genommen, wie sie demjenigen natürlich ist, der -- noch nicht tief ins metaphysische Denken eingedrungen ist.
Denn allerdings mussten die Scholastiker die Substanz sich selbst entgegensetzen. Allerdings soll sie selbst gedacht werden als Eins; ihr substantiale aber soll em- pfänglich seyn für das vielfache Haben der vielen Acci- denzen und Attribute. Allerdings sind hier nothwendig zwey Gedanken, die aber freylich Einer seyn sollten, -- und nicht können. Die Substanz ist jener homerische Herkules, der selbst bei den seligen Göttern wohnt, während sein Schatten in der Unterwelt wandelt.
Mit einem Worte: das substantiale ist der Wider- spruch im Begriff der Substanz, wodurch sie ein meta- physisches Problem wird.
Was wird nun derjenige thun, dem dies Problem, das allgemeinste der ganzen Metaphysik, eine Anregung zum Denken gegeben hat? Eine dreyfache Wahl liegt vor ihm. Entweder sich in scholastische Grübeley zu versenken, oder mit dem Verslein: grau, Freund, ist alle Theorie, sich tröstend, aus der Schule ins freye Leben sorglos hinüberzutreten (wobey er nicht vergessen darf, dass sich alsdann die Pforte der Schule hinter ihm schliesst), oder endlich, die Kraft seines Denkens anzu- strengen, damit er den Grund des Widerspruchs genau erkenne, ihn hinweghebe, und nachsehe, welche Verän- derung hiedurch in dem vorliegenden Begriffe entstehe. Hierüber giebt das Folgende weitere Auskunft.
§. 34.
Wenn die drey Begriffe, des Ich, der Veränderung, und des Dinges mit mehrern Merkmalen, undenkbar er- funden werden, so ist gewiss schwer zu sagen, was denn noch denkbares in dem ganzen Kreise unserer realen Er- kenntnisse übrig bleibe? Wenn aber einem von diesen Begriffen durch irgend eine Art von Reflexion eine Hülfe hat geleistet werden können, so ist wohl zu vermuthen,
genommen, wie sie demjenigen natürlich ist, der — noch nicht tief ins metaphysische Denken eingedrungen ist.
Denn allerdings muſsten die Scholastiker die Substanz sich selbst entgegensetzen. Allerdings soll sie selbst gedacht werden als Eins; ihr substantiale aber soll em- pfänglich seyn für das vielfache Haben der vielen Acci- denzen und Attribute. Allerdings sind hier nothwendig zwey Gedanken, die aber freylich Einer seyn sollten, — und nicht können. Die Substanz ist jener homerische Herkules, der selbst bei den seligen Göttern wohnt, während sein Schatten in der Unterwelt wandelt.
Mit einem Worte: das substantiale ist der Wider- spruch im Begriff der Substanz, wodurch sie ein meta- physisches Problem wird.
Was wird nun derjenige thun, dem dies Problem, das allgemeinste der ganzen Metaphysik, eine Anregung zum Denken gegeben hat? Eine dreyfache Wahl liegt vor ihm. Entweder sich in scholastische Grübeley zu versenken, oder mit dem Verslein: grau, Freund, ist alle Theorie, sich tröstend, aus der Schule ins freye Leben sorglos hinüberzutreten (wobey er nicht vergessen darf, daſs sich alsdann die Pforte der Schule hinter ihm schlieſst), oder endlich, die Kraft seines Denkens anzu- strengen, damit er den Grund des Widerspruchs genau erkenne, ihn hinweghebe, und nachsehe, welche Verän- derung hiedurch in dem vorliegenden Begriffe entstehe. Hierüber giebt das Folgende weitere Auskunft.
§. 34.
Wenn die drey Begriffe, des Ich, der Veränderung, und des Dinges mit mehrern Merkmalen, undenkbar er- funden werden, so ist gewiſs schwer zu sagen, was denn noch denkbares in dem ganzen Kreise unserer realen Er- kenntnisse übrig bleibe? Wenn aber einem von diesen Begriffen durch irgend eine Art von Reflexion eine Hülfe hat geleistet werden können, so ist wohl zu vermuthen,
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Denn allerdings muſsten die Scholastiker die Substanz
sich selbst entgegensetzen. Allerdings soll sie selbst
gedacht werden als Eins; ihr substantiale aber soll em-
pfänglich seyn für das vielfache Haben der vielen Acci-
denzen und Attribute. Allerdings sind hier nothwendig
zwey Gedanken, die aber freylich Einer seyn sollten, —
und nicht können. Die Substanz ist jener homerische
Herkules, der selbst bei den seligen Göttern wohnt,
während sein Schatten in der Unterwelt wandelt.
Mit einem Worte: das substantiale ist der Wider-
spruch im Begriff der Substanz, wodurch sie ein meta-
physisches Problem wird.
Was wird nun derjenige thun, dem dies Problem,
das allgemeinste der ganzen Metaphysik, eine Anregung
zum Denken gegeben hat? Eine dreyfache Wahl liegt
vor ihm. Entweder sich in scholastische Grübeley zu
versenken, oder mit dem Verslein: grau, Freund, ist
alle Theorie, sich tröstend, aus der Schule ins freye
Leben sorglos hinüberzutreten (wobey er nicht vergessen
darf, daſs sich alsdann die Pforte der Schule hinter ihm
schlieſst), oder endlich, die Kraft seines Denkens anzu-
strengen, damit er den Grund des Widerspruchs genau
erkenne, ihn hinweghebe, und nachsehe, welche Verän-
derung hiedurch in dem vorliegenden Begriffe entstehe.
Hierüber giebt das Folgende weitere Auskunft.
§. 34.
Wenn die drey Begriffe, des Ich, der Veränderung,
und des Dinges mit mehrern Merkmalen, undenkbar er-
funden werden, so ist gewiſs schwer zu sagen, was denn
noch denkbares in dem ganzen Kreise unserer realen Er-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/146>, abgerufen am 21.11.2024.
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