Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 5. Einleitung.
ringen Stufe; es war ein Theil des Religionsrechtes aller oder
doch bestimmter Nationen. 1

Noch roher erscheint die Völkersitte im Mittelalter, nicht allein
in den Berührungen der Gläubigen mit den Ungläubigen, sondern
auch selbst unter christlichen Staaten. 2

Dem Christenthum war es indeß vorbehalten, die Völker auf
einen anderen Weg hinzuleiten. Seine Weltliebe, sein Gebot: thue
auch deinen Feinden Gutes, konnte nicht mit einer ewigen Feind-
schaft der Nationen zusammen bestehen. Zur gegenseitigen Annähe-
rung der Europäischen christlichen Staaten und zur Anerkennung
wechselseitiger allgemeiner Rechte trugen besonders folgende Um-
stände bei:

I. die Vereinigung der abendländischen Kirche unter einem geist-
lichen Oberhaupt. Rom hat das Verdienst, auf Abstellung
vieler Barbareien im Völkerverkehr durch geistliche Macht hin-
gewirkt zu haben; 3
II. das Ritterthum und die Kreuzzüge;
III. die durchgängige Verbreitung des Römischen Rechts mit dem
Charakter eines für alle Christen giltigen Rechts. 4

Hierin lag der Anfang eines allgemeinen Europäischen Völkerrechts.
Seine positiven Grundlagen waren die Grundsätze des Christen-
thums und das Römische Recht, so weit es die Kirche nicht miß-
billigte; die für unantastbar, weil natürlich und göttlich, gehaltenen
Regeln des Privatrechts wurden nun auch auf die Völkerverhält-
nisse übertragen, und selbst die Glaubensspaltung des sechszehnten
Jahrhunderts konnte das neugeschlungene Band nicht wieder auf-
lösen, da auch die reformatorischen Lehren daran festhielten.


1 Dies ist im Wesentlichen das Resultat der über diesen Gegenstand gewech-
selten Schriften: W. Wachsmuth, Jus gentium quale obtin. apud Grae-
cos. Berol. 1822. A. W. Heffter, Prol. acad. de antiquo iure gent.
Bonn.
1823.
2 Eine sehr verdienstliche Darstellung davon giebt K. Th. Pütter, Beitr.
zur Völkerrechts-Gesch. u. Wissensch. Leipz. 1843. S. 48. ff.
3 Vergl. vorläufig Walter Kirchenr. §. 340. Pütter a. a. O.
4 Die Juristen des Mittelalters, selbst noch Andreas Alciat zu l. 118 und
225. D. de V. S. lehrten: da durch Antonin Caracalla's Verordnung alle
Insassen des Römerreichs Römische Bürger geworden, so folge, daß alle
Christen nunmehr das Römische Volk darstellten; alle Ungläubige seien nicht
Römer. Nur unter jenen beständen gemeinsame Rechte und Pflichten; ge-

§. 5. Einleitung.
ringen Stufe; es war ein Theil des Religionsrechtes aller oder
doch beſtimmter Nationen. 1

Noch roher erſcheint die Völkerſitte im Mittelalter, nicht allein
in den Berührungen der Gläubigen mit den Ungläubigen, ſondern
auch ſelbſt unter chriſtlichen Staaten. 2

Dem Chriſtenthum war es indeß vorbehalten, die Völker auf
einen anderen Weg hinzuleiten. Seine Weltliebe, ſein Gebot: thue
auch deinen Feinden Gutes, konnte nicht mit einer ewigen Feind-
ſchaft der Nationen zuſammen beſtehen. Zur gegenſeitigen Annähe-
rung der Europäiſchen chriſtlichen Staaten und zur Anerkennung
wechſelſeitiger allgemeiner Rechte trugen beſonders folgende Um-
ſtände bei:

I. die Vereinigung der abendländiſchen Kirche unter einem geiſt-
lichen Oberhaupt. Rom hat das Verdienſt, auf Abſtellung
vieler Barbareien im Völkerverkehr durch geiſtliche Macht hin-
gewirkt zu haben; 3
II. das Ritterthum und die Kreuzzüge;
III. die durchgängige Verbreitung des Römiſchen Rechts mit dem
Charakter eines für alle Chriſten giltigen Rechts. 4

Hierin lag der Anfang eines allgemeinen Europäiſchen Völkerrechts.
Seine poſitiven Grundlagen waren die Grundſätze des Chriſten-
thums und das Römiſche Recht, ſo weit es die Kirche nicht miß-
billigte; die für unantaſtbar, weil natürlich und göttlich, gehaltenen
Regeln des Privatrechts wurden nun auch auf die Völkerverhält-
niſſe übertragen, und ſelbſt die Glaubensſpaltung des ſechszehnten
Jahrhunderts konnte das neugeſchlungene Band nicht wieder auf-
löſen, da auch die reformatoriſchen Lehren daran feſthielten.


