Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 82. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
Verträge anerkennt, welche den Interessen Aller entsprechen, ohne
welche überhaupt kein Vertrauen und Verkehr denkbar ist. Aller-
dings sind daher die Völkerverträge Etwas, wenn ihnen auch die
Sanctionen des Privatrechts abgehen. Pacta sunt servanda
bleibt dennoch ein oberster Grundsatz des Völkerrechts; 1 nur die
Gegenstände geben dem internationalen Vertragsrecht eine gewisse
Besonderheit, auch besteht in ihm eine größere Ungebundenheit der
Erfüllung, wie nun näher darzustellen ist.

Uebersicht der Verträge im Bereiche des Völkerrechts.

82. Nimmt man das Völkerrecht im weitesten, §. 1. dar-
gelegten Sinn, für das natürliche allen Menschen in ihrer Freiheit
zuständige Recht, so sind der Herrschaft desselben alle Verträge un-
terworfen, welche und so weit sie nicht unter das Gesetz der Ein-
zelstaaten fallen. Es gehören also dahin
alle Verträge unter denjenigen Personen, welche von gar kei-
ner Staatsgewalt, keinem Staatswillen abhangen, z. B. in
Gegenden, wo noch keine Staatsgenossenschaften bestehen,

und diese werden nur durch den subjectiven Willen eine Bedeutung
haben; gewissermaaßer auch
die constitutiven Verträge der Staatsgewalten mit den eige-
nen Völkern über Gegenstände des öffentlichen innern Rechts,

welchen aber der sittliche allgemeine Wille eines jeden Volkes und
das dem schon geschlossenen Staat einwohnende Interesse der Ste-
tigkeit eine dauernde Garantie und Haltbarkeit bis zur gemeinsa-
men Willensänderung verleihet.

Von beiden vorstehenden Categorien wird im Nachfolgenden
keine weitere Rede sein, da sie in andern Gebieten erörtert werden,
sondern nur von denjenigen, welche dem eigentlichen internationa-
len Recht untergeben sind. Dieses sind:

I. Verträge mehrerer Staaten (oder ihrer Repräsentanten), wo-
durch einer gegen den andern oder auch wechselseitig über
Rechte und Besitzungen der Staatsgewalt dergestalt verfügt,
1 Die ältern Publicisten bedienen sich auch des Gemeinsatzes: das Wort ei-
nes Fürsten habe die Geltung eines Eidschwurs. So z. B. de Neumann
l. c.
§. 83. Es ist nicht nöthig, hierzu seine Zuflucht zu nehmen, da nach
der Sittlichkeit des Rechts ein Unterschied zwischen hohen und niedern nicht
zu machen ist.
10

§. 82. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Verträge anerkennt, welche den Intereſſen Aller entſprechen, ohne
welche überhaupt kein Vertrauen und Verkehr denkbar iſt. Aller-
dings ſind daher die Völkerverträge Etwas, wenn ihnen auch die
Sanctionen des Privatrechts abgehen. Pacta sunt servanda
bleibt dennoch ein oberſter Grundſatz des Völkerrechts; 1 nur die
Gegenſtände geben dem internationalen Vertragsrecht eine gewiſſe
Beſonderheit, auch beſteht in ihm eine größere Ungebundenheit der
Erfüllung, wie nun näher darzuſtellen iſt.

Ueberſicht der Verträge im Bereiche des Völkerrechts.

82. Nimmt man das Völkerrecht im weiteſten, §. 1. dar-
gelegten Sinn, für das natürliche allen Menſchen in ihrer Freiheit
zuſtändige Recht, ſo ſind der Herrſchaft deſſelben alle Verträge un-
terworfen, welche und ſo weit ſie nicht unter das Geſetz der Ein-
zelſtaaten fallen. Es gehören alſo dahin
alle Verträge unter denjenigen Perſonen, welche von gar kei-
ner Staatsgewalt, keinem Staatswillen abhangen, z. B. in
Gegenden, wo noch keine Staatsgenoſſenſchaften beſtehen,

und dieſe werden nur durch den ſubjectiven Willen eine Bedeutung
haben; gewiſſermaaßer auch
die conſtitutiven Verträge der Staatsgewalten mit den eige-
nen Völkern über Gegenſtände des öffentlichen innern Rechts,

welchen aber der ſittliche allgemeine Wille eines jeden Volkes und
das dem ſchon geſchloſſenen Staat einwohnende Intereſſe der Ste-
tigkeit eine dauernde Garantie und Haltbarkeit bis zur gemeinſa-
men Willensänderung verleihet.

