Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

in ihren alten Traditionen erhalten werden, wird die Geschichte um eine neue Epoche betrogen. Die Augen der Zeit, die kaum noch so hoffnungsfreudig leuchtenden, haben sich mit wehmüthigen Wimpern bedeckt; wir leben vom Tage zum Tage, von der Stunde zur Stunde. Das einzige, was uns als neu und originell übrig geblieben ist, ist die Umwandlung der Phantasie in den spottenden Witz einer entsagenden Reflexion. Wir waren am Ziele, eine neue Zeit zu schaffen, und sind jetzt so weit herunter, daß wir kaum im Stande seyn werden, das vorige Jahrhundert so geistreich und originell zu reproduziren, wie jenes war. Der Grundton des leichtsinnigen Themas, welches wir wieder aufführen, ist Kampf zwischen Tyrannei und Freiheit. Wer will das leugnen? Eines von Beiden wird siegen. Wir verschmähen die Ausgleichung, die uns die Zeit selbst geboten hat. Wir wollen uns Zustände schaffen, die aus dem Siege eines von beiden Extremen geboren sind, wir verschmähen es, über beiden Extremen die Wahrheit zu suchen. Wir taumeln so fort. Wir werden bald an dem Abgrunde stehen.


in ihren alten Traditionen erhalten werden, wird die Geschichte um eine neue Epoche betrogen. Die Augen der Zeit, die kaum noch so hoffnungsfreudig leuchtenden, haben sich mit wehmüthigen Wimpern bedeckt; wir leben vom Tage zum Tage, von der Stunde zur Stunde. Das einzige, was uns als neu und originell übrig geblieben ist, ist die Umwandlung der Phantasie in den spottenden Witz einer entsagenden Reflexion. Wir waren am Ziele, eine neue Zeit zu schaffen, und sind jetzt so weit herunter, daß wir kaum im Stande seyn werden, das vorige Jahrhundert so geistreich und originell zu reproduziren, wie jenes war. Der Grundton des leichtsinnigen Themas, welches wir wieder aufführen, ist Kampf zwischen Tyrannei und Freiheit. Wer will das leugnen? Eines von Beiden wird siegen. Wir verschmähen die Ausgleichung, die uns die Zeit selbst geboten hat. Wir wollen uns Zustände schaffen, die aus dem Siege eines von beiden Extremen geboren sind, wir verschmähen es, über beiden Extremen die Wahrheit zu suchen. Wir taumeln so fort. Wir werden bald an dem Abgrunde stehen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0441" n="413"/>
in ihren alten Traditionen erhalten werden, wird die Geschichte um eine neue Epoche betrogen. Die Augen der Zeit, die kaum noch so hoffnungsfreudig leuchtenden, haben sich mit wehmüthigen Wimpern bedeckt; wir leben vom Tage zum Tage, von der Stunde zur Stunde. Das einzige, was uns als neu und originell übrig geblieben ist, ist die Umwandlung der Phantasie in den spottenden Witz einer entsagenden Reflexion. Wir waren am Ziele, eine neue Zeit zu schaffen, und sind jetzt so weit herunter, daß wir kaum im Stande seyn werden, das vorige Jahrhundert so geistreich und originell zu reproduziren, wie jenes war. Der Grundton des leichtsinnigen Themas, welches wir wieder aufführen, ist Kampf zwischen Tyrannei und Freiheit. Wer will das leugnen? Eines von Beiden wird siegen. Wir verschmähen die Ausgleichung, die uns die Zeit selbst geboten hat. Wir wollen uns Zustände schaffen, die <hi rendition="#g">aus</hi> dem Siege eines von beiden Extremen geboren sind, wir verschmähen es, <hi rendition="#g">über</hi> beiden Extremen die Wahrheit zu suchen. Wir taumeln so fort. Wir werden bald an dem Abgrunde stehen.</p>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
</div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[413/0441] in ihren alten Traditionen erhalten werden, wird die Geschichte um eine neue Epoche betrogen. Die Augen der Zeit, die kaum noch so hoffnungsfreudig leuchtenden, haben sich mit wehmüthigen Wimpern bedeckt; wir leben vom Tage zum Tage, von der Stunde zur Stunde. Das einzige, was uns als neu und originell übrig geblieben ist, ist die Umwandlung der Phantasie in den spottenden Witz einer entsagenden Reflexion. Wir waren am Ziele, eine neue Zeit zu schaffen, und sind jetzt so weit herunter, daß wir kaum im Stande seyn werden, das vorige Jahrhundert so geistreich und originell zu reproduziren, wie jenes war. Der Grundton des leichtsinnigen Themas, welches wir wieder aufführen, ist Kampf zwischen Tyrannei und Freiheit. Wer will das leugnen? Eines von Beiden wird siegen. Wir verschmähen die Ausgleichung, die uns die Zeit selbst geboten hat. Wir wollen uns Zustände schaffen, die aus dem Siege eines von beiden Extremen geboren sind, wir verschmähen es, über beiden Extremen die Wahrheit zu suchen. Wir taumeln so fort. Wir werden bald an dem Abgrunde stehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/441
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/441>, abgerufen am 22.12.2024.