WJllkührliche Meynungen und noht- wendige Warheiten haben in sich einen wesentlichen Unterschied, und werden auf gantz verschiedene Art in der See- len gezeuget und empfunden. Es ist also möglich, daß man dieselbe kennen und von einander unterscheiden kan: ob es gleich schwer ist und denen Wenigsten gelingt, diesen Un- terschied zu bemercken und einzusehen. Will- kührliche Meynungen haben ihren Grund in einer leeren Einbildung: bey nohtwendigen Warheiten hingegen ist eine völlige Uberzeu- gung in dem Verstande. Die Einbildung unterdessen hat einige Aehnlichkeit mit der U- berzeugung, und wird bey dem grösten Hauf- fen vor dieselbe angenommen. Die Meisten glauben von Dingen, die sie sich selbst nur also vorgemahlt, überzeuget zu seyn. Es ist auch nichts schwerer, als die Merckmahle, wornach man die Uberzeugung von der Ein- bildung unterscheiden muß, jemanden beyzu- bringen. Gleichwohl kan man in Erfindung und Beurtheilung der Warheit, ohne hievon einen deutlichen Begrif zu haben, ohnmög- lich glücklich fortkommen, noch etwas Rechtes ausrichten. Eben daher, daß so wenige die- sen Unterschied kennen, geschiehet es, daß viele
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Vorrede.
WJllkuͤhrliche Meynungen und noht- wendige Warheiten haben in ſich einen weſentlichen Unterſchied, und werden auf gantz verſchiedene Art in der See- len gezeuget und empfunden. Es iſt alſo moͤglich, daß man dieſelbe kennen und von einander unterſcheiden kan: ob es gleich ſchwer iſt und denen Wenigſten gelingt, dieſen Un- terſchied zu bemercken und einzuſehen. Will- kuͤhrliche Meynungen haben ihren Grund in einer leeren Einbildung: bey nohtwendigen Warheiten hingegen iſt eine voͤllige Uberzeu- gung in dem Verſtande. Die Einbildung unterdeſſen hat einige Aehnlichkeit mit der U- berzeugung, und wird bey dem groͤſten Hauf- fen vor dieſelbe angenommen. Die Meiſten glauben von Dingen, die ſie ſich ſelbſt nur alſo vorgemahlt, uͤberzeuget zu ſeyn. Es iſt auch nichts ſchwerer, als die Merckmahle, wornach man die Uberzeugung von der Ein- bildung unterſcheiden muß, jemanden beyzu- bringen. Gleichwohl kan man in Erfindung und Beurtheilung der Warheit, ohne hievon einen deutlichen Begrif zu haben, ohnmoͤg- lich gluͤcklich fortkommen, noch etwas Rechtes ausrichten. Eben daher, daß ſo wenige die- ſen Unterſchied kennen, geſchiehet es, daß viele
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[1/0013]
Vorrede.
WJllkuͤhrliche Meynungen und noht-
wendige Warheiten haben in ſich
einen weſentlichen Unterſchied, und
werden auf gantz verſchiedene Art in der See-
len gezeuget und empfunden. Es iſt alſo
moͤglich, daß man dieſelbe kennen und von
einander unterſcheiden kan: ob es gleich ſchwer
iſt und denen Wenigſten gelingt, dieſen Un-
terſchied zu bemercken und einzuſehen. Will-
kuͤhrliche Meynungen haben ihren Grund in
einer leeren Einbildung: bey nohtwendigen
Warheiten hingegen iſt eine voͤllige Uberzeu-
gung in dem Verſtande. Die Einbildung
unterdeſſen hat einige Aehnlichkeit mit der U-
berzeugung, und wird bey dem groͤſten Hauf-
fen vor dieſelbe angenommen. Die Meiſten
glauben von Dingen, die ſie ſich ſelbſt nur
alſo vorgemahlt, uͤberzeuget zu ſeyn. Es iſt
auch nichts ſchwerer, als die Merckmahle,
wornach man die Uberzeugung von der Ein-
bildung unterſcheiden muß, jemanden beyzu-
bringen. Gleichwohl kan man in Erfindung
und Beurtheilung der Warheit, ohne hievon
einen deutlichen Begrif zu haben, ohnmoͤg-
lich gluͤcklich fortkommen, noch etwas Rechtes
ausrichten. Eben daher, daß ſo wenige die-
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Hanssen, Petrus: Achtzig erläuterte Grund-Fragen. Lübeck u. a., 1731, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hanssen_grundfragen_1731/13>, abgerufen am 03.03.2025.
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