Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Gehirn und die Nerven. X. Buch.
§. 3.
Es haben die Knochen keine Empfindung.

Es sind ebenfalls die Knochen und Knorpel ohne
Gefühl, daß dieses wahr sei haben mich die Erfolge in
den Krankheiten gelehrt. Es empfinden die Zähne nicht,
indem man die Empfindung des Nerven, welcher hier
gleichsam nur als ein fremder Gast in den hohlen Zahn
eingeschlossen, aber nicht in dem ganzen Wesen des
Zahns vertheilt ist, nicht dem Zahne selbst zuschreiben
muß, der sich ohne alle Empfindung, wenn der Nerve
gleich noch ganz da ist, abfeilen läßt, und was würde
nicht die Feile für unerträgliche Schmerzen an demsel-
ben verursachen, wenn dieselbe den Nerven erreichen
sollte [Spaltenumbruch] k.

Es empfindet auch die Hirnschaale nicht l, so we-
nig, als die lang gestreckten Knochen. Jch habe die
Hirnschaale, welche doch eine ausserordentliche Dicke,
und vielleicht von dreien Linien hat, ganzer 15 Minuten
lang an einer gesunden Frau, bei grosser Geduld durch-
boren sehn, welche aus einer vorgefaßten Meinung die
Empfindung eines histerischen Kopfschmerzens, auf ein
über die harte Gehirnhaut ergossenes Wasser schob. Es
hätte unmöglich die Empfindung in so langer Zeit ver-
borgen bleiben können, da der Knochen der Hirnschaale
von den Zähnen einer Säge, welche nach der Runde
schneidet, zerstückt wurde, und man sich über diese Grau-
samkeit an einem empfindenden Theile, keine grössere
gedenken kann. Doch es lassen sich auch Knochen ohne
Empfindung und zwar langsam beschaben.

Wenn
k p. 270.
l V. das Zeugniß des berümten
Tschep de amputat. incruenta und
[Spaltenumbruch] die Versuche des Caldan. ep. 2.
p.
379.
Das Gehirn und die Nerven. X. Buch.
§. 3.
Es haben die Knochen keine Empfindung.

Es ſind ebenfalls die Knochen und Knorpel ohne
Gefuͤhl, daß dieſes wahr ſei haben mich die Erfolge in
den Krankheiten gelehrt. Es empfinden die Zaͤhne nicht,
indem man die Empfindung des Nerven, welcher hier
gleichſam nur als ein fremder Gaſt in den hohlen Zahn
eingeſchloſſen, aber nicht in dem ganzen Weſen des
Zahns vertheilt iſt, nicht dem Zahne ſelbſt zuſchreiben
muß, der ſich ohne alle Empfindung, wenn der Nerve
gleich noch ganz da iſt, abfeilen laͤßt, und was wuͤrde
nicht die Feile fuͤr unertraͤgliche Schmerzen an demſel-
ben verurſachen, wenn dieſelbe den Nerven erreichen
ſollte [Spaltenumbruch] k.

Es empfindet auch die Hirnſchaale nicht l, ſo we-
nig, als die lang geſtreckten Knochen. Jch habe die
Hirnſchaale, welche doch eine auſſerordentliche Dicke,
und vielleicht von dreien Linien hat, ganzer 15 Minuten
lang an einer geſunden Frau, bei groſſer Geduld durch-
boren ſehn, welche aus einer vorgefaßten Meinung die
Empfindung eines hiſteriſchen Kopfſchmerzens, auf ein
uͤber die harte Gehirnhaut ergoſſenes Waſſer ſchob. Es
haͤtte unmoͤglich die Empfindung in ſo langer Zeit ver-
borgen bleiben koͤnnen, da der Knochen der Hirnſchaale
von den Zaͤhnen einer Saͤge, welche nach der Runde
ſchneidet, zerſtuͤckt wurde, und man ſich uͤber dieſe Grau-
ſamkeit an einem empfindenden Theile, keine groͤſſere
gedenken kann. Doch es laſſen ſich auch Knochen ohne
Empfindung und zwar langſam beſchaben.

