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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 188. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
selben keine entgegenstehende Verfügung ausdrücklich oder stillschwei-
gend getroffen ist; 1 er bedarf endlich keiner vorerstigen gesetzlichen
Anerkennung in den Einzelstaaten, sondern versteht sich von selbst
und kann durch das Gesetz nur unterdrückt oder modificirt wer-
den. Was das Römische Recht darüber enthält, bezieht sich fast
lediglich auf die privatrechtliche Seite der Anwendung, bestätigt
aber dabei mehrentheils das natürliche Princip und bietet nur Ei-
genthümliches dar aus dem antiken Standpunct des Völkerrechts
so wie aus den besonderen Rechtsverhältnissen des Römischen Bür-
gerthums. Daß die neuere Rechtssitte davon mehrfach und sehr
entschieden abgewichen ist, daß sie sich an den obigen Grundsatz
in seiner ganzen Einfachheit und Bestimmtheit hält, ist längst er-
kannt worden. 2

Postliminium der Völker und Staatsgewalten. 3

188. Hat ein Kriegführender das Territorium des Gegners
ganz oder theilweis in Besitz genommen, jedoch dasselbe bereits vor
oder in dem Friedensschluß wieder aufgegeben, so tritt unbedenk-
lich das frühere Staatsverhältniß wieder in Kraft, es mag nun
der Feind sich an einer bloßen Occupation haben genügen lassen
oder sich einer wirklichen Zwischenherrschaft bemächtigt haben; er
mag freiwillig sich zurückgezogen oder der frühere Staat sich sei-
ner mit Gewalt entledigt oder endlich ein Bundesgenosse ihn da-
von befreit haben. 4 Nur die Verdrängung des Feindes durch
einen Dritten ohne eigenes Zuthun giebt wider dessen Willen nicht
von selbst die frühere staatliche Existenz zurück. 5


1 Die älteren Publicisten, verleitet zum Theil durch Schwierigkeiten des Rö-
mischen Rechts, nehmen den Satz nur mit vielen Beschränkungen und als
Ausnahme an. Vattel, welcher ihn im §. 216. noch behauptet, widerspricht
sich selbst im §. 214.
2 S. schon Groot a. a. O. §. 15 u. 19.
3 Franc. Hotomannus, an civitas bello capta, si in libertatem vindicetur,
iure quoque suo pristina omnia recuperet? (Quaest. illust. n.
5.)
4 Groot II, 4, 14. III, 9, §. 9 u. 12. Dazu H. Cocceji. Vattel III,
§. 213. Klüber dr. d. g. §. 270.
5 Nur als billig oder human wird die Restitution gefordert von Vattel
§. 203. Allein ein Rechtsanspruch besteht nicht. Verhandlungen über die
Frage im britischen Parlament s. in Wheaton histoire p. 379. Auch am
Wiener Congreß kam dieselbe in einer weiteren Form, worunter gewissermaßen

§. 188. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
ſelben keine entgegenſtehende Verfügung ausdrücklich oder ſtillſchwei-
gend getroffen iſt; 1 er bedarf endlich keiner vorerſtigen geſetzlichen
Anerkennung in den Einzelſtaaten, ſondern verſteht ſich von ſelbſt
und kann durch das Geſetz nur unterdrückt oder modificirt wer-
den. Was das Römiſche Recht darüber enthält, bezieht ſich faſt
lediglich auf die privatrechtliche Seite der Anwendung, beſtätigt
aber dabei mehrentheils das natürliche Princip und bietet nur Ei-
genthümliches dar aus dem antiken Standpunct des Völkerrechts
ſo wie aus den beſonderen Rechtsverhältniſſen des Römiſchen Bür-
gerthums. Daß die neuere Rechtsſitte davon mehrfach und ſehr
entſchieden abgewichen iſt, daß ſie ſich an den obigen Grundſatz
in ſeiner ganzen Einfachheit und Beſtimmtheit hält, iſt längſt er-
kannt worden. 2

Poſtliminium der Völker und Staatsgewalten. 3

188. Hat ein Kriegführender das Territorium des Gegners
ganz oder theilweis in Beſitz genommen, jedoch daſſelbe bereits vor
oder in dem Friedensſchluß wieder aufgegeben, ſo tritt unbedenk-
lich das frühere Staatsverhältniß wieder in Kraft, es mag nun
der Feind ſich an einer bloßen Occupation haben genügen laſſen
oder ſich einer wirklichen Zwiſchenherrſchaft bemächtigt haben; er
mag freiwillig ſich zurückgezogen oder der frühere Staat ſich ſei-
ner mit Gewalt entledigt oder endlich ein Bundesgenoſſe ihn da-
von befreit haben. 4 Nur die Verdrängung des Feindes durch
einen Dritten ohne eigenes Zuthun giebt wider deſſen Willen nicht
von ſelbſt die frühere ſtaatliche Exiſtenz zurück. 5


1 Die älteren Publiciſten, verleitet zum Theil durch Schwierigkeiten des Rö-
miſchen Rechts, nehmen den Satz nur mit vielen Beſchränkungen und als
Ausnahme an. Vattel, welcher ihn im §. 216. noch behauptet, widerſpricht
ſich ſelbſt im §. 214.
2 S. ſchon Groot a. a. O. §. 15 u. 19.
3 Franc. Hotomannus, an civitas bello capta, si in libertatem vindicetur,
iure quoque suo pristina omnia recuperet? (Quaest. illust. n.
5.)
4 Groot II, 4, 14. III, 9, §. 9 u. 12. Dazu H. Cocceji. Vattel III,
§. 213. Klüber dr. d. g. §. 270.
5 Nur als billig oder human wird die Reſtitution gefordert von Vattel
§. 203. Allein ein Rechtsanſpruch beſteht nicht. Verhandlungen über die
Frage im britiſchen Parlament ſ. in Wheaton histoire p. 379. Auch am
Wiener Congreß kam dieſelbe in einer weiteren Form, worunter gewiſſermaßen
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[311/0335] §. 188. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. ſelben keine entgegenſtehende Verfügung ausdrücklich oder ſtillſchwei- gend getroffen iſt; 1 er bedarf endlich keiner vorerſtigen geſetzlichen Anerkennung in den Einzelſtaaten, ſondern verſteht ſich von ſelbſt und kann durch das Geſetz nur unterdrückt oder modificirt wer- den. Was das Römiſche Recht darüber enthält, bezieht ſich faſt lediglich auf die privatrechtliche Seite der Anwendung, beſtätigt aber dabei mehrentheils das natürliche Princip und bietet nur Ei- genthümliches dar aus dem antiken Standpunct des Völkerrechts ſo wie aus den beſonderen Rechtsverhältniſſen des Römiſchen Bür- gerthums. Daß die neuere Rechtsſitte davon mehrfach und ſehr entſchieden abgewichen iſt, daß ſie ſich an den obigen Grundſatz in ſeiner ganzen Einfachheit und Beſtimmtheit hält, iſt längſt er- kannt worden. 2 Poſtliminium der Völker und Staatsgewalten. 3 188. Hat ein Kriegführender das Territorium des Gegners ganz oder theilweis in Beſitz genommen, jedoch daſſelbe bereits vor oder in dem Friedensſchluß wieder aufgegeben, ſo tritt unbedenk- lich das frühere Staatsverhältniß wieder in Kraft, es mag nun der Feind ſich an einer bloßen Occupation haben genügen laſſen oder ſich einer wirklichen Zwiſchenherrſchaft bemächtigt haben; er mag freiwillig ſich zurückgezogen oder der frühere Staat ſich ſei- ner mit Gewalt entledigt oder endlich ein Bundesgenoſſe ihn da- von befreit haben. 4 Nur die Verdrängung des Feindes durch einen Dritten ohne eigenes Zuthun giebt wider deſſen Willen nicht von ſelbſt die frühere ſtaatliche Exiſtenz zurück. 5 1 Die älteren Publiciſten, verleitet zum Theil durch Schwierigkeiten des Rö- miſchen Rechts, nehmen den Satz nur mit vielen Beſchränkungen und als Ausnahme an. Vattel, welcher ihn im §. 216. noch behauptet, widerſpricht ſich ſelbſt im §. 214. 2 S. ſchon Groot a. a. O. §. 15 u. 19. 3 Franc. Hotomannus, an civitas bello capta, si in libertatem vindicetur, iure quoque suo pristina omnia recuperet? (Quaest. illust. n. 5.) 4 Groot II, 4, 14. III, 9, §. 9 u. 12. Dazu H. Cocceji. Vattel III, §. 213. Klüber dr. d. g. §. 270. 5 Nur als billig oder human wird die Reſtitution gefordert von Vattel §. 203. Allein ein Rechtsanſpruch beſteht nicht. Verhandlungen über die Frage im britiſchen Parlament ſ. in Wheaton histoire p. 379. Auch am Wiener Congreß kam dieſelbe in einer weiteren Form, worunter gewiſſermaßen

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/335>, abgerufen am 22.12.2024.