Wie der Satz des Grundes ausdrückt: Alles was ist, hat einen Grund, oder ist ein Ge- setztes, ein Vermitteltes; so müßte auch ein Satz der Existenz aufgestellt und so ausgedrückt werden: Alles, was ist, existirt. Die Wahrheit des Seyns ist, nicht ein erstes Unmittelbares, sondern das in die Unmittelbarkeit hervorgegangene Wesen zu seyn.
Wenn aber ferner auch gesagt wurde, was exi- stirt, hat einen Grund und ist bedingt, so müßte auch eben so gesagt werden: es hat keinen Grund und ist unbedingt. Denn die Existenz ist die aus dem Aufheben der durch Grund und Bedingung beziehenden Vermittlung hervorgegangene Unmittelbarkeit, die im Hervorgehen eben diß Hervorgehen selbst aufhebt.
Insofern die Beweise von der Existenz Gottes hier erwähnt werden können, ist zum voraus zu erin- nern, daß es ausser dem unmittelbaren Seyn erstens, und zweytens der Existenz, dem Seyn, das aus dem Wesen hervorgeht, noch ein ferneres Seyn gibt, welche aus dem Begriffe hervorgeht, die Objectivität. -- Das Beweisen ist überhaupt die vermittelte Er- kenntniß. Die verschiedenen Arten des Seyns fodern oder enthalten ihre eigene Art der Vermittlung; so wird auch die Natur des Beweisens in Ansehung einer jeden verschieden. Der ontologische Beweis will vom Begriffe ausgehen; er legt den Inbegriff aller Realitäten
zu
Zweytes Buch. II. Abſchnitt.
Erſtes Kapitel. Die Exiſtenz.
Wie der Satz des Grundes ausdruͤckt: Alles was iſt, hat einen Grund, oder iſt ein Ge- ſetztes, ein Vermitteltes; ſo muͤßte auch ein Satz der Exiſtenz aufgeſtellt und ſo ausgedruͤckt werden: Alles, was iſt, exiſtirt. Die Wahrheit des Seyns iſt, nicht ein erſtes Unmittelbares, ſondern das in die Unmittelbarkeit hervorgegangene Weſen zu ſeyn.
Wenn aber ferner auch geſagt wurde, was exi- ſtirt, hat einen Grund und iſt bedingt, ſo muͤßte auch eben ſo geſagt werden: es hat keinen Grund und iſt unbedingt. Denn die Exiſtenz iſt die aus dem Aufheben der durch Grund und Bedingung beziehenden Vermittlung hervorgegangene Unmittelbarkeit, die im Hervorgehen eben diß Hervorgehen ſelbſt aufhebt.
Inſofern die Beweiſe von der Exiſtenz Gottes hier erwaͤhnt werden koͤnnen, iſt zum voraus zu erin- nern, daß es auſſer dem unmittelbaren Seyn erſtens, und zweytens der Exiſtenz, dem Seyn, das aus dem Weſen hervorgeht, noch ein ferneres Seyn gibt, welche aus dem Begriffe hervorgeht, die Objectivitaͤt. — Das Beweiſen iſt uͤberhaupt die vermittelte Er- kenntniß. Die verſchiedenen Arten des Seyns fodern oder enthalten ihre eigene Art der Vermittlung; ſo wird auch die Natur des Beweiſens in Anſehung einer jeden verſchieden. Der ontologiſche Beweis will vom Begriffe ausgehen; er legt den Inbegriff aller Realitaͤten
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Zweytes Buch. II. Abſchnitt.
Erſtes Kapitel.
Die Exiſtenz.
Wie der Satz des Grundes ausdruͤckt: Alles
was iſt, hat einen Grund, oder iſt ein Ge-
ſetztes, ein Vermitteltes; ſo muͤßte auch ein
Satz der Exiſtenz aufgeſtellt und ſo ausgedruͤckt werden:
Alles, was iſt, exiſtirt. Die Wahrheit des Seyns
iſt, nicht ein erſtes Unmittelbares, ſondern das in die
Unmittelbarkeit hervorgegangene Weſen zu ſeyn.
Wenn aber ferner auch geſagt wurde, was exi-
ſtirt, hat einen Grund und iſt bedingt, ſo
muͤßte auch eben ſo geſagt werden: es hat keinen
Grund und iſt unbedingt. Denn die Exiſtenz iſt
die aus dem Aufheben der durch Grund und Bedingung
beziehenden Vermittlung hervorgegangene Unmittelbarkeit,
die im Hervorgehen eben diß Hervorgehen ſelbſt aufhebt.
Inſofern die Beweiſe von der Exiſtenz Gottes
hier erwaͤhnt werden koͤnnen, iſt zum voraus zu erin-
nern, daß es auſſer dem unmittelbaren Seyn erſtens,
und zweytens der Exiſtenz, dem Seyn, das aus dem
Weſen hervorgeht, noch ein ferneres Seyn gibt, welche
aus dem Begriffe hervorgeht, die Objectivitaͤt. —
Das Beweiſen iſt uͤberhaupt die vermittelte Er-
kenntniß. Die verſchiedenen Arten des Seyns fodern
oder enthalten ihre eigene Art der Vermittlung; ſo wird
auch die Natur des Beweiſens in Anſehung einer jeden
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0102_1813/150>, abgerufen am 23.02.2025.
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