Harenberg, Johann Christoph: Vernünftige und Christliche Gedancken Uber die VAMPIRS Oder Bluhtsaugende Todten. Wolfenbüttel, 1733.Die Abhandlung §. I. Es ist ein alter und bey dem gemeinen Manne gar bekanter Wahn, daß die verstorbenen Cörper in den Gräbern annoch freßig und bluhtgierig seyn. Auf den umliegenden Dörffern findet sich die Gewohnheit, daß man die Zipfels des Sterbekittels zurückleget oder gar abschneidet. Denn man stehet in der Einbildung, daß der Todte, wenn er dergleichen Zipfel in den Mund bekomme, anfange zu schmacken und zu fressen, mit dem traurigen und schrecklichem Erfolge, daß die Anverwandten einer nach dem andern ausgezehret werden und sterben müssen, so lange solches Fressen oder Schmacken währet. Damit man diesem Ubel zuvorkomme, sind die Einwohner einiger Dorfschaften gewohnt, dem Verstorbenen einen Pflock in dem Hals über der Zunge zu befestigen, damit er die Zunge nach dem To- Die Abhandlung §. I. Es ist ein alter und bey dem gemeinen Manne gar bekanter Wahn, daß die verstorbenen Cörper in den Gräbern annoch freßig und bluhtgierig seyn. Auf den umliegenden Dörffern findet sich die Gewohnheit, daß man die Zipfels des Sterbekittels zurückleget oder gar abschneidet. Denn man stehet in der Einbildung, daß der Todte, wenn er dergleichen Zipfel in den Mund bekomme, anfange zu schmacken und zu fressen, mit dem traurigen und schrecklichem Erfolge, daß die Anverwandten einer nach dem andern ausgezehret werden und sterben müssen, so lange solches Fressen oder Schmacken währet. Damit man diesem Ubel zuvorkomme, sind die Einwohner einiger Dorfschaften gewohnt, dem Verstorbenen einen Pflock in dem Hals über der Zunge zu befestigen, damit er die Zunge nach dem To- <TEI> <text> <pb facs="#f0023" n="25"/> <body> <div n="1"> <head>Die Abhandlung</head><lb/> <div n="2"> <head>§. I.</head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s ist ein alter und bey dem gemeinen Manne gar bekanter Wahn, daß die verstorbenen Cörper in den Gräbern annoch freßig und bluhtgierig seyn. Auf den umliegenden Dörffern findet sich die Gewohnheit, daß man die Zipfels des Sterbekittels zurückleget oder gar abschneidet. Denn man stehet in der Einbildung, daß der Todte, wenn er dergleichen Zipfel in den Mund bekomme, anfange zu schmacken und zu fressen, mit dem traurigen und schrecklichem Erfolge, daß die Anverwandten einer nach dem andern ausgezehret werden und sterben müssen, so lange solches Fressen oder Schmacken währet. Damit man diesem Ubel zuvorkomme, sind die Einwohner einiger Dorfschaften gewohnt, dem Verstorbenen einen Pflock in dem Hals über der Zunge zu befestigen, damit er die Zunge nach dem To- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0023]
Die Abhandlung
§. I.
Es ist ein alter und bey dem gemeinen Manne gar bekanter Wahn, daß die verstorbenen Cörper in den Gräbern annoch freßig und bluhtgierig seyn. Auf den umliegenden Dörffern findet sich die Gewohnheit, daß man die Zipfels des Sterbekittels zurückleget oder gar abschneidet. Denn man stehet in der Einbildung, daß der Todte, wenn er dergleichen Zipfel in den Mund bekomme, anfange zu schmacken und zu fressen, mit dem traurigen und schrecklichem Erfolge, daß die Anverwandten einer nach dem andern ausgezehret werden und sterben müssen, so lange solches Fressen oder Schmacken währet. Damit man diesem Ubel zuvorkomme, sind die Einwohner einiger Dorfschaften gewohnt, dem Verstorbenen einen Pflock in dem Hals über der Zunge zu befestigen, damit er die Zunge nach dem To-
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