Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hanssen, Petrus: Achtzig erläuterte Grund-Fragen. Lübeck u. a., 1731.

Bild:
<< vorherige Seite



dem stärckern weichen muß/ so behält die Empfin-
dung von der Gnade den Sieg in der Seelen.
Hieraus ist offenbar/ daß zu dem Glauben vieles
erfordert werde und er/ wie der Apostel spricht/
nicht jedermanns Ding sey. 2 Thess. III. 2. Es
hat viel zu sagen/ ehe der Mensch dahin gebracht
wird/ daß er den sündlichen und Gottmißgefäl-
ligen Zustand seiner Seelen einsiehet und das
göttl. Gericht über dieselben in dem Gewissen füh-
let. So lang aber dies nicht geschieht/ kan er
nicht glauben. Das Vorurtheil von eigener Ge-
rechtigkeit stand dem Heyland in äuserlicher Ver-
waltung seines Lehr-Amts am meisten im Wege.
Die Phariseer und Schriftgelehrten wolten eben
deswegen/ weil sie davon angenommen/ ihn nicht als
den Helffer der Seelen annehmen. Daß die Zöllner
und Sünder sich insonderheit zu ihm nahen/ hat
eben darin seinen Grund/ daß sie ihr Elend leichter
fühlen/ und um desto ehe geschickt waren/ den
Nutzen des Evangelii an Mühseligen und Belade-
nen zu erkennen. Nach dem Ausspruch des Erlösers
bedürffen die Starcken des Artztes nicht son-
dern die Krancken.
Matth. IX. 12.

LVI.
Ob es möglich sey/ die widrige
Empfindungen unsers Geistes/
welche aus Ubertretung und Sün-
de den Ursprung nehmen auf eine

ande-



dem ſtaͤrckern weichen muß/ ſo behaͤlt die Empfin-
dung von der Gnade den Sieg in der Seelen.
Hieraus iſt offenbar/ daß zu dem Glauben vieles
erfordert werde und er/ wie der Apoſtel ſpricht/
nicht jedermanns Ding ſey. 2 Theſſ. III. 2. Es
hat viel zu ſagen/ ehe der Menſch dahin gebracht
wird/ daß er den ſuͤndlichen und Gottmißgefaͤl-
ligen Zuſtand ſeiner Seelen einſiehet und das
goͤttl. Gericht uͤber dieſelben in dem Gewiſſen fuͤh-
let. So lang aber dies nicht geſchieht/ kan er
nicht glauben. Das Vorurtheil von eigener Ge-
rechtigkeit ſtand dem Heyland in aͤuſerlicher Ver-
waltung ſeines Lehr-Amts am meiſten im Wege.
Die Phariſeer und Schriftgelehrten wolten eben
deswegen/ weil ſie davon angenom̃en/ ihn nicht als
den Helffer der Seelen annehmen. Daß die Zoͤllner
und Suͤnder ſich inſonderheit zu ihm nahen/ hat
eben darin ſeinen Grund/ daß ſie ihr Elend leichter
fuͤhlen/ und um deſto ehe geſchickt waren/ den
Nutzen des Evangelii an Muͤhſeligen und Belade-
nen zu erkennen. Nach dem Ausſpruch des Erloͤſers
beduͤrffen die Starcken des Artztes nicht ſon-
dern die Krancken.
Matth. IX. 12.

LVI.
Ob es moͤglich ſey/ die widrige
Empfindungen unſers Geiſtes/
welche aus Ubertretung und Suͤn-
de den Urſprung nehmen auf eine

