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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Bruchstück
eines
politischen Testaments.


[Dieser Aufsatz hatte eine zufällige Entstehung in dem Verkehr mit ei-
nem älteren Freunde. Er enthält in der That nur die Stimmung des Tages
über die Lage der europäischen Angelegenheiten und mag daher als eine Ueber-
gangsandeutung von dem jetzigen Völkerrecht zu einem künftigen seine Stelle
finden. Dasjenige, was darin verfehlt, verkannt oder nur rein subjectiv ist, wird
dem denkenden Leser leicht entgegentreten.]

Nahe genug schon bin ich den Säulen gerückt, welche das Jen-
seits von dem Diesseits scheiden, wo man allerdings gedrängt wird,
mehr in die Ferne zu schauen, als rückwärts oder in die Gegen-
wart. Dennoch, wie schwer ein politisches Testament, ein Testa-
ment über das Unverfügbare!

Große Staatsmänner konnten ihrem Lande zuweilen wohl ein
Vermächtniß politischer Gedanken hinterlassen, deren Ernte noch
einer späteren Nachwelt vorbehalten blieb. Und dennoch, wie we-
nige haben vermocht die fernere Geschichte schon im Voraus zu
bestimmen. Nur die selbstvollendete That war ihr eigentliches Ver-
mächtniß, ihre Unsterblichkeit.

Können wir die Zukunft nach Seherart voraussagen? Wüß-
ten wir nur erst die Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart,
so könnten wir es vielleicht. Aber, wie Proteus dem Menelaus,
würde man oft wohl dem Frager sagen müssen:

Warum fragst Du mich das, Sohn Atreus? daß Du es nie doch
Wüßtest, noch meine Gedanken erkundetest. Schwerlich wohl lange
Bliebest Du thränenlos, nachdem Du Alles vernommen.

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Bruchſtück
eines
politiſchen Teſtaments.


[Dieſer Aufſatz hatte eine zufällige Entſtehung in dem Verkehr mit ei-
nem älteren Freunde. Er enthält in der That nur die Stimmung des Tages
über die Lage der europäiſchen Angelegenheiten und mag daher als eine Ueber-
gangsandeutung von dem jetzigen Völkerrecht zu einem künftigen ſeine Stelle
finden. Dasjenige, was darin verfehlt, verkannt oder nur rein ſubjectiv iſt, wird
dem denkenden Leſer leicht entgegentreten.]

Nahe genug ſchon bin ich den Säulen gerückt, welche das Jen-
ſeits von dem Dieſſeits ſcheiden, wo man allerdings gedrängt wird,
mehr in die Ferne zu ſchauen, als rückwärts oder in die Gegen-
wart. Dennoch, wie ſchwer ein politiſches Teſtament, ein Teſta-
ment über das Unverfügbare!

Große Staatsmänner konnten ihrem Lande zuweilen wohl ein
Vermächtniß politiſcher Gedanken hinterlaſſen, deren Ernte noch
einer ſpäteren Nachwelt vorbehalten blieb. Und dennoch, wie we-
nige haben vermocht die fernere Geſchichte ſchon im Voraus zu
beſtimmen. Nur die ſelbſtvollendete That war ihr eigentliches Ver-
mächtniß, ihre Unſterblichkeit.

Können wir die Zukunft nach Seherart vorausſagen? Wüß-
ten wir nur erſt die Geſchichte der Vergangenheit und Gegenwart,
ſo könnten wir es vielleicht. Aber, wie Proteus dem Menelaus,
würde man oft wohl dem Frager ſagen müſſen:

Warum fragſt Du mich das, Sohn Atreus? daß Du es nie doch
Wüßteſt, noch meine Gedanken erkundeteſt. Schwerlich wohl lange
Bliebeſt Du thränenlos, nachdem Du Alles vernommen.

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[[401]/0425] Bruchſtück eines politiſchen Teſtaments. [Dieſer Aufſatz hatte eine zufällige Entſtehung in dem Verkehr mit ei- nem älteren Freunde. Er enthält in der That nur die Stimmung des Tages über die Lage der europäiſchen Angelegenheiten und mag daher als eine Ueber- gangsandeutung von dem jetzigen Völkerrecht zu einem künftigen ſeine Stelle finden. Dasjenige, was darin verfehlt, verkannt oder nur rein ſubjectiv iſt, wird dem denkenden Leſer leicht entgegentreten.] Nahe genug ſchon bin ich den Säulen gerückt, welche das Jen- ſeits von dem Dieſſeits ſcheiden, wo man allerdings gedrängt wird, mehr in die Ferne zu ſchauen, als rückwärts oder in die Gegen- wart. Dennoch, wie ſchwer ein politiſches Teſtament, ein Teſta- ment über das Unverfügbare! Große Staatsmänner konnten ihrem Lande zuweilen wohl ein Vermächtniß politiſcher Gedanken hinterlaſſen, deren Ernte noch einer ſpäteren Nachwelt vorbehalten blieb. Und dennoch, wie we- nige haben vermocht die fernere Geſchichte ſchon im Voraus zu beſtimmen. Nur die ſelbſtvollendete That war ihr eigentliches Ver- mächtniß, ihre Unſterblichkeit. Können wir die Zukunft nach Seherart vorausſagen? Wüß- ten wir nur erſt die Geſchichte der Vergangenheit und Gegenwart, ſo könnten wir es vielleicht. Aber, wie Proteus dem Menelaus, würde man oft wohl dem Frager ſagen müſſen: Warum fragſt Du mich das, Sohn Atreus? daß Du es nie doch Wüßteſt, noch meine Gedanken erkundeteſt. Schwerlich wohl lange Bliebeſt Du thränenlos, nachdem Du Alles vernommen. 26

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. [401]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/425>, abgerufen am 21.11.2024.