Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.Die bescheidne Thamar. VIII. Die bescheidne Thamar. Als sie von Ammon ihrem Bruder zur Ungebühr Dich/ Ammon/ dich kan ich ohn Nachtheil lieben doch der Gestalt/ ohn bösse Werk' und Schein'. Wie solten wir die Freundschafft so betrüben wie solten wir/ als bittre Wurtzel seyn/ die Gallen Saft und falben Wermut träget. Die Uuzucht-Sünd lässt GOtt nicht ungestrafft Die Blutschand ist mit Lebensstraf beleget: Der manches Volk darob hat hingerafft. Der Keuschheit Lob kan keine Schande bringen: behaget dir der Thamar Angesicht/ und hat dein Hertz die Schönheit können zwingen/ so wirst du ja die Schönheit schänden nicht. Die keusche Lieb' hasst alles Lust beflecken/ und diese Blum stösst man nicht in den Koht. Die Ungebühr lässt sich nicht lang bedecken " der kurtzen Lust folgt lange Reu und Noht. " So wünsch' ich nun/ daß ich zu jeden Zeiten gewesen wer ohn' Schönheit und ohn Schuld! Ach solte mich mein Angesicht verleiten daß ich verschertzen wolt so vieler Brüder Huld. Schön ist nicht schön/ wann es zu schnöden Sünden " die Sinne führt. Ob meiner Wangen Lob " muß ich beschämt mein Angesicht entzünden/ mit Tugend Farb und meiner Keuschheit Prob. Jch kan dich nur/ als einen Bruder lieben/ du kanst von mir nicht hoffen Weibestreu: Unkeusche Brunst hat Ammon angetrieben und keusche/ Zucht macht deine Thamar scheu. Gedenk
Die beſcheidne Thamar. VIII. Die beſcheidne Thamar. Als ſie von Ammon ihrem Bruder zur Ungebuͤhr Dich/ Ammon/ dich kan ich ohn Nachtheil lieben doch der Geſtalt/ ohn boͤſſe Werk’ und Schein’. Wie ſolten wir die Freundſchafft ſo betruͤben wie ſolten wir/ als bittre Wurtzel ſeyn/ die Gallen Saft und falben Wermut traͤget. Die Uuzucht-Suͤnd laͤſſt GOtt nicht ungeſtrafft Die Blutſchand iſt mit Lebensſtraf beleget: Der manches Volk darob hat hingerafft. Der Keuſchheit Lob kan keine Schande bringen: behaget dir der Thamar Angeſicht/ und hat dein Hertz die Schoͤnheit koͤnnen zwingen/ ſo wirſt du ja die Schoͤnheit ſchaͤnden nicht. Die keuſche Lieb’ haſſt alles Luſt beflecken/ und dieſe Blum ſtoͤſſt man nicht in den Koht. Die Ungebuͤhr laͤſſt ſich nicht lang bedecken „ der kurtzen Luſt folgt lange Reu und Noht. „ So wuͤnſch’ ich nun/ daß ich zu jeden Zeiten geweſen wer ohn’ Schoͤnheit und ohn Schuld! Ach ſolte mich mein Angeſicht verleiten daß ich verſchertzen wolt ſo vieler Bruͤder Huld. Schoͤn iſt nicht ſchoͤn/ wann es zu ſchnoͤden Suͤnden „ die Sinne fuͤhrt. Ob meiner Wangen Lob „ muß ich beſchaͤmt mein Angeſicht entzuͤnden/ mit Tugend Farb und meiner Keuſchheit Prob. Jch kan dich nur/ als einen Bruder lieben/ du kanſt von mir nicht hoffen Weibestreu: Unkeuſche Brunſt hat Ammon angetrieben und keuſche/ Zucht macht deine Thamar ſcheu. Gedenk
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Die beſcheidne Thamar.
VIII.
Die beſcheidne Thamar.
Als ſie von Ammon ihrem Bruder zur Ungebuͤhr
gereitzet worden.
Dich/ Ammon/ dich kan ich ohn Nachtheil lieben
doch der Geſtalt/ ohn boͤſſe Werk’ und Schein’.
Wie ſolten wir die Freundſchafft ſo betruͤben
wie ſolten wir/ als bittre Wurtzel ſeyn/
die Gallen Saft und falben Wermut traͤget.
Die Uuzucht-Suͤnd laͤſſt GOtt nicht ungeſtrafft
Die Blutſchand iſt mit Lebensſtraf beleget:
Der manches Volk darob hat hingerafft.
Der Keuſchheit Lob kan keine Schande bringen:
behaget dir der Thamar Angeſicht/
und hat dein Hertz die Schoͤnheit koͤnnen zwingen/
ſo wirſt du ja die Schoͤnheit ſchaͤnden nicht.
Die keuſche Lieb’ haſſt alles Luſt beflecken/
und dieſe Blum ſtoͤſſt man nicht in den Koht.
Die Ungebuͤhr laͤſſt ſich nicht lang bedecken „
der kurtzen Luſt folgt lange Reu und Noht. „
So wuͤnſch’ ich nun/ daß ich zu jeden Zeiten
geweſen wer ohn’ Schoͤnheit und ohn Schuld!
Ach ſolte mich mein Angeſicht verleiten
daß ich verſchertzen wolt ſo vieler Bruͤder Huld.
Schoͤn iſt nicht ſchoͤn/ wann es zu ſchnoͤden Suͤnden „
die Sinne fuͤhrt. Ob meiner Wangen Lob „
muß ich beſchaͤmt mein Angeſicht entzuͤnden/
mit Tugend Farb und meiner Keuſchheit Prob.
Jch kan dich nur/ als einen Bruder lieben/
du kanſt von mir nicht hoffen Weibestreu:
Unkeuſche Brunſt hat Ammon angetrieben
und keuſche/ Zucht macht deine Thamar ſcheu.
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Zitationshilfe: | Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 529[527]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/559>, abgerufen am 22.02.2025. |