liegen der Körper, wenn wir wissen, daß diese Körper groß sind, und uns stille zu liegen scheinen, und andere von der Erfahrung hergenommene Sachen.
Die übrigen Hülfsmittel, z. E. das Bestreben, wo- durch wir uns Mühe geben, unser Auge zu ändern, wenn wir die Laage, oder Convexität der Crystallinse ändern (q), oder die Sehachse anders stellen (r), darf ich, weil sie sich auf eine Hypothese gründen, nicht gelten lassen (s).
Ob es endlich gleich wahr ist, daß alles je näher es uns liegt, disseits der Distanz des deutlichen Sehens al- les in der That verwirrter erscheint (t), so habe ich doch niemals erfahren, daß die Seele daraus urtheilt, das Object sei uns näher. Wir pflegen niemals in gemeinen Leben gar zu nahe Objecte zu beschauen: Wie wir öfters aus Noth nach gar zu entfernten Körpern sehen müssen, und wir lernen aus dem Gebrauch, auf was vor Art sie sich im Auge vorstellig machen.
§. 32. Die Bewegung der Ruhe.
Wir urtheilen, daß sich ein Körper bewege, wenn man ihn, den Augenblikk bald in diesem bald in einem an- dern Punkte durch die Sehachse erblikken. Folglich kann sich viel verführerisches hiermit einmischen. Alles scheint zu ruhen, was in einer gegebenen Zeit einen sehr kleinen Raum durchläuft, so daß der Zwischenraum des zweiten Punkts, unter welchem wir es sehen, vom ersten, mit ei- nem gar zu kleinem Winkel gemessen wird. So scheint uns das Sper an einer Uhr stille zu stehen, so wie das Blut in den Blutadern eines lebendigen Frosches, und die Thierchen im Saamen. Wenn man ein Vergrösse-
rungs-
(q)[Spaltenumbruch]HARTLEY p. 202. S' GRA- VEZANDE n. 3111. 3112. BAYLE p. 481. PORTERFIELD II. pag. 386. 387.
(r)[Spaltenumbruch]BAYLE p. 480. S' GRAVE- ZANDE n. 3114. la HIRE p. 536. HARTSOEKER p. 85.
(s)p. 514. 515.
(t)BERKLEY p. 224. 241.
Das Sehen. XVI. Buch.
liegen der Koͤrper, wenn wir wiſſen, daß dieſe Koͤrper groß ſind, und uns ſtille zu liegen ſcheinen, und andere von der Erfahrung hergenommene Sachen.
Die uͤbrigen Huͤlfsmittel, z. E. das Beſtreben, wo- durch wir uns Muͤhe geben, unſer Auge zu aͤndern, wenn wir die Laage, oder Convexitaͤt der Cryſtallinſe aͤndern (q), oder die Sehachſe anders ſtellen (r), darf ich, weil ſie ſich auf eine Hypotheſe gruͤnden, nicht gelten laſſen (s).
Ob es endlich gleich wahr iſt, daß alles je naͤher es uns liegt, diſſeits der Diſtanz des deutlichen Sehens al- les in der That verwirrter erſcheint (t), ſo habe ich doch niemals erfahren, daß die Seele daraus urtheilt, das Object ſei uns naͤher. Wir pflegen niemals in gemeinen Leben gar zu nahe Objecte zu beſchauen: Wie wir oͤfters aus Noth nach gar zu entfernten Koͤrpern ſehen muͤſſen, und wir lernen aus dem Gebrauch, auf was vor Art ſie ſich im Auge vorſtellig machen.
§. 32. Die Bewegung der Ruhe.
Wir urtheilen, daß ſich ein Koͤrper bewege, wenn man ihn, den Augenblikk bald in dieſem bald in einem an- dern Punkte durch die Sehachſe erblikken. Folglich kann ſich viel verfuͤhreriſches hiermit einmiſchen. Alles ſcheint zu ruhen, was in einer gegebenen Zeit einen ſehr kleinen Raum durchlaͤuft, ſo daß der Zwiſchenraum des zweiten Punkts, unter welchem wir es ſehen, vom erſten, mit ei- nem gar zu kleinem Winkel gemeſſen wird. So ſcheint uns das Sper an einer Uhr ſtille zu ſtehen, ſo wie das Blut in den Blutadern eines lebendigen Froſches, und die Thierchen im Saamen. Wenn man ein Vergroͤſſe-
rungs-
(q)[Spaltenumbruch]HARTLEY p. 202. S’ GRA- VEZANDE n. 3111. 3112. BAYLE p. 481. PORTERFIELD II. pag. 386. 387.
(r)[Spaltenumbruch]BAYLE p. 480. S’ GRAVE- ZANDE n. 3114. la HIRE p. 536. HARTSOEKER p. 85.
(s)p. 514. 515.
