nehmen, von der nur soviel bekannt sey, dass sie die mehrern Bestimmungen zulasse. Denn immer ist es schon Mehrerley in ihr selber, dass sie gestattet, von jenen meh- rern Bestimmungen auf was immer für eine Weise be- helligt zu werden.
Das Gesagte beruhet übrigens auf der Voraussetzung: man habe die Qualität eines Seyenden anzugeben. Dar- aus eben entspringt die Gefahr, Vieles Seyendes einem einzigen unterzuschieben. Wird der Begriff des Seyn bey Seite gesetzt, so ist für ganz andre Betrachtungen Raum, die wir aber hier nicht verfolgen können.
Statt dessen möchte es beynahe erlaubt seyn, die Warnung gegen das andächtige: die Dinge an sich kennen wir freylich nicht! nochmals zu wiederhoh- len; und zu erinnern, dass widersprechende Be- griffe auf das, was zu seyn scheint, eben so we- nig passen, als auf das was ist. Hiezu aber kommt noch, dass, wie oben gezeigt, die für vest gehaltene Burg des Idealismus (das Selbstbewusstseyn) eben sowohl auf einem Vulkan erbaut ist, als jede Naturlehre, welche die Begriffe von Substanz und Kraft nicht im voraus berich- tigt hat; daher denn die gangbare Theorie von Phäno- menen und Noumenen schwerlich noch einen vesten Punct besitzen möchte, auf welchen sich verlassend, sie die Um- arbeitung der vorliegenden widersprechenden Erfahrungs- Begriffe für unnütz erklären dürfte.
Anmerkung.
Eine historische Erinnerung kann behülflich seyn, dass man den Gegenstand des vorstehenden Paragraphen leichter ins Auge fasse. Bekanntlich ist es gerade der Begriff der Substanz, um welchen die Spitzfindigkeiten der aristotelisch-scholastischen Philosophie sich vorzugs- weise drehen. Nun sind zwar diese Spitzfindigkeiten an sich keine Erkenntniss der Wahrheit; aber sie geben in so fern ein lehrreiches Schauspiel, als sie aufmerksam machen auf einen Punct, der die Denker nothwendig in
nehmen, von der nur soviel bekannt sey, daſs sie die mehrern Bestimmungen zulasse. Denn immer ist es schon Mehrerley in ihr selber, daſs sie gestattet, von jenen meh- rern Bestimmungen auf was immer für eine Weise be- helligt zu werden.
Das Gesagte beruhet übrigens auf der Voraussetzung: man habe die Qualität eines Seyenden anzugeben. Dar- aus eben entspringt die Gefahr, Vieles Seyendes einem einzigen unterzuschieben. Wird der Begriff des Seyn bey Seite gesetzt, so ist für ganz andre Betrachtungen Raum, die wir aber hier nicht verfolgen können.
Statt dessen möchte es beynahe erlaubt seyn, die Warnung gegen das andächtige: die Dinge an sich kennen wir freylich nicht! nochmals zu wiederhoh- len; und zu erinnern, daſs widersprechende Be- griffe auf das, was zu seyn scheint, eben so we- nig passen, als auf das was ist. Hiezu aber kommt noch, daſs, wie oben gezeigt, die für vest gehaltene Burg des Idealismus (das Selbstbewuſstseyn) eben sowohl auf einem Vulkan erbaut ist, als jede Naturlehre, welche die Begriffe von Substanz und Kraft nicht im voraus berich- tigt hat; daher denn die gangbare Theorie von Phäno- menen und Noumenen schwerlich noch einen vesten Punct besitzen möchte, auf welchen sich verlassend, sie die Um- arbeitung der vorliegenden widersprechenden Erfahrungs- Begriffe für unnütz erklären dürfte.
Anmerkung.
Eine historische Erinnerung kann behülflich seyn, daſs man den Gegenstand des vorstehenden Paragraphen leichter ins Auge fasse. Bekanntlich ist es gerade der Begriff der Substanz, um welchen die Spitzfindigkeiten der aristotelisch-scholastischen Philosophie sich vorzugs- weise drehen. Nun sind zwar diese Spitzfindigkeiten an sich keine Erkenntniſs der Wahrheit; aber sie geben in so fern ein lehrreiches Schauspiel, als sie aufmerksam machen auf einen Punct, der die Denker nothwendig in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0144"n="124"/>
nehmen, von der nur soviel bekannt sey, daſs sie die<lb/>
mehrern Bestimmungen zulasse. Denn immer ist es schon<lb/>
Mehrerley in ihr selber, daſs sie gestattet, von jenen meh-<lb/>
rern Bestimmungen auf was immer für eine Weise be-<lb/>
helligt zu werden.</p><lb/><p>Das Gesagte beruhet übrigens auf der Voraussetzung:<lb/>
man habe die Qualität eines <hirendition="#g">Seyenden</hi> anzugeben. Dar-<lb/>
aus eben entspringt die Gefahr, Vieles Seyendes einem<lb/>
einzigen unterzuschieben. Wird der Begriff des <hirendition="#g">Seyn</hi><lb/>
bey Seite gesetzt, so ist für ganz andre Betrachtungen<lb/>
Raum, die wir aber hier nicht verfolgen können.</p><lb/><p>Statt dessen möchte es beynahe erlaubt seyn, die<lb/>
Warnung gegen das andächtige: <hirendition="#g">die Dinge an sich<lb/>
kennen wir freylich nicht</hi>! nochmals zu wiederhoh-<lb/>
len; und zu erinnern, <hirendition="#g">daſs widersprechende Be-<lb/>
griffe auf das, was zu seyn scheint, eben so we-<lb/>
nig passen, als auf das was ist</hi>. Hiezu aber kommt<lb/>
noch, daſs, wie oben gezeigt, die für vest gehaltene Burg<lb/>
des Idealismus (das Selbstbewuſstseyn) eben sowohl auf<lb/>
einem Vulkan erbaut ist, als jede Naturlehre, welche die<lb/>
Begriffe von Substanz und Kraft nicht im voraus berich-<lb/>
tigt hat; daher denn die gangbare Theorie von Phäno-<lb/>
menen und Noumenen schwerlich noch einen vesten Punct<lb/>
besitzen möchte, auf welchen sich verlassend, sie die Um-<lb/>
arbeitung der vorliegenden widersprechenden Erfahrungs-<lb/>
Begriffe für unnütz erklären dürfte.</p></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#g">Anmerkung</hi>.</head><lb/><p>Eine historische Erinnerung kann behülflich seyn,<lb/>
daſs man den Gegenstand des vorstehenden Paragraphen<lb/>
leichter ins Auge fasse. Bekanntlich ist es gerade der<lb/>
Begriff der Substanz, um welchen die Spitzfindigkeiten<lb/>
der aristotelisch-scholastischen Philosophie sich vorzugs-<lb/>
weise drehen. Nun sind zwar diese Spitzfindigkeiten an<lb/>
sich keine Erkenntniſs der Wahrheit; aber sie geben in<lb/>
so fern ein lehrreiches Schauspiel, als sie aufmerksam<lb/>
machen auf einen Punct, der die Denker nothwendig in<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[124/0144]
nehmen, von der nur soviel bekannt sey, daſs sie die
mehrern Bestimmungen zulasse. Denn immer ist es schon
Mehrerley in ihr selber, daſs sie gestattet, von jenen meh-
rern Bestimmungen auf was immer für eine Weise be-
helligt zu werden.
Das Gesagte beruhet übrigens auf der Voraussetzung:
man habe die Qualität eines Seyenden anzugeben. Dar-
aus eben entspringt die Gefahr, Vieles Seyendes einem
einzigen unterzuschieben. Wird der Begriff des Seyn
bey Seite gesetzt, so ist für ganz andre Betrachtungen
Raum, die wir aber hier nicht verfolgen können.
Statt dessen möchte es beynahe erlaubt seyn, die
Warnung gegen das andächtige: die Dinge an sich
kennen wir freylich nicht! nochmals zu wiederhoh-
len; und zu erinnern, daſs widersprechende Be-
griffe auf das, was zu seyn scheint, eben so we-
nig passen, als auf das was ist. Hiezu aber kommt
noch, daſs, wie oben gezeigt, die für vest gehaltene Burg
des Idealismus (das Selbstbewuſstseyn) eben sowohl auf
einem Vulkan erbaut ist, als jede Naturlehre, welche die
Begriffe von Substanz und Kraft nicht im voraus berich-
tigt hat; daher denn die gangbare Theorie von Phäno-
menen und Noumenen schwerlich noch einen vesten Punct
besitzen möchte, auf welchen sich verlassend, sie die Um-
arbeitung der vorliegenden widersprechenden Erfahrungs-
Begriffe für unnütz erklären dürfte.
Anmerkung.
Eine historische Erinnerung kann behülflich seyn,
daſs man den Gegenstand des vorstehenden Paragraphen
leichter ins Auge fasse. Bekanntlich ist es gerade der
Begriff der Substanz, um welchen die Spitzfindigkeiten
der aristotelisch-scholastischen Philosophie sich vorzugs-
weise drehen. Nun sind zwar diese Spitzfindigkeiten an
sich keine Erkenntniſs der Wahrheit; aber sie geben in
so fern ein lehrreiches Schauspiel, als sie aufmerksam
machen auf einen Punct, der die Denker nothwendig in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/144>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.