1 Dies iſt im Weſentlichen das Reſultat der über dieſen Gegenſtand gewech-
ſelten Schriften: W. Wachsmuth, Jus gentium quale obtin. apud Grae-
cos. Berol. 1822. A. W. Heffter, Prol. acad. de antiquo iure gent.
Bonn.
1823.
2 Eine ſehr verdienſtliche Darſtellung davon giebt K. Th. Pütter, Beitr.
zur Völkerrechts-Geſch. u. Wiſſenſch. Leipz. 1843. S. 48. ff.
3 Vergl. vorläufig Walter Kirchenr. §. 340. Pütter a. a. O.
4 Die Juriſten des Mittelalters, ſelbſt noch Andreas Alciat zu l. 118 und
225. D. de V. S. lehrten: da durch Antonin Caracalla’s Verordnung alle
Inſaſſen des Römerreichs Römiſche Bürger geworden, ſo folge, daß alle
Chriſten nunmehr das Römiſche Volk darſtellten; alle Ungläubige ſeien nicht
Römer. Nur unter jenen beſtänden gemeinſame Rechte und Pflichten; ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0031" n="7"/><fw place="top" type="header">§. 5. <hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
ringen Stufe; es war ein Theil des Religionsrechtes aller oder<lb/>
doch be&#x017F;timmter Nationen. <note place="foot" n="1">Dies i&#x017F;t im We&#x017F;entlichen das Re&#x017F;ultat der über die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand gewech-<lb/>
&#x017F;elten Schriften: <hi rendition="#aq">W. Wachsmuth, Jus gentium quale obtin. apud Grae-<lb/>
cos. Berol. 1822. A. W. Heffter, Prol. acad. de antiquo iure gent.<lb/>
Bonn.</hi> 1823.</note></p><lb/>
          <p>Noch roher er&#x017F;cheint die Völker&#x017F;itte im Mittelalter, nicht allein<lb/>
in den Berührungen der Gläubigen mit den Ungläubigen, &#x017F;ondern<lb/>
auch &#x017F;elb&#x017F;t unter chri&#x017F;tlichen Staaten. <note place="foot" n="2">Eine &#x017F;ehr verdien&#x017F;tliche Dar&#x017F;tellung davon giebt K. Th. Pütter, Beitr.<lb/>
zur Völkerrechts-Ge&#x017F;ch. u. Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;ch. Leipz. 1843. S. 48. ff.</note></p><lb/>
          <p>Dem Chri&#x017F;tenthum war es indeß vorbehalten, die Völker auf<lb/>
einen anderen Weg hinzuleiten. Seine Weltliebe, &#x017F;ein Gebot: thue<lb/>
auch deinen Feinden Gutes, konnte nicht mit einer ewigen Feind-<lb/>
&#x017F;chaft der Nationen zu&#x017F;ammen be&#x017F;tehen. Zur gegen&#x017F;eitigen Annähe-<lb/>
rung der Europäi&#x017F;chen chri&#x017F;tlichen Staaten und zur Anerkennung<lb/>
wech&#x017F;el&#x017F;eitiger allgemeiner Rechte trugen be&#x017F;onders folgende Um-<lb/>
&#x017F;tände bei:</p><lb/>
          <list>
            <item><hi rendition="#aq">I.</hi> die Vereinigung der abendländi&#x017F;chen Kirche unter einem gei&#x017F;t-<lb/>
lichen Oberhaupt. Rom hat das Verdien&#x017F;t, auf Ab&#x017F;tellung<lb/>
vieler Barbareien im Völkerverkehr durch gei&#x017F;tliche Macht hin-<lb/>
gewirkt zu haben; <note place="foot" n="3">Vergl. vorläufig Walter Kirchenr. §. 340. Pütter a. a. O.</note></item><lb/>
            <item><hi rendition="#aq">II.</hi> das Ritterthum und die Kreuzzüge;</item><lb/>
            <item><hi rendition="#aq">III.</hi> die durchgängige Verbreitung des Römi&#x017F;chen Rechts mit dem<lb/>
Charakter eines für alle Chri&#x017F;ten giltigen Rechts. <note xml:id="note-0031" next="#note-0032" place="foot" n="4">Die Juri&#x017F;ten des Mittelalters, &#x017F;elb&#x017F;t noch Andreas Alciat zu <hi rendition="#aq">l.</hi> 118 und<lb/>
225. <hi rendition="#aq">D. de V. S.</hi> lehrten: da durch Antonin Caracalla&#x2019;s Verordnung alle<lb/>
In&#x017F;a&#x017F;&#x017F;en des Römerreichs Römi&#x017F;che Bürger geworden, &#x017F;o folge, daß alle<lb/>
