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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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IV. Keimhüllen des Menschen.
wie bei den Fischen; sie war bei diesen Wasserbewohnern über-
flüssig. Mit der Erwerbung dieser Schutzhüllen stehen bei allen
Amnioten noch zwei andere Veränderungen in engem Zusammen-
hang, erstens der gänzliche Verlust der Kiemen (während die
Kiemenbogen und die Spalten dazwischen als "rudimentäre
Organe" sich forterben); und zweitens die Bildung der Allan-
tois
. Dieser blasenförmige, mit Wasser gefüllte Sack wächst
bei dem Embryo aller Amnioten aus dem Enddarm hervor und
ist nichts Anderes als die vergrößerte Harnblase der Amphibien-
Ahnen. Aus ihrem innersten und untersten Theile bildet sich
später die bleibende Harnblase der Amnioten, während der
größere äußere Theil rückgebildet wird. Gewöhnlich spielt dieser
eine Zeitlang eine wichtige Rolle als Athmungs-Organ des
Embryo, indem sich mächtige Blutgefäße auf seiner Wand aus-
breiten. Sowohl die Entstehung der Keimhüllen (Amnion und
Serolemma), als auch der Allantois, geschieht beim Menschen
genau ebenso, wie bei allen anderen Amnioten, und durch
dieselben verwickelten Processe des Wachsthums; der Mensch
ist ein echtes Amnionthier
.

Die Placenta des Menschen. Die Ernährung des mensch-
lichen Keimes im Mutterleibe geschieht bekanntlich durch ein
eigenthümliches, äußerst blutreiches Organ, die sogenannte
Placenta, den Aderkuchen oder Blutgefäßkuchen. Dieses
wichtige Ernährungs-Organ bildet eine schwammige kreisrunde
Scheibe von 16-20 cm Durchmesser, 3-4 cm Dicke und
1-2 Pfund Gewicht; sie wird nach erfolgter Geburt des Kindes
abgelöst und als sogenannte "Nachgeburt" ausgestoßen. Die
Placenta besteht aus zwei wesentlich verschiedenen Theilen, dem
Fruchtkuchen oder der kindlichen Placenta (P. foetalis) und
dem Mutterkuchen oder dem mütterlichen Gefäßkuchen
(P. uterina). Dieser letztere enthält reichentwickelte Bluträume,
welche ihr Blut durch die Gefäße der Gebärmutter zugeführt

IV. Keimhüllen des Menſchen.
wie bei den Fiſchen; ſie war bei dieſen Waſſerbewohnern über-
flüſſig. Mit der Erwerbung dieſer Schutzhüllen ſtehen bei allen
Amnioten noch zwei andere Veränderungen in engem Zuſammen-
hang, erſtens der gänzliche Verluſt der Kiemen (während die
Kiemenbogen und die Spalten dazwiſchen als „rudimentäre
Organe“ ſich forterben); und zweitens die Bildung der Allan-
tois
. Dieſer blaſenförmige, mit Waſſer gefüllte Sack wächſt
bei dem Embryo aller Amnioten aus dem Enddarm hervor und
iſt nichts Anderes als die vergrößerte Harnblaſe der Amphibien-
Ahnen. Aus ihrem innerſten und unterſten Theile bildet ſich
ſpäter die bleibende Harnblaſe der Amnioten, während der
größere äußere Theil rückgebildet wird. Gewöhnlich ſpielt dieſer
eine Zeitlang eine wichtige Rolle als Athmungs-Organ des
Embryo, indem ſich mächtige Blutgefäße auf ſeiner Wand aus-
breiten. Sowohl die Entſtehung der Keimhüllen (Amnion und
Serolemma), als auch der Allantois, geſchieht beim Menſchen
genau ebenſo, wie bei allen anderen Amnioten, und durch
dieſelben verwickelten Proceſſe des Wachsthums; der Menſch
iſt ein echtes Amnionthier
.

Die Placenta des Menſchen. Die Ernährung des menſch-
lichen Keimes im Mutterleibe geſchieht bekanntlich durch ein
eigenthümliches, äußerſt blutreiches Organ, die ſogenannte
Placenta, den Aderkuchen oder Blutgefäßkuchen. Dieſes
wichtige Ernährungs-Organ bildet eine ſchwammige kreisrunde
Scheibe von 16-20 cm Durchmeſſer, 3-4 cm Dicke und
1-2 Pfund Gewicht; ſie wird nach erfolgter Geburt des Kindes
abgelöſt und als ſogenannte „Nachgeburt“ ausgeſtoßen. Die
Placenta beſteht aus zwei weſentlich verſchiedenen Theilen, dem
Fruchtkuchen oder der kindlichen Placenta (P. foetaliſ) und
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(P. uterina). Dieſer letztere enthält reichentwickelte Bluträume,
welche ihr Blut durch die Gefäße der Gebärmutter zugeführt

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[77/0093] IV. Keimhüllen des Menſchen. wie bei den Fiſchen; ſie war bei dieſen Waſſerbewohnern über- flüſſig. Mit der Erwerbung dieſer Schutzhüllen ſtehen bei allen Amnioten noch zwei andere Veränderungen in engem Zuſammen- hang, erſtens der gänzliche Verluſt der Kiemen (während die Kiemenbogen und die Spalten dazwiſchen als „rudimentäre Organe“ ſich forterben); und zweitens die Bildung der Allan- tois. Dieſer blaſenförmige, mit Waſſer gefüllte Sack wächſt bei dem Embryo aller Amnioten aus dem Enddarm hervor und iſt nichts Anderes als die vergrößerte Harnblaſe der Amphibien- Ahnen. Aus ihrem innerſten und unterſten Theile bildet ſich ſpäter die bleibende Harnblaſe der Amnioten, während der größere äußere Theil rückgebildet wird. Gewöhnlich ſpielt dieſer eine Zeitlang eine wichtige Rolle als Athmungs-Organ des Embryo, indem ſich mächtige Blutgefäße auf ſeiner Wand aus- breiten. Sowohl die Entſtehung der Keimhüllen (Amnion und Serolemma), als auch der Allantois, geſchieht beim Menſchen genau ebenſo, wie bei allen anderen Amnioten, und durch dieſelben verwickelten Proceſſe des Wachsthums; der Menſch iſt ein echtes Amnionthier. Die Placenta des Menſchen. Die Ernährung des menſch- lichen Keimes im Mutterleibe geſchieht bekanntlich durch ein eigenthümliches, äußerſt blutreiches Organ, die ſogenannte Placenta, den Aderkuchen oder Blutgefäßkuchen. Dieſes wichtige Ernährungs-Organ bildet eine ſchwammige kreisrunde Scheibe von 16-20 cm Durchmeſſer, 3-4 cm Dicke und 1-2 Pfund Gewicht; ſie wird nach erfolgter Geburt des Kindes abgelöſt und als ſogenannte „Nachgeburt“ ausgeſtoßen. Die Placenta beſteht aus zwei weſentlich verſchiedenen Theilen, dem Fruchtkuchen oder der kindlichen Placenta (P. foetaliſ) und dem Mutterkuchen oder dem mütterlichen Gefäßkuchen (P. uterina). Dieſer letztere enthält reichentwickelte Bluträume, welche ihr Blut durch die Gefäße der Gebärmutter zugeführt

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/93>, abgerufen am 26.04.2024.