sinkt, und den übrigen die Theilung
der Hemmungssumme überläſst.
Dies ist ein leichtes Beyspiel von dem, was keine
empirische Psychologie jemals hätte wissen können. Ueber
den Gegensatz der plötzlichen und der continuirlichen
Veränderungen im Bewuſstseyn kann sie sich nur wun-
dern, nicht sie erklären.
§. 76.
Die Anwendung des Bisherigen auf Complexionen
und Verschmelzungen kann wohl kaum Schwierigkeit fin-
den. Immer beharrt die Hemmungssumme bey dem glei-
chen Gesetze des Sinkens. Aber die Elemente der Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 449[249]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/269>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.