Chri&#x017F;ten nunmehr das Römi&#x017F;che Volk dar&#x017F;tellten; alle Ungläubige &#x017F;eien nicht<lb/>
Römer. Nur unter jenen be&#x017F;tänden gemein&#x017F;ame Rechte und Pflichten; ge-</note></item>
          </list><lb/>
          <p>Hierin lag der Anfang eines allgemeinen Europäi&#x017F;chen Völkerrechts.<lb/>
Seine po&#x017F;itiven Grundlagen waren die Grund&#x017F;ätze des Chri&#x017F;ten-<lb/>
thums und das Römi&#x017F;che Recht, &#x017F;o weit es die Kirche nicht miß-<lb/>
billigte; die für unanta&#x017F;tbar, weil natürlich und göttlich, gehaltenen<lb/>
Regeln des Privatrechts wurden nun auch auf die Völkerverhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e übertragen, und &#x017F;elb&#x017F;t die Glaubens&#x017F;paltung des &#x017F;echszehnten<lb/>
Jahrhunderts konnte das neuge&#x017F;chlungene Band nicht wieder auf-<lb/>&#x017F;en, da auch die reformatori&#x017F;chen Lehren daran fe&#x017F;thielten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0031] §. 5. Einleitung. ringen Stufe; es war ein Theil des Religionsrechtes aller oder doch beſtimmter Nationen. 1 Noch roher erſcheint die Völkerſitte im Mittelalter, nicht allein in den Berührungen der Gläubigen mit den Ungläubigen, ſondern auch ſelbſt unter chriſtlichen Staaten. 2 Dem Chriſtenthum war es indeß vorbehalten, die Völker auf einen anderen Weg hinzuleiten. Seine Weltliebe, ſein Gebot: thue auch deinen Feinden Gutes, konnte nicht mit einer ewigen Feind- ſchaft der Nationen zuſammen beſtehen. Zur gegenſeitigen Annähe- rung der Europäiſchen chriſtlichen Staaten und zur Anerkennung wechſelſeitiger allgemeiner Rechte trugen beſonders folgende Um- ſtände bei: I. die Vereinigung der abendländiſchen Kirche unter einem geiſt- lichen Oberhaupt. Rom hat das Verdienſt, auf Abſtellung vieler Barbareien im Völkerverkehr durch geiſtliche Macht hin- gewirkt zu haben; 3 II. das Ritterthum und die Kreuzzüge; III. die durchgängige Verbreitung des Römiſchen Rechts mit dem Charakter eines für alle Chriſten giltigen Rechts. 4 Hierin lag der Anfang eines allgemeinen Europäiſchen Völkerrechts. Seine poſitiven Grundlagen waren die Grundſätze des Chriſten- thums und das Römiſche Recht, ſo weit es die Kirche nicht miß- billigte; die für unantaſtbar, weil natürlich und göttlich, gehaltenen Regeln des Privatrechts wurden nun auch auf die Völkerverhält- niſſe übertragen, und ſelbſt die Glaubensſpaltung des ſechszehnten Jahrhunderts konnte das neugeſchlungene Band nicht wieder auf- löſen, da auch die reformatoriſchen Lehren daran feſthielten. 1 Dies iſt im Weſentlichen das Reſultat der über dieſen Gegenſtand gewech- ſelten Schriften: W. Wachsmuth, Jus gentium quale obtin. apud Grae- cos. Berol. 1822. A. W. Heffter, Prol. acad. de antiquo iure gent. Bonn. 1823. 2 Eine ſehr verdienſtliche Darſtellung davon giebt K. Th. Pütter, Beitr. zur Völkerrechts-Geſch. u. Wiſſenſch. Leipz. 1843. S. 48. ff. 3 Vergl. vorläufig Walter Kirchenr. §. 340. Pütter a. a. O. 4 Die Juriſten des Mittelalters, ſelbſt noch Andreas Alciat zu l. 118 und 225. D. de V. S. lehrten: da durch Antonin Caracalla’s Verordnung alle Inſaſſen des Römerreichs Römiſche Bürger geworden, ſo folge, daß alle Chriſten nunmehr das Römiſche Volk darſtellten; alle Ungläubige ſeien nicht Römer. Nur unter jenen beſtänden gemeinſame Rechte und Pflichten; ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/31
Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/31>, abgerufen am 26.04.2024.