(t)BERKLEY p. 224. 241.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f1056"n="1038"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das Sehen. <hirendition="#aq">XVI.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
liegen der Koͤrper, wenn wir wiſſen, daß dieſe Koͤrper<lb/>
groß ſind, und uns ſtille zu liegen ſcheinen, und andere<lb/>
von der Erfahrung hergenommene Sachen.</p><lb/><p>Die uͤbrigen Huͤlfsmittel, z. E. das Beſtreben, wo-<lb/>
durch wir uns Muͤhe geben, unſer Auge zu aͤndern, wenn<lb/>
wir die Laage, oder Convexitaͤt der Cryſtallinſe aͤndern<lb/><noteplace="foot"n="(q)"><cb/><hirendition="#aq">HARTLEY p. 202. S’ GRA-<lb/>
VEZANDE n. 3111. 3112. BAYLE<lb/>
p. 481. PORTERFIELD II. pag.</hi><lb/>
386. 387.</note>, oder die Sehachſe anders ſtellen <noteplace="foot"n="(r)"><cb/><hirendition="#aq">BAYLE p. 480. S’ GRAVE-<lb/>
ZANDE n. 3114. la HIRE p. 536.<lb/>
HARTSOEKER p.</hi> 85.</note>, darf ich, weil<lb/>ſie ſich auf eine Hypotheſe gruͤnden, nicht gelten laſſen <noteplace="foot"n="(s)"><hirendition="#aq">p.</hi> 514. 515.</note>.</p><lb/><p>Ob es endlich gleich wahr iſt, daß alles je naͤher es<lb/>
uns liegt, diſſeits der Diſtanz des deutlichen Sehens al-<lb/>
les in der That verwirrter erſcheint <noteplace="foot"n="(t)"><hirendition="#aq">BERKLEY p.</hi> 224. 241.</note>, ſo habe ich doch<lb/>
niemals erfahren, daß die Seele daraus urtheilt, das<lb/>
Object ſei uns naͤher. Wir pflegen niemals in gemeinen<lb/>
Leben gar zu nahe Objecte zu beſchauen: Wie wir oͤfters<lb/>
aus Noth nach gar zu entfernten Koͤrpern ſehen muͤſſen,<lb/>
und wir lernen aus dem Gebrauch, auf was vor Art ſie<lb/>ſich im Auge vorſtellig machen.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 32.<lb/>
Die Bewegung der Ruhe.</head><lb/><p>Wir urtheilen, daß ſich ein Koͤrper bewege, wenn<lb/>
man ihn, den Augenblikk bald in dieſem bald in einem an-<lb/>
dern Punkte durch die Sehachſe erblikken. Folglich kann<lb/>ſich viel verfuͤhreriſches hiermit einmiſchen. Alles ſcheint<lb/>
zu ruhen, was in einer gegebenen Zeit einen ſehr kleinen<lb/>
Raum durchlaͤuft, ſo daß der Zwiſchenraum des zweiten<lb/>
Punkts, unter welchem wir es ſehen, vom erſten, mit ei-<lb/>
nem gar zu kleinem Winkel gemeſſen wird. So ſcheint<lb/>
uns das Sper an einer Uhr ſtille zu ſtehen, ſo wie das<lb/>
Blut in den Blutadern eines lebendigen Froſches, und<lb/>
die Thierchen im Saamen. Wenn man ein Vergroͤſſe-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">rungs-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[1038/1056]
Das Sehen. XVI. Buch.
liegen der Koͤrper, wenn wir wiſſen, daß dieſe Koͤrper
groß ſind, und uns ſtille zu liegen ſcheinen, und andere
von der Erfahrung hergenommene Sachen.
Die uͤbrigen Huͤlfsmittel, z. E. das Beſtreben, wo-
durch wir uns Muͤhe geben, unſer Auge zu aͤndern, wenn
wir die Laage, oder Convexitaͤt der Cryſtallinſe aͤndern
(q), oder die Sehachſe anders ſtellen (r), darf ich, weil
ſie ſich auf eine Hypotheſe gruͤnden, nicht gelten laſſen (s).
Ob es endlich gleich wahr iſt, daß alles je naͤher es
uns liegt, diſſeits der Diſtanz des deutlichen Sehens al-
les in der That verwirrter erſcheint (t), ſo habe ich doch
niemals erfahren, daß die Seele daraus urtheilt, das
Object ſei uns naͤher. Wir pflegen niemals in gemeinen
Leben gar zu nahe Objecte zu beſchauen: Wie wir oͤfters
aus Noth nach gar zu entfernten Koͤrpern ſehen muͤſſen,
und wir lernen aus dem Gebrauch, auf was vor Art ſie
ſich im Auge vorſtellig machen.
§. 32.
Die Bewegung der Ruhe.
Wir urtheilen, daß ſich ein Koͤrper bewege, wenn
man ihn, den Augenblikk bald in dieſem bald in einem an-
dern Punkte durch die Sehachſe erblikken. Folglich kann
ſich viel verfuͤhreriſches hiermit einmiſchen. Alles ſcheint
zu ruhen, was in einer gegebenen Zeit einen ſehr kleinen
Raum durchlaͤuft, ſo daß der Zwiſchenraum des zweiten
Punkts, unter welchem wir es ſehen, vom erſten, mit ei-
nem gar zu kleinem Winkel gemeſſen wird. So ſcheint
uns das Sper an einer Uhr ſtille zu ſtehen, ſo wie das
Blut in den Blutadern eines lebendigen Froſches, und
die Thierchen im Saamen. Wenn man ein Vergroͤſſe-
rungs-
(q)
HARTLEY p. 202. S’ GRA-
VEZANDE n. 3111. 3112. BAYLE
p. 481. PORTERFIELD II. pag.
386. 387.
(r)
BAYLE p. 480. S’ GRAVE-
ZANDE n. 3114. la HIRE p. 536.
HARTSOEKER p. 85.
(s) p. 514. 515.
(t) BERKLEY p. 224. 241.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1038. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1056>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.