[Dieser Aufsatz hatte eine zufällige Entstehung in dem Verkehr mit ei- nem älteren Freunde. Er enthält in der That nur die Stimmung des Tages über die Lage der europäischen Angelegenheiten und mag daher als eine Ueber- gangsandeutung von dem jetzigen Völkerrecht zu einem künftigen seine Stelle finden. Dasjenige, was darin verfehlt, verkannt oder nur rein subjectiv ist, wird dem denkenden Leser leicht entgegentreten.]
Nahe genug schon bin ich den Säulen gerückt, welche das Jen- seits von dem Diesseits scheiden, wo man allerdings gedrängt wird, mehr in die Ferne zu schauen, als rückwärts oder in die Gegen- wart. Dennoch, wie schwer ein politisches Testament, ein Testa- ment über das Unverfügbare!
Große Staatsmänner konnten ihrem Lande zuweilen wohl ein Vermächtniß politischer Gedanken hinterlassen, deren Ernte noch einer späteren Nachwelt vorbehalten blieb. Und dennoch, wie we- nige haben vermocht die fernere Geschichte schon im Voraus zu bestimmen. Nur die selbstvollendete That war ihr eigentliches Ver- mächtniß, ihre Unsterblichkeit.
Können wir die Zukunft nach Seherart voraussagen? Wüß- ten wir nur erst die Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart, so könnten wir es vielleicht. Aber, wie Proteus dem Menelaus, würde man oft wohl dem Frager sagen müssen:
Warum fragst Du mich das, Sohn Atreus? daß Du es nie doch Wüßtest, noch meine Gedanken erkundetest. Schwerlich wohl lange Bliebest Du thränenlos, nachdem Du Alles vernommen.
26
Bruchſtück eines politiſchen Teſtaments.
[Dieſer Aufſatz hatte eine zufällige Entſtehung in dem Verkehr mit ei- nem älteren Freunde. Er enthält in der That nur die Stimmung des Tages über die Lage der europäiſchen Angelegenheiten und mag daher als eine Ueber- gangsandeutung von dem jetzigen Völkerrecht zu einem künftigen ſeine Stelle finden. Dasjenige, was darin verfehlt, verkannt oder nur rein ſubjectiv iſt, wird dem denkenden Leſer leicht entgegentreten.]
Nahe genug ſchon bin ich den Säulen gerückt, welche das Jen- ſeits von dem Dieſſeits ſcheiden, wo man allerdings gedrängt wird, mehr in die Ferne zu ſchauen, als rückwärts oder in die Gegen- wart. Dennoch, wie ſchwer ein politiſches Teſtament, ein Teſta- ment über das Unverfügbare!
Große Staatsmänner konnten ihrem Lande zuweilen wohl ein Vermächtniß politiſcher Gedanken hinterlaſſen, deren Ernte noch einer ſpäteren Nachwelt vorbehalten blieb. Und dennoch, wie we- nige haben vermocht die fernere Geſchichte ſchon im Voraus zu beſtimmen. Nur die ſelbſtvollendete That war ihr eigentliches Ver- mächtniß, ihre Unſterblichkeit.
Können wir die Zukunft nach Seherart vorausſagen? Wüß- ten wir nur erſt die Geſchichte der Vergangenheit und Gegenwart, ſo könnten wir es vielleicht. Aber, wie Proteus dem Menelaus, würde man oft wohl dem Frager ſagen müſſen:
Warum fragſt Du mich das, Sohn Atreus? daß Du es nie doch Wüßteſt, noch meine Gedanken erkundeteſt. Schwerlich wohl lange Bliebeſt Du thränenlos, nachdem Du Alles vernommen.
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Bruchſtück
eines
politiſchen Teſtaments.
[Dieſer Aufſatz hatte eine zufällige Entſtehung in dem Verkehr mit ei-
nem älteren Freunde. Er enthält in der That nur die Stimmung des Tages
über die Lage der europäiſchen Angelegenheiten und mag daher als eine Ueber-
gangsandeutung von dem jetzigen Völkerrecht zu einem künftigen ſeine Stelle
finden. Dasjenige, was darin verfehlt, verkannt oder nur rein ſubjectiv iſt, wird
dem denkenden Leſer leicht entgegentreten.]
Nahe genug ſchon bin ich den Säulen gerückt, welche das Jen-
ſeits von dem Dieſſeits ſcheiden, wo man allerdings gedrängt wird,
mehr in die Ferne zu ſchauen, als rückwärts oder in die Gegen-
wart. Dennoch, wie ſchwer ein politiſches Teſtament, ein Teſta-
ment über das Unverfügbare!
Große Staatsmänner konnten ihrem Lande zuweilen wohl ein
Vermächtniß politiſcher Gedanken hinterlaſſen, deren Ernte noch
einer ſpäteren Nachwelt vorbehalten blieb. Und dennoch, wie we-
nige haben vermocht die fernere Geſchichte ſchon im Voraus zu
beſtimmen. Nur die ſelbſtvollendete That war ihr eigentliches Ver-
mächtniß, ihre Unſterblichkeit.
Können wir die Zukunft nach Seherart vorausſagen? Wüß-
ten wir nur erſt die Geſchichte der Vergangenheit und Gegenwart,
ſo könnten wir es vielleicht. Aber, wie Proteus dem Menelaus,
würde man oft wohl dem Frager ſagen müſſen:
Warum fragſt Du mich das, Sohn Atreus? daß Du es nie doch
Wüßteſt, noch meine Gedanken erkundeteſt. Schwerlich wohl lange
Bliebeſt Du thränenlos, nachdem Du Alles vernommen.
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. [401]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/425>, abgerufen am 16.07.2024.
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