Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hanssen, Petrus: Achtzig erläuterte Grund-Fragen. Lübeck u. a., 1731.

Bild:
<< vorherige Seite


Vorrede.

WJllkührliche Meynungen und noht-
wendige Warheiten haben in sich
einen wesentlichen Unterschied, und
werden auf gantz verschiedene Art in der See-
len gezeuget und empfunden. Es ist also
möglich, daß man dieselbe kennen und von
einander unterscheiden kan: ob es gleich schwer
ist und denen Wenigsten gelingt, diesen Un-
terschied zu bemercken und einzusehen. Will-
kührliche Meynungen haben ihren Grund in
einer leeren Einbildung: bey nohtwendigen
Warheiten hingegen ist eine völlige Uberzeu-
gung in dem Verstande. Die Einbildung
unterdessen hat einige Aehnlichkeit mit der U-
berzeugung, und wird bey dem grösten Hauf-
fen vor dieselbe angenommen. Die Meisten
glauben von Dingen, die sie sich selbst nur
also vorgemahlt, überzeuget zu seyn. Es ist
auch nichts schwerer, als die Merckmahle,
wornach man die Uberzeugung von der Ein-
bildung unterscheiden muß, jemanden beyzu-
bringen. Gleichwohl kan man in Erfindung
und Beurtheilung der Warheit, ohne hievon
einen deutlichen Begrif zu haben, ohnmög-
lich glücklich fortkommen, noch etwas Rechtes
ausrichten. Eben daher, daß so wenige die-
sen Unterschied kennen, geschiehet es, daß viele

Jrr-
a


Vorrede.

WJllkuͤhrliche Meynungen und noht-
wendige Warheiten haben in ſich
einen weſentlichen Unterſchied, und
werden auf gantz verſchiedene Art in der See-
len gezeuget und empfunden. Es iſt alſo
moͤglich, daß man dieſelbe kennen und von
einander unterſcheiden kan: ob es gleich ſchwer
iſt und denen Wenigſten gelingt, dieſen Un-
terſchied zu bemercken und einzuſehen. Will-
kuͤhrliche Meynungen haben ihren Grund in
einer leeren Einbildung: bey nohtwendigen
Warheiten hingegen iſt eine voͤllige Uberzeu-
gung in dem Verſtande. Die Einbildung
unterdeſſen hat einige Aehnlichkeit mit der U-
berzeugung, und wird bey dem groͤſten Hauf-
fen vor dieſelbe angenommen. Die Meiſten
glauben von Dingen, die ſie ſich ſelbſt nur
alſo vorgemahlt, uͤberzeuget zu ſeyn. Es iſt
auch nichts ſchwerer, als die Merckmahle,
wornach man die Uberzeugung von der Ein-
bildung unterſcheiden muß, jemanden beyzu-
bringen. Gleichwohl kan man in Erfindung
und Beurtheilung der Warheit, ohne hievon
einen deutlichen Begrif zu haben, ohnmoͤg-
lich gluͤcklich fortkommen, noch etwas Rechtes
ausrichten. Eben daher, daß ſo wenige die-
ſen Unterſchied kennen, geſchiehet es, daß viele

Jrr-
a
<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0013" n="1"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Vorrede.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">W</hi>Jllku&#x0364;hrliche Meynungen und noht-<lb/>
wendige Warheiten haben in &#x017F;ich<lb/>
einen we&#x017F;entlichen Unter&#x017F;chied, und<lb/>
werden auf gantz ver&#x017F;chiedene Art in der See-<lb/>
len gezeuget und empfunden. Es i&#x017F;t al&#x017F;o<lb/>
mo&#x0364;glich, daß man die&#x017F;elbe kennen und von<lb/>
einander unter&#x017F;cheiden kan: ob es gleich &#x017F;chwer<lb/>
i&#x017F;t und denen Wenig&#x017F;ten gelingt, die&#x017F;en Un-<lb/>
ter&#x017F;chied zu bemercken und einzu&#x017F;ehen. Will-<lb/>
ku&#x0364;hrliche Meynungen haben ihren Grund in<lb/>
einer leeren Einbildung: bey nohtwendigen<lb/>
Warheiten hingegen i&#x017F;t eine vo&#x0364;llige Uberzeu-<lb/>
gung in dem Ver&#x017F;tande. Die Einbildung<lb/>
unterde&#x017F;&#x017F;en hat einige Aehnlichkeit mit der U-<lb/>
berzeugung, und wird bey dem gro&#x0364;&#x017F;ten Hauf-<lb/>
fen vor die&#x017F;elbe angenommen. Die Mei&#x017F;ten<lb/>
glauben von Dingen, die &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nur<lb/>
al&#x017F;o vorgemahlt, u&#x0364;berzeuget zu &#x017F;eyn. Es i&#x017F;t<lb/>
auch nichts &#x017F;chwerer, als die Merckmahle,<lb/>
wornach man die Uberzeugung von der Ein-<lb/>
bildung unter&#x017F;cheiden muß, jemanden beyzu-<lb/>
bringen. Gleichwohl kan man in Erfindung<lb/>
und Beurtheilung der Warheit, ohne hievon<lb/>
einen deutlichen Begrif zu haben, ohnmo&#x0364;g-<lb/>
lich glu&#x0364;cklich fortkommen, noch etwas Rechtes<lb/>
ausrichten. Eben daher, daß &#x017F;o wenige die-<lb/>
&#x017F;en Unter&#x017F;chied kennen, ge&#x017F;chiehet es, daß viele<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">a</fw><fw place="bottom" type="catch">Jrr-</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[1/0013] Vorrede. WJllkuͤhrliche Meynungen und noht- wendige Warheiten haben in ſich einen weſentlichen Unterſchied, und werden auf gantz verſchiedene Art in der See- len gezeuget und empfunden. Es iſt alſo moͤglich, daß man dieſelbe kennen und von einander unterſcheiden kan: ob es gleich ſchwer iſt und denen Wenigſten gelingt, dieſen Un- terſchied zu bemercken und einzuſehen. Will- kuͤhrliche Meynungen haben ihren Grund in einer leeren Einbildung: bey nohtwendigen Warheiten hingegen iſt eine voͤllige Uberzeu- gung in dem Verſtande. Die Einbildung unterdeſſen hat einige Aehnlichkeit mit der U- berzeugung, und wird bey dem groͤſten Hauf- fen vor dieſelbe angenommen. Die Meiſten glauben von Dingen, die ſie ſich ſelbſt nur alſo vorgemahlt, uͤberzeuget zu ſeyn. Es iſt auch nichts ſchwerer, als die Merckmahle, wornach man die Uberzeugung von der Ein- bildung unterſcheiden muß, jemanden beyzu- bringen. Gleichwohl kan man in Erfindung und Beurtheilung der Warheit, ohne hievon einen deutlichen Begrif zu haben, ohnmoͤg- lich gluͤcklich fortkommen, noch etwas Rechtes ausrichten. Eben daher, daß ſo wenige die- ſen Unterſchied kennen, geſchiehet es, daß viele Jrr- a

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hanssen_grundfragen_1731
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hanssen_grundfragen_1731/13
Zitationshilfe: Hanssen, Petrus: Achtzig erläuterte Grund-Fragen. Lübeck u. a., 1731, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hanssen_grundfragen_1731/13>, abgerufen am 21.11.2024.