ande-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0182" n="130"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
dem &#x017F;ta&#x0364;rckern weichen muß/ &#x017F;o beha&#x0364;lt die Empfin-<lb/>
dung von der Gnade den Sieg in der Seelen.<lb/>
Hieraus i&#x017F;t offenbar/ daß zu dem Glauben vieles<lb/>
erfordert werde und er/ wie der Apo&#x017F;tel &#x017F;pricht/<lb/><hi rendition="#fr">nicht jedermanns Ding &#x017F;ey.</hi> 2 <hi rendition="#aq">The&#x017F;&#x017F;. III.</hi> 2. Es<lb/>
hat viel zu &#x017F;agen/ ehe der Men&#x017F;ch dahin gebracht<lb/>
wird/ daß er den &#x017F;u&#x0364;ndlichen und Gottmißgefa&#x0364;l-<lb/>
ligen Zu&#x017F;tand &#x017F;einer Seelen ein&#x017F;iehet und das<lb/>
go&#x0364;ttl. Gericht u&#x0364;ber die&#x017F;elben in dem Gewi&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;h-<lb/>
let. So lang aber dies nicht ge&#x017F;chieht/ kan er<lb/>
nicht glauben. Das Vorurtheil von eigener Ge-<lb/>
rechtigkeit &#x017F;tand dem Heyland in a&#x0364;u&#x017F;erlicher Ver-<lb/>
waltung &#x017F;eines Lehr-Amts am mei&#x017F;ten im Wege.<lb/>
Die Phari&#x017F;eer und Schriftgelehrten wolten eben<lb/>
deswegen/ weil &#x017F;ie davon angenom&#x0303;en/ ihn nicht als<lb/>
den Helffer der Seelen annehmen. Daß die Zo&#x0364;llner<lb/>
und Su&#x0364;nder &#x017F;ich in&#x017F;onderheit zu ihm nahen/ hat<lb/>
eben darin &#x017F;einen Grund/ daß &#x017F;ie ihr Elend leichter<lb/>
fu&#x0364;hlen/ und um de&#x017F;to ehe ge&#x017F;chickt waren/ den<lb/>
Nutzen des <hi rendition="#aq">Evangelii</hi> an Mu&#x0364;h&#x017F;eligen und Belade-<lb/>
nen zu erkennen. Nach dem Aus&#x017F;pruch des Erlo&#x0364;&#x017F;ers<lb/><hi rendition="#fr">bedu&#x0364;rffen die Starcken des Artztes nicht &#x017F;on-<lb/>
dern die Krancken.</hi> <hi rendition="#aq">Matth. IX.</hi> 12.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">LVI.</hi><lb/> <hi rendition="#b">Ob es mo&#x0364;glich &#x017F;ey/ die widrige<lb/>
Empfindungen un&#x017F;ers Gei&#x017F;tes/<lb/>
welche aus Ubertretung und Su&#x0364;n-<lb/>
de den Ur&#x017F;prung nehmen auf eine</hi><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">ande-</hi> </fw><lb/>
          </head>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0182] dem ſtaͤrckern weichen muß/ ſo behaͤlt die Empfin- dung von der Gnade den Sieg in der Seelen. Hieraus iſt offenbar/ daß zu dem Glauben vieles erfordert werde und er/ wie der Apoſtel ſpricht/ nicht jedermanns Ding ſey. 2 Theſſ. III. 2. Es hat viel zu ſagen/ ehe der Menſch dahin gebracht wird/ daß er den ſuͤndlichen und Gottmißgefaͤl- ligen Zuſtand ſeiner Seelen einſiehet und das goͤttl. Gericht uͤber dieſelben in dem Gewiſſen fuͤh- let. So lang aber dies nicht geſchieht/ kan er nicht glauben. Das Vorurtheil von eigener Ge- rechtigkeit ſtand dem Heyland in aͤuſerlicher Ver- waltung ſeines Lehr-Amts am meiſten im Wege. Die Phariſeer und Schriftgelehrten wolten eben deswegen/ weil ſie davon angenom̃en/ ihn nicht als den Helffer der Seelen annehmen. Daß die Zoͤllner und Suͤnder ſich inſonderheit zu ihm nahen/ hat eben darin ſeinen Grund/ daß ſie ihr Elend leichter fuͤhlen/ und um deſto ehe geſchickt waren/ den Nutzen des Evangelii an Muͤhſeligen und Belade- nen zu erkennen. Nach dem Ausſpruch des Erloͤſers beduͤrffen die Starcken des Artztes nicht ſon- dern die Krancken. Matth. IX. 12. LVI. Ob es moͤglich ſey/ die widrige Empfindungen unſers Geiſtes/ welche aus Ubertretung und Suͤn- de den Urſprung nehmen auf eine ande-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hanssen_grundfragen_1731
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hanssen_grundfragen_1731/182
Zitationshilfe: Hanssen, Petrus: Achtzig erläuterte Grund-Fragen. Lübeck u. a., 1731, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hanssen_grundfragen_1731/182>, abgerufen am 21.12.2024.