§. 10. Es kann die Bewegung einen andern Ursprung, als von der Seele her haben.
Endlich wundre ich mich noch, wie kluge Männer sagen können, daß im Körper keine zeugende Kraft zu Bewegungen statt finden möge (q). Solchergestalt wer- den das Aufbrausen (r), die Fäulnis, Gärung, Schwere, elastische Kraft, und die todte Zusammenziehungskraft, Werke irgend einer Seele sein, welche im Steine den Fall hervorbringe, den Most schäumen macht, die aufge- rollte Uhrfeder aufwikkelt, und den aus dem Schiespulver erzeugten Damf Thürmer über den Haufen zu werfen ver- anlasset. Jn den Pflanzen bewegen und scheiden sich endlich nicht die Säfte ab, sie reifen, ergänzen ihre Theile wieder, und bringen Früchte hervor; wird also nicht auch jeder Schwamm seine Seele haben? und hat er keine, warum ist die thierische Faser zur Bewegung so träge, da doch die Pflanzenfaser so hurtig wirkt? da wir doch nach den Versuchen an der thierischen Faser eine gemeinschaft- liche, beständige und gierige Reizbarkeit, hingegen an den Pflanzen eine schwächere und trägere warnehmen. Und doch hat eine vom Körper losgerissene und zerschnittne, wie auch von allem Wirken der Seele, oder des Willens befreite Muskelfaser (s), eine eben so der Reizbarkeit gehorsame Zusammenziehungskraft, und ein eben so grosses Vermögen, Bewegungen hervorzubringen, noch übrig.
Jch wundere mich endlich, daß ein berümter Mann (t), zu wiederholten malen, den Beweis von der ver- vielfältigten Kraft der Wirksamkeit der Nervenreizungen
vor-
(q)[Spaltenumbruch]
Vielmehr ist der Materie die Bewegungskraft eingepflanzt, BATTIE princip. pag. 87.
(r) Viele andre Kräfte hängen nicht von der Seele ab. v. GEUNS [Spaltenumbruch]
pag. 41. Dieselben erzält KRAFT physic. gener. p. 50.
(s)pag. 458. 459.
(t)SAUVAGES in der ohnlängst ausgefertigten disp. de anim. imper. in cor.
K 3
III. Abſchnitt. Urſachen.
§. 10. Es kann die Bewegung einen andern Urſprung, als von der Seele her haben.
Endlich wundre ich mich noch, wie kluge Maͤnner ſagen koͤnnen, daß im Koͤrper keine zeugende Kraft zu Bewegungen ſtatt finden moͤge (q). Solchergeſtalt wer- den das Aufbrauſen (r), die Faͤulnis, Gaͤrung, Schwere, elaſtiſche Kraft, und die todte Zuſammenziehungskraft, Werke irgend einer Seele ſein, welche im Steine den Fall hervorbringe, den Moſt ſchaͤumen macht, die aufge- rollte Uhrfeder aufwikkelt, und den aus dem Schiespulver erzeugten Damf Thuͤrmer uͤber den Haufen zu werfen ver- anlaſſet. Jn den Pflanzen bewegen und ſcheiden ſich endlich nicht die Saͤfte ab, ſie reifen, ergaͤnzen ihre Theile wieder, und bringen Fruͤchte hervor; wird alſo nicht auch jeder Schwamm ſeine Seele haben? und hat er keine, warum iſt die thieriſche Faſer zur Bewegung ſo traͤge, da doch die Pflanzenfaſer ſo hurtig wirkt? da wir doch nach den Verſuchen an der thieriſchen Faſer eine gemeinſchaft- liche, beſtaͤndige und gierige Reizbarkeit, hingegen an den Pflanzen eine ſchwaͤchere und traͤgere warnehmen. Und doch hat eine vom Koͤrper losgeriſſene und zerſchnittne, wie auch von allem Wirken der Seele, oder des Willens befreite Muſkelfaſer (s), eine eben ſo der Reizbarkeit gehorſame Zuſammenziehungskraft, und ein eben ſo groſſes Vermoͤgen, Bewegungen hervorzubringen, noch uͤbrig.
Jch wundere mich endlich, daß ein beruͤmter Mann (t), zu wiederholten malen, den Beweis von der ver- vielfaͤltigten Kraft der Wirkſamkeit der Nervenreizungen
vor-
(q)[Spaltenumbruch]
Vielmehr iſt der Materie die Bewegungskraft eingepflanzt, BATTIE princip. pag. 87.
(r) Viele andre Kraͤfte haͤngen nicht von der Seele ab. v. GEUNS [Spaltenumbruch]
pag. 41. Dieſelben erzaͤlt KRAFT phyſic. gener. p. 50.
(s)pag. 458. 459.
(t)SAUVAGES in der ohnlaͤngſt ausgefertigten diſp. de anim. imper. in cor.
K 3
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III. Abſchnitt. Urſachen.
§. 10.
Es kann die Bewegung einen andern Urſprung,
als von der Seele her haben.
Endlich wundre ich mich noch, wie kluge Maͤnner
ſagen koͤnnen, daß im Koͤrper keine zeugende Kraft zu
Bewegungen ſtatt finden moͤge (q). Solchergeſtalt wer-
den das Aufbrauſen (r), die Faͤulnis, Gaͤrung, Schwere,
elaſtiſche Kraft, und die todte Zuſammenziehungskraft,
Werke irgend einer Seele ſein, welche im Steine den
Fall hervorbringe, den Moſt ſchaͤumen macht, die aufge-
rollte Uhrfeder aufwikkelt, und den aus dem Schiespulver
erzeugten Damf Thuͤrmer uͤber den Haufen zu werfen ver-
anlaſſet. Jn den Pflanzen bewegen und ſcheiden ſich
endlich nicht die Saͤfte ab, ſie reifen, ergaͤnzen ihre Theile
wieder, und bringen Fruͤchte hervor; wird alſo nicht auch
jeder Schwamm ſeine Seele haben? und hat er keine,
warum iſt die thieriſche Faſer zur Bewegung ſo traͤge, da
doch die Pflanzenfaſer ſo hurtig wirkt? da wir doch nach
den Verſuchen an der thieriſchen Faſer eine gemeinſchaft-
liche, beſtaͤndige und gierige Reizbarkeit, hingegen an den
Pflanzen eine ſchwaͤchere und traͤgere warnehmen. Und
doch hat eine vom Koͤrper losgeriſſene und zerſchnittne,
wie auch von allem Wirken der Seele, oder des Willens
befreite Muſkelfaſer (s), eine eben ſo der Reizbarkeit
gehorſame Zuſammenziehungskraft, und ein eben ſo groſſes
Vermoͤgen, Bewegungen hervorzubringen, noch uͤbrig.
Jch wundere mich endlich, daß ein beruͤmter Mann
(t), zu wiederholten malen, den Beweis von der ver-
vielfaͤltigten Kraft der Wirkſamkeit der Nervenreizungen
vor-
(q)
Vielmehr iſt der Materie
die Bewegungskraft eingepflanzt,
BATTIE princip. pag. 87.
(r) Viele andre Kraͤfte haͤngen
nicht von der Seele ab. v. GEUNS
pag. 41. Dieſelben erzaͤlt KRAFT
phyſic. gener. p. 50.
(s) pag. 458. 459.
(t) SAUVAGES in der
ohnlaͤngſt ausgefertigten diſp. de
anim. imper. in cor.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/167>, abgerufen am 30.12.2024.
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