Wenn
k p. 270.
l V. das Zeugniß des beruͤmten
Tſchep de amputat. incruenta und
[Spaltenumbruch] die Verſuche des Caldan. ep. 2.
p.
379.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0462" n="426"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das Gehirn und die Nerven. <hi rendition="#aq">X.</hi> Buch.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 3.<lb/>
Es haben die Knochen keine Empfindung.</head><lb/>
            <p>Es &#x017F;ind ebenfalls die Knochen und Knorpel ohne<lb/>
Gefu&#x0364;hl, daß die&#x017F;es wahr &#x017F;ei haben mich die Erfolge in<lb/>
den Krankheiten gelehrt. Es empfinden die Za&#x0364;hne nicht,<lb/>
indem man die Empfindung des Nerven, welcher hier<lb/>
gleich&#x017F;am nur als ein fremder Ga&#x017F;t in den hohlen Zahn<lb/>
einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, aber nicht in dem ganzen We&#x017F;en des<lb/>
Zahns vertheilt i&#x017F;t, nicht dem Zahne &#x017F;elb&#x017F;t zu&#x017F;chreiben<lb/>
muß, der &#x017F;ich ohne alle Empfindung, wenn der Nerve<lb/>
gleich noch ganz da i&#x017F;t, abfeilen la&#x0364;ßt, und was wu&#x0364;rde<lb/>
nicht die Feile fu&#x0364;r unertra&#x0364;gliche Schmerzen an dem&#x017F;el-<lb/>
ben verur&#x017F;achen, wenn die&#x017F;elbe den Nerven erreichen<lb/>
&#x017F;ollte <cb/>
<note place="foot" n="k"><hi rendition="#aq">p.</hi> 270.</note>.</p><lb/>
            <p>Es empfindet auch die Hirn&#x017F;chaale nicht <note place="foot" n="l">V. das Zeugniß des beru&#x0364;mten<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">T&#x017F;chep</hi> de amputat. incruenta</hi> und<lb/><cb/>
die Ver&#x017F;uche des <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Caldan.</hi> ep. 2.<lb/>
p.</hi> 379.</note>, &#x017F;o we-<lb/>
nig, als die lang ge&#x017F;treckten Knochen. Jch habe die<lb/>
Hirn&#x017F;chaale, welche doch eine au&#x017F;&#x017F;erordentliche Dicke,<lb/>
und vielleicht von dreien Linien hat, ganzer 15 Minuten<lb/>
lang an einer ge&#x017F;unden Frau, bei gro&#x017F;&#x017F;er Geduld durch-<lb/>
boren &#x017F;ehn, welche aus einer vorgefaßten Meinung die<lb/>
Empfindung eines hi&#x017F;teri&#x017F;chen Kopf&#x017F;chmerzens, auf ein<lb/>
u&#x0364;ber die harte Gehirnhaut ergo&#x017F;&#x017F;enes Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chob. Es<lb/>
ha&#x0364;tte unmo&#x0364;glich die Empfindung in &#x017F;o langer Zeit ver-<lb/>
borgen bleiben ko&#x0364;nnen, da der Knochen der Hirn&#x017F;chaale<lb/>
von den Za&#x0364;hnen einer Sa&#x0364;ge, welche nach der Runde<lb/>
&#x017F;chneidet, zer&#x017F;tu&#x0364;ckt wurde, und man &#x017F;ich u&#x0364;ber die&#x017F;e Grau-<lb/>
&#x017F;amkeit an einem empfindenden Theile, keine gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
gedenken kann. Doch es la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich auch Knochen ohne<lb/>
Empfindung und zwar lang&#x017F;am be&#x017F;chaben.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[426/0462] Das Gehirn und die Nerven. X. Buch. §. 3. Es haben die Knochen keine Empfindung. Es ſind ebenfalls die Knochen und Knorpel ohne Gefuͤhl, daß dieſes wahr ſei haben mich die Erfolge in den Krankheiten gelehrt. Es empfinden die Zaͤhne nicht, indem man die Empfindung des Nerven, welcher hier gleichſam nur als ein fremder Gaſt in den hohlen Zahn eingeſchloſſen, aber nicht in dem ganzen Weſen des Zahns vertheilt iſt, nicht dem Zahne ſelbſt zuſchreiben muß, der ſich ohne alle Empfindung, wenn der Nerve gleich noch ganz da iſt, abfeilen laͤßt, und was wuͤrde nicht die Feile fuͤr unertraͤgliche Schmerzen an demſel- ben verurſachen, wenn dieſelbe den Nerven erreichen ſollte k. Es empfindet auch die Hirnſchaale nicht l, ſo we- nig, als die lang geſtreckten Knochen. Jch habe die Hirnſchaale, welche doch eine auſſerordentliche Dicke, und vielleicht von dreien Linien hat, ganzer 15 Minuten lang an einer geſunden Frau, bei groſſer Geduld durch- boren ſehn, welche aus einer vorgefaßten Meinung die Empfindung eines hiſteriſchen Kopfſchmerzens, auf ein uͤber die harte Gehirnhaut ergoſſenes Waſſer ſchob. Es haͤtte unmoͤglich die Empfindung in ſo langer Zeit ver- borgen bleiben koͤnnen, da der Knochen der Hirnſchaale von den Zaͤhnen einer Saͤge, welche nach der Runde ſchneidet, zerſtuͤckt wurde, und man ſich uͤber dieſe Grau- ſamkeit an einem empfindenden Theile, keine groͤſſere gedenken kann. Doch es laſſen ſich auch Knochen ohne Empfindung und zwar langſam beſchaben. Wenn k p. 270. l V. das Zeugniß des beruͤmten Tſchep de amputat. incruenta und die Verſuche des Caldan. ep. 2. p. 379.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/462
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/462>, abgerufen am 30.12.2024.