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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XI. Aetherische und gasförmige Seelen.
dualistischen Auffassung führte. Wenn der Mensch starb, blieb
der Körper als todte Leiche zurück; die unsterbliche Seele aber
"entfloh aus demselben mit dem letzten Athemzuge".

Aether-Seele. Die Vergleichung der menschlichen Seele
mit dem physikalischen Aether als qualitativ ähnlichem Gebilde
hat in neuerer Zeit eine konkretere Gestalt gewonnen durch die
großartigen Fortschritte der Optik und der Elektricität (besonders
im letzten Decennium); denn diese haben uns mit der Energie des
Aethers bekannt gemacht und damit zugleich gewisse Schlüsse auf
die materielle Natur dieses raumerfüllenden Wesens gestattet.
Da ich diese wichtigen Verhältnisse später (im 12. Kapitel) be-
sprechen werde, will ich mich hier nicht weiter dabei aufhalten,
sondern nur kurz darauf hinweisen, daß dadurch die Annahme
einer Aether-Seele vollkommen unhaltbar geworden ist. Eine
solche "ätherische Seele", d. h. eine Seelen-Substanz, welche
dem physikalischen Aether ähnlich ist und gleich ihm zwischen
den wägbaren Theilchen des lebendigen Plasma oder den Gehirn-
Molekeln schwebt, kann unmöglich individuelles Seelenleben her-
vorbringen. Weder die mystischen Anschauungen, welche darüber
um die Mitte unseres Jahrhunderts lebhaft diskutirt wurden,
noch die Versuche des modernen Neovitalismus, die mystische
"Lebenskraft" mit dem physikalischen Aether in Beziehung zu
setzen, sind heute mehr der Widerlegung bedürftig.

Luft-Seele. Viel allgemeiner verbreitet und auch heute
noch in hohem Ansehen steht jene Anschauung, welche der Seelen-
Substanz eine gasförmige Beschaffenheit zuschreibt. Uralt ist
die Vergleichung des menschlichen Athemzuges mit dem wehenden
Windhauche; beide wurden ursprünglich für identisch gehalten
und mit demselben Namen belegt. Anemos und Psyche der
Griechen, Anima und Spiritus der Römer sind ursprünglich
Bezeichnungen für den Lufthauch des Windes; sie wurden von
diesem auf den Athemhauch des Menschen übertragen. Später

XI. Aetheriſche und gasförmige Seelen.
dualiſtiſchen Auffaſſung führte. Wenn der Menſch ſtarb, blieb
der Körper als todte Leiche zurück; die unſterbliche Seele aber
„entfloh aus demſelben mit dem letzten Athemzuge“.

Aether-Seele. Die Vergleichung der menſchlichen Seele
mit dem phyſikaliſchen Aether als qualitativ ähnlichem Gebilde
hat in neuerer Zeit eine konkretere Geſtalt gewonnen durch die
großartigen Fortſchritte der Optik und der Elektricität (beſonders
im letzten Decennium); denn dieſe haben uns mit der Energie des
Aethers bekannt gemacht und damit zugleich gewiſſe Schlüſſe auf
die materielle Natur dieſes raumerfüllenden Weſens geſtattet.
Da ich dieſe wichtigen Verhältniſſe ſpäter (im 12. Kapitel) be-
ſprechen werde, will ich mich hier nicht weiter dabei aufhalten,
ſondern nur kurz darauf hinweiſen, daß dadurch die Annahme
einer Aether-Seele vollkommen unhaltbar geworden iſt. Eine
ſolche „ätheriſche Seele“, d. h. eine Seelen-Subſtanz, welche
dem phyſikaliſchen Aether ähnlich iſt und gleich ihm zwiſchen
den wägbaren Theilchen des lebendigen Plasma oder den Gehirn-
Molekeln ſchwebt, kann unmöglich individuelles Seelenleben her-
vorbringen. Weder die myſtiſchen Anſchauungen, welche darüber
um die Mitte unſeres Jahrhunderts lebhaft diskutirt wurden,
noch die Verſuche des modernen Neovitalismus, die myſtiſche
„Lebenskraft“ mit dem phyſikaliſchen Aether in Beziehung zu
ſetzen, ſind heute mehr der Widerlegung bedürftig.

Luft-Seele. Viel allgemeiner verbreitet und auch heute
noch in hohem Anſehen ſteht jene Anſchauung, welche der Seelen-
Subſtanz eine gasförmige Beſchaffenheit zuſchreibt. Uralt iſt
die Vergleichung des menſchlichen Athemzuges mit dem wehenden
Windhauche; beide wurden urſprünglich für identiſch gehalten
und mit demſelben Namen belegt. Anemos und Pſyche der
Griechen, Anima und Spiritus der Römer ſind urſprünglich
Bezeichnungen für den Lufthauch des Windes; ſie wurden von
dieſem auf den Athemhauch des Menſchen übertragen. Später

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[231/0247] XI. Aetheriſche und gasförmige Seelen. dualiſtiſchen Auffaſſung führte. Wenn der Menſch ſtarb, blieb der Körper als todte Leiche zurück; die unſterbliche Seele aber „entfloh aus demſelben mit dem letzten Athemzuge“. Aether-Seele. Die Vergleichung der menſchlichen Seele mit dem phyſikaliſchen Aether als qualitativ ähnlichem Gebilde hat in neuerer Zeit eine konkretere Geſtalt gewonnen durch die großartigen Fortſchritte der Optik und der Elektricität (beſonders im letzten Decennium); denn dieſe haben uns mit der Energie des Aethers bekannt gemacht und damit zugleich gewiſſe Schlüſſe auf die materielle Natur dieſes raumerfüllenden Weſens geſtattet. Da ich dieſe wichtigen Verhältniſſe ſpäter (im 12. Kapitel) be- ſprechen werde, will ich mich hier nicht weiter dabei aufhalten, ſondern nur kurz darauf hinweiſen, daß dadurch die Annahme einer Aether-Seele vollkommen unhaltbar geworden iſt. Eine ſolche „ätheriſche Seele“, d. h. eine Seelen-Subſtanz, welche dem phyſikaliſchen Aether ähnlich iſt und gleich ihm zwiſchen den wägbaren Theilchen des lebendigen Plasma oder den Gehirn- Molekeln ſchwebt, kann unmöglich individuelles Seelenleben her- vorbringen. Weder die myſtiſchen Anſchauungen, welche darüber um die Mitte unſeres Jahrhunderts lebhaft diskutirt wurden, noch die Verſuche des modernen Neovitalismus, die myſtiſche „Lebenskraft“ mit dem phyſikaliſchen Aether in Beziehung zu ſetzen, ſind heute mehr der Widerlegung bedürftig. Luft-Seele. Viel allgemeiner verbreitet und auch heute noch in hohem Anſehen ſteht jene Anſchauung, welche der Seelen- Subſtanz eine gasförmige Beſchaffenheit zuſchreibt. Uralt iſt die Vergleichung des menſchlichen Athemzuges mit dem wehenden Windhauche; beide wurden urſprünglich für identiſch gehalten und mit demſelben Namen belegt. Anemos und Pſyche der Griechen, Anima und Spiritus der Römer ſind urſprünglich Bezeichnungen für den Lufthauch des Windes; ſie wurden von dieſem auf den Athemhauch des Menſchen übertragen. Später

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/247>, abgerufen am 26.04.2024.