Die Absicht dieses Werkes geht dahin, eine Seelen- forschung herbeyzuführen, welche der Naturforschung glei- che; in so fern dieselbe den völlig regelmässigen Zusam- menhang der Erscheinungen überall voraussetzt, und ihm nachspürt durch Sichtung der Thatsachen, durch behut- same Schlüsse, durch gewagte, geprüfte, berichtigte Hy- pothesen, endlich, wo es irgend seyn kann, durch Erwä- gung der Grössen und durch Rechnung. Dass die Seelen- lehre sich von mehrern Seiten der Rechnung darbietet, diese Bemerkung hat mich auf die Bahn der jetzt vorzu- legenden Untersuchungen gebracht; und je weiter ich sie verfolge, um desto mehr überzeuge ich mich, dass nur auf solchem Wege das Misverhältniss zwischen unsern Kenntnissen von der äusseren Welt, und der Ungewiss- heit über unser eigenes Innere, kann ausgeglichen, nur auf solche Weise der Stoff, welchen Selbstbeobachtung, Umgang mit Menschen, und Geschichte, uns darbieten, gehörig kann verarbeitet werden.
Von den Meinungen derer, die auf innere, auf in- tellectuale Anschauungen eine Naturlehre gründen, werde ich freilich mich weit entfernen müssen. Ihre Naturlehre ist nicht das passende Gleichniss für die Psychologie; ihre Anschauungen sind der Selbsttäuschung mehr als verdächtig, denn es sind offenbar nur unrichtige Begriffe, die aus speculativen Verlegenheiten entsprangen; hätte es aber auch mit diesen Anschauungen, als Thatsachen,
I. A
Einleitung.
Die Absicht dieses Werkes geht dahin, eine Seelen- forschung herbeyzuführen, welche der Naturforschung glei- che; in so fern dieselbe den völlig regelmäſsigen Zusam- menhang der Erscheinungen überall voraussetzt, und ihm nachspürt durch Sichtung der Thatsachen, durch behut- same Schlüsse, durch gewagte, geprüfte, berichtigte Hy- pothesen, endlich, wo es irgend seyn kann, durch Erwä- gung der Gröſsen und durch Rechnung. Daſs die Seelen- lehre sich von mehrern Seiten der Rechnung darbietet, diese Bemerkung hat mich auf die Bahn der jetzt vorzu- legenden Untersuchungen gebracht; und je weiter ich sie verfolge, um desto mehr überzeuge ich mich, daſs nur auf solchem Wege das Misverhältniſs zwischen unsern Kenntnissen von der äuſseren Welt, und der Ungewiſs- heit über unser eigenes Innere, kann ausgeglichen, nur auf solche Weise der Stoff, welchen Selbstbeobachtung, Umgang mit Menschen, und Geschichte, uns darbieten, gehörig kann verarbeitet werden.
Von den Meinungen derer, die auf innere, auf in- tellectuale Anschauungen eine Naturlehre gründen, werde ich freilich mich weit entfernen müssen. Ihre Naturlehre ist nicht das passende Gleichniſs für die Psychologie; ihre Anschauungen sind der Selbsttäuschung mehr als verdächtig, denn es sind offenbar nur unrichtige Begriffe, die aus speculativen Verlegenheiten entsprangen; hätte es aber auch mit diesen Anschauungen, als Thatsachen,
I. A
<TEI><text><body><pbfacs="#f0021"n="[1]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie Absicht dieses Werkes geht dahin, eine Seelen-<lb/>
forschung herbeyzuführen, welche der Naturforschung glei-<lb/>
che; in so fern dieselbe den völlig regelmäſsigen Zusam-<lb/>
menhang der Erscheinungen überall voraussetzt, und ihm<lb/>
nachspürt durch Sichtung der Thatsachen, durch behut-<lb/>
same Schlüsse, durch gewagte, geprüfte, berichtigte Hy-<lb/>
pothesen, endlich, wo es irgend seyn kann, durch Erwä-<lb/>
gung der Gröſsen und durch Rechnung. Daſs die Seelen-<lb/>
lehre sich von mehrern Seiten der Rechnung darbietet,<lb/>
diese Bemerkung hat mich auf die Bahn der jetzt vorzu-<lb/>
legenden Untersuchungen gebracht; und je weiter ich sie<lb/>
verfolge, um desto mehr überzeuge ich mich, daſs nur<lb/>
auf solchem Wege das Misverhältniſs zwischen unsern<lb/>
Kenntnissen von der äuſseren Welt, und der Ungewiſs-<lb/>
heit über unser eigenes Innere, kann ausgeglichen, nur<lb/>
auf solche Weise der Stoff, welchen Selbstbeobachtung,<lb/>
Umgang mit Menschen, und Geschichte, uns darbieten,<lb/>
gehörig kann verarbeitet werden.</p><lb/><p>Von den Meinungen derer, die auf innere, auf in-<lb/>
tellectuale Anschauungen eine Naturlehre gründen, werde<lb/>
ich freilich mich weit entfernen müssen. <hirendition="#g">Ihre</hi> Naturlehre<lb/>
ist nicht das passende Gleichniſs für die Psychologie;<lb/>
ihre Anschauungen sind der Selbsttäuschung mehr als<lb/>
verdächtig, denn es sind offenbar nur unrichtige Begriffe,<lb/>
die aus speculativen Verlegenheiten entsprangen; hätte es<lb/>
aber auch mit diesen Anschauungen, als Thatsachen,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">I.</hi> A</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[[1]/0021]
Einleitung.
Die Absicht dieses Werkes geht dahin, eine Seelen-
forschung herbeyzuführen, welche der Naturforschung glei-
che; in so fern dieselbe den völlig regelmäſsigen Zusam-
menhang der Erscheinungen überall voraussetzt, und ihm
nachspürt durch Sichtung der Thatsachen, durch behut-
same Schlüsse, durch gewagte, geprüfte, berichtigte Hy-
pothesen, endlich, wo es irgend seyn kann, durch Erwä-
gung der Gröſsen und durch Rechnung. Daſs die Seelen-
lehre sich von mehrern Seiten der Rechnung darbietet,
diese Bemerkung hat mich auf die Bahn der jetzt vorzu-
legenden Untersuchungen gebracht; und je weiter ich sie
verfolge, um desto mehr überzeuge ich mich, daſs nur
auf solchem Wege das Misverhältniſs zwischen unsern
Kenntnissen von der äuſseren Welt, und der Ungewiſs-
heit über unser eigenes Innere, kann ausgeglichen, nur
auf solche Weise der Stoff, welchen Selbstbeobachtung,
Umgang mit Menschen, und Geschichte, uns darbieten,
gehörig kann verarbeitet werden.
Von den Meinungen derer, die auf innere, auf in-
tellectuale Anschauungen eine Naturlehre gründen, werde
ich freilich mich weit entfernen müssen. Ihre Naturlehre
ist nicht das passende Gleichniſs für die Psychologie;
ihre Anschauungen sind der Selbsttäuschung mehr als
verdächtig, denn es sind offenbar nur unrichtige Begriffe,
die aus speculativen Verlegenheiten entsprangen; hätte es
aber auch mit diesen Anschauungen, als Thatsachen,
I. A
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/21>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.