Von beiden vorſtehenden Categorien wird im Nachfolgenden
keine weitere Rede ſein, da ſie in andern Gebieten erörtert werden,
ſondern nur von denjenigen, welche dem eigentlichen internationa-
len Recht untergeben ſind. Dieſes ſind:

I. Verträge mehrerer Staaten (oder ihrer Repräſentanten), wo-
durch einer gegen den andern oder auch wechſelſeitig über
Rechte und Beſitzungen der Staatsgewalt dergeſtalt verfügt,
1 Die ältern Publiciſten bedienen ſich auch des Gemeinſatzes: das Wort ei-
nes Fürſten habe die Geltung eines Eidſchwurs. So z. B. de Neumann
l. c.
§. 83. Es iſt nicht nöthig, hierzu ſeine Zuflucht zu nehmen, da nach
der Sittlichkeit des Rechts ein Unterſchied zwiſchen hohen und niedern nicht
zu machen iſt.
10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0169" n="145"/><fw place="top" type="header">§. 82. <hi rendition="#g">Vo&#x0364;lkerrecht im Zu&#x017F;tand des Friedens</hi>.</fw><lb/>
Verträge anerkennt, welche den Intere&#x017F;&#x017F;en Aller ent&#x017F;prechen, ohne<lb/>
welche überhaupt kein Vertrauen und Verkehr denkbar i&#x017F;t. Aller-<lb/>
dings &#x017F;ind daher die Völkerverträge Etwas, wenn ihnen auch die<lb/>
Sanctionen des Privatrechts abgehen. <hi rendition="#aq">Pacta sunt servanda</hi><lb/>
bleibt dennoch ein ober&#x017F;ter Grund&#x017F;atz des Völkerrechts; <note place="foot" n="1">Die ältern Publici&#x017F;ten bedienen &#x017F;ich auch des Gemein&#x017F;atzes: das Wort ei-<lb/>
nes Für&#x017F;ten habe die Geltung eines Eid&#x017F;chwurs. So z. B. <hi rendition="#aq">de Neumann<lb/>
l. c.</hi> §. 83. Es i&#x017F;t nicht nöthig, hierzu &#x017F;eine Zuflucht zu nehmen, da nach<lb/>
der Sittlichkeit des Rechts ein Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen hohen und niedern nicht<lb/>
zu machen i&#x017F;t.</note> nur die<lb/>
Gegen&#x017F;tände geben dem internationalen Vertragsrecht eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Be&#x017F;onderheit, auch be&#x017F;teht in ihm eine größere Ungebundenheit der<lb/>
Erfüllung, wie nun näher darzu&#x017F;tellen i&#x017F;t.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>Ueber&#x017F;icht der Verträge im Bereiche des Völkerrechts.</head><lb/>
              <p>82. Nimmt man das Völkerrecht im weite&#x017F;ten, §. 1. dar-<lb/>
gelegten Sinn, für das natürliche allen Men&#x017F;chen in ihrer Freiheit<lb/>
zu&#x017F;tändige Recht, &#x017F;o &#x017F;ind der Herr&#x017F;chaft de&#x017F;&#x017F;elben alle Verträge un-<lb/>
terworfen, welche und &#x017F;o weit &#x017F;ie nicht unter das Ge&#x017F;etz der Ein-<lb/>
zel&#x017F;taaten fallen. Es gehören al&#x017F;o dahin<lb/><hi rendition="#et">alle Verträge unter denjenigen Per&#x017F;onen, welche von gar kei-<lb/>
ner Staatsgewalt, keinem Staatswillen abhangen, z. B. in<lb/>
Gegenden, wo noch keine Staatsgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften be&#x017F;tehen,</hi><lb/>
und die&#x017F;e werden nur durch den &#x017F;ubjectiven Willen eine Bedeutung<lb/>
haben; gewi&#x017F;&#x017F;ermaaßer auch<lb/><hi rendition="#et">die con&#x017F;titutiven Verträge der Staatsgewalten mit den eige-<lb/>
nen Völkern über Gegen&#x017F;tände des öffentlichen innern Rechts,</hi><lb/>
welchen aber der &#x017F;ittliche allgemeine Wille eines jeden Volkes und<lb/>
