Proben neuer Dramen. II: Patkul. Politisches Trauerspiel in 5 Aufzügen von Karl Gutzkow. In: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, I. Semester, S. 97-106.Vierte Scene. Im Schloß-Garten zu Pillnitz. Boskette. Springbrunnen. Statuen. Einsiedel. Anna. Dann Patkul. Einsiedel (tritt mit seiner Schwester, sich ängstlich umblickend, aus den Bosketten.) O diese Tyrannei der Etikette! Anna (in großer Aufregung.) Wo? Wo? Dort? Patkul (mit ausgebreiteten Armen.) Meine Anna! (Kurze selige Umarmung.) Einsiedel (ängstlich.) Der Hof naht -- die Churfürstin -- Pfingsten und Imhof -- laßt es! Trennt Euch! Patkul (vom Gefühl überwältigt.) Anna, unsre Lippen stumm, nur unsre Her- zen küssen sich! Anna. Wann wird die Fessel springen! Einsiedel. Nur noch einige Tage laßt Eure Liebe verschleiert. Flemming ist dein Vormund, Anna! Auf unsern Gütern liegt seine mächtige Hand. In eini- gen Tagen muß wegen ihrer der Prozeß entschieden sein. Ohne Flemming gewin- nen wir ihn nicht. Nur noch einige Tage bleib' Eure Liebe ein Geheimniß. Man kommt. Trennt Euch! Wenn man Euch gesehen hätte! Patkul. O nur dieser eine Sonnenblick! -- Die Churfürstin! Fünfte Scene. Die Churfürstin mit ihren Hofdamen. Unter ihnen Anna v. Einsiedel. Patkul. Imhof. Pfingsten. Churfürstin. Auch nicht einen Tag, Herr von Patkul, bleiben Sie? Patkul (sich sammelnd.) Nicht eine Stunde, Churfürstliche Gnaden! Dres- den harrt unserer Rückkunft. (Zu Imhof.) Wir machen den Weg zusammen? Imhof. Auch wir wollen uns Churfürstlichen Gnaden empfohlen haben. Churfürstin. So sind wir ganz allein, können aus dem schon fallenden Herbstlaub das Bild irdischer Größe lesen und für den Ausgang dieser trüben Stun- den nur noch beten. Sprachen Sie Graf Zinzendorf in Berlin und den guten Spener? Patkul. Zwei edle Männer, die unserm Jahrhundert wieder die fromme Weihe des apostolischen Zeitalters geben wollen. Pfingsten (lachend.) Es wird lange währen, bis Graf Zinzendorf in dieser gottlosen Welt die rechte Zahl der Apostel vollständig haben wird. Patkul (mit Beziehung.) Der zwölfte, der den Seckel trägt, möchte nicht so schwer zu finden seyn. Churfürstin. Ist das Werk des Grafen von Gott, so wird der Beistand des Himmels nicht fehlen. Herr von Patