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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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III. Cellular-Pathologie.
Protozoen vollkommen gerechtfertigt wird, und daß "die psy-
chischen Vorgänge im Protistenreiche die Brücke bilden, welche
die chemischen Processe in der unorganischen Natur mit dem
Seelenleben der höchsten Thiere verbindet". Weiter ausgeführt
und gestützt auf die moderne Entwickelungslehre hat Verworn
diese Ansichten in seiner "Allgemeinen Physiologie" (zweite
Auflage 1897). Dieses ausgezeichnete Werk geht zum ersten
Male wieder auf den umfassenden Standpunkt von Johannes
Müller
zurück, im Gegensatze zu den einseitigen und be-
schränkten Methoden jener modernen Physiologen, welche glauben,
ausschließlich durch physikalische und chemische Experimente das
Wesen der Lebens-Erscheinungen ergründen zu können. Ver-
worn
zeigte, daß nur durch die vergleichende Methode
Müller's und durch das Vertiefen in die Physiologie der
Zelle jener höhere Standpunkt gewonnen werden kann, der uns
einen einheitlichen Ueberblick über das wundervolle Gesammt-Gebiet
der Lebens-Erscheinungen gewährt; nur dadurch gelangen wir
zu der Ueberzeugung, daß auch die sämmtlichen Lebensthätigkeiten
des Menschen denselben Gesetzen der Physik und Chemie unter-
liegen wie diejenigen aller anderen Thiere.

Cellular-Pathologie. Die fundamentale Bedeutung der
Zellen-Theorie für alle Zweige der Biologie bewährte sich in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht allein in den groß-
artigen Fortschritten der gesammten Morphologie und Physiologie,
sondern auch besonders in der totalen Reform derjenigen bio-
logischen Wissenschaft, welche vermöge ihrer Beziehungen zur prak-
tischen Heilkunst von jeher die größte Bedeutung in Anspruch
nahm, der Pathologie oder Krankheitslehre. Daß die Krank-
heiten des Menschen wie aller übrigen Lebewesen Natur-
Erscheinungen sind und also gleich den übrigen Lebens-Funktionen
nur naturwissenschaftlich erforscht werden können, war ja schon
vielen älteren Aerzten zur festen Ueberzeugung geworden. Auch

III. Cellular-Pathologie.
Protozoen vollkommen gerechtfertigt wird, und daß „die pſy-
chiſchen Vorgänge im Protiſtenreiche die Brücke bilden, welche
die chemiſchen Proceſſe in der unorganiſchen Natur mit dem
Seelenleben der höchſten Thiere verbindet“. Weiter ausgeführt
und geſtützt auf die moderne Entwickelungslehre hat Verworn
dieſe Anſichten in ſeiner „Allgemeinen Phyſiologie“ (zweite
Auflage 1897). Dieſes ausgezeichnete Werk geht zum erſten
Male wieder auf den umfaſſenden Standpunkt von Johannes
Müller
zurück, im Gegenſatze zu den einſeitigen und be-
ſchränkten Methoden jener modernen Phyſiologen, welche glauben,
ausſchließlich durch phyſikaliſche und chemiſche Experimente das
Weſen der Lebens-Erſcheinungen ergründen zu können. Ver-
worn
zeigte, daß nur durch die vergleichende Methode
Müller's und durch das Vertiefen in die Phyſiologie der
Zelle jener höhere Standpunkt gewonnen werden kann, der uns
einen einheitlichen Ueberblick über das wundervolle Geſammt-Gebiet
der Lebens-Erſcheinungen gewährt; nur dadurch gelangen wir
zu der Ueberzeugung, daß auch die ſämmtlichen Lebensthätigkeiten
des Menſchen denſelben Geſetzen der Phyſik und Chemie unter-
liegen wie diejenigen aller anderen Thiere.

Cellular-Pathologie. Die fundamentale Bedeutung der
Zellen-Theorie für alle Zweige der Biologie bewährte ſich in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht allein in den groß-
artigen Fortſchritten der geſammten Morphologie und Phyſiologie,
ſondern auch beſonders in der totalen Reform derjenigen bio-
logiſchen Wiſſenſchaft, welche vermöge ihrer Beziehungen zur prak-
tiſchen Heilkunſt von jeher die größte Bedeutung in Anſpruch
nahm, der Pathologie oder Krankheitslehre. Daß die Krank-
heiten des Menſchen wie aller übrigen Lebeweſen Natur-
Erſcheinungen ſind und alſo gleich den übrigen Lebens-Funktionen
nur naturwiſſenſchaftlich erforſcht werden können, war ja ſchon
vielen älteren Aerzten zur feſten Ueberzeugung geworden. Auch

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[57/0073] III. Cellular-Pathologie. Protozoen vollkommen gerechtfertigt wird, und daß „die pſy- chiſchen Vorgänge im Protiſtenreiche die Brücke bilden, welche die chemiſchen Proceſſe in der unorganiſchen Natur mit dem Seelenleben der höchſten Thiere verbindet“. Weiter ausgeführt und geſtützt auf die moderne Entwickelungslehre hat Verworn dieſe Anſichten in ſeiner „Allgemeinen Phyſiologie“ (zweite Auflage 1897). Dieſes ausgezeichnete Werk geht zum erſten Male wieder auf den umfaſſenden Standpunkt von Johannes Müller zurück, im Gegenſatze zu den einſeitigen und be- ſchränkten Methoden jener modernen Phyſiologen, welche glauben, ausſchließlich durch phyſikaliſche und chemiſche Experimente das Weſen der Lebens-Erſcheinungen ergründen zu können. Ver- worn zeigte, daß nur durch die vergleichende Methode Müller's und durch das Vertiefen in die Phyſiologie der Zelle jener höhere Standpunkt gewonnen werden kann, der uns einen einheitlichen Ueberblick über das wundervolle Geſammt-Gebiet der Lebens-Erſcheinungen gewährt; nur dadurch gelangen wir zu der Ueberzeugung, daß auch die ſämmtlichen Lebensthätigkeiten des Menſchen denſelben Geſetzen der Phyſik und Chemie unter- liegen wie diejenigen aller anderen Thiere. Cellular-Pathologie. Die fundamentale Bedeutung der Zellen-Theorie für alle Zweige der Biologie bewährte ſich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht allein in den groß- artigen Fortſchritten der geſammten Morphologie und Phyſiologie, ſondern auch beſonders in der totalen Reform derjenigen bio- logiſchen Wiſſenſchaft, welche vermöge ihrer Beziehungen zur prak- tiſchen Heilkunſt von jeher die größte Bedeutung in Anſpruch nahm, der Pathologie oder Krankheitslehre. Daß die Krank- heiten des Menſchen wie aller übrigen Lebeweſen Natur- Erſcheinungen ſind und alſo gleich den übrigen Lebens-Funktionen nur naturwiſſenſchaftlich erforſcht werden können, war ja ſchon vielen älteren Aerzten zur feſten Ueberzeugung geworden. Auch

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/73>, abgerufen am 26.04.2024.