das dem &#x017F;chon ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Staat einwohnende Intere&#x017F;&#x017F;e der Ste-<lb/>
tigkeit eine dauernde Garantie und Haltbarkeit bis zur gemein&#x017F;a-<lb/>
men Willensänderung verleihet.</p><lb/>
              <p>Von beiden vor&#x017F;tehenden Categorien wird im Nachfolgenden<lb/>
keine weitere Rede &#x017F;ein, da &#x017F;ie in andern Gebieten erörtert werden,<lb/>
&#x017F;ondern nur von denjenigen, welche dem eigentlichen internationa-<lb/>
len Recht untergeben &#x017F;ind. Die&#x017F;es &#x017F;ind:</p><lb/>
              <list>
                <item><hi rendition="#aq">I.</hi> Verträge mehrerer Staaten (oder ihrer Reprä&#x017F;entanten), wo-<lb/>
durch einer gegen den andern oder auch wech&#x017F;el&#x017F;eitig über<lb/>
Rechte und Be&#x017F;itzungen der Staatsgewalt derge&#x017F;talt verfügt,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10</fw><lb/></item>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0169] §. 82. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. Verträge anerkennt, welche den Intereſſen Aller entſprechen, ohne welche überhaupt kein Vertrauen und Verkehr denkbar iſt. Aller- dings ſind daher die Völkerverträge Etwas, wenn ihnen auch die Sanctionen des Privatrechts abgehen. Pacta sunt servanda bleibt dennoch ein oberſter Grundſatz des Völkerrechts; 1 nur die Gegenſtände geben dem internationalen Vertragsrecht eine gewiſſe Beſonderheit, auch beſteht in ihm eine größere Ungebundenheit der Erfüllung, wie nun näher darzuſtellen iſt. Ueberſicht der Verträge im Bereiche des Völkerrechts. 82. Nimmt man das Völkerrecht im weiteſten, §. 1. dar- gelegten Sinn, für das natürliche allen Menſchen in ihrer Freiheit zuſtändige Recht, ſo ſind der Herrſchaft deſſelben alle Verträge un- terworfen, welche und ſo weit ſie nicht unter das Geſetz der Ein- zelſtaaten fallen. Es gehören alſo dahin alle Verträge unter denjenigen Perſonen, welche von gar kei- ner Staatsgewalt, keinem Staatswillen abhangen, z. B. in Gegenden, wo noch keine Staatsgenoſſenſchaften beſtehen, und dieſe werden nur durch den ſubjectiven Willen eine Bedeutung haben; gewiſſermaaßer auch die conſtitutiven Verträge der Staatsgewalten mit den eige- nen Völkern über Gegenſtände des öffentlichen innern Rechts, welchen aber der ſittliche allgemeine Wille eines jeden Volkes und das dem ſchon geſchloſſenen Staat einwohnende Intereſſe der Ste- tigkeit eine dauernde Garantie und Haltbarkeit bis zur gemeinſa- men Willensänderung verleihet. Von beiden vorſtehenden Categorien wird im Nachfolgenden keine weitere Rede ſein, da ſie in andern Gebieten erörtert werden, ſondern nur von denjenigen, welche dem eigentlichen internationa- len Recht untergeben ſind. Dieſes ſind: I. Verträge mehrerer Staaten (oder ihrer Repräſentanten), wo- durch einer gegen den andern oder auch wechſelſeitig über Rechte und Beſitzungen der Staatsgewalt dergeſtalt verfügt, 1 Die ältern Publiciſten bedienen ſich auch des Gemeinſatzes: das Wort ei- nes Fürſten habe die Geltung eines Eidſchwurs. So z. B. de Neumann l. c. §. 83. Es iſt nicht nöthig, hierzu ſeine Zuflucht zu nehmen, da nach der Sittlichkeit des Rechts ein Unterſchied zwiſchen hohen und niedern nicht zu machen iſt. 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/169
Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/169>, abgerufen am 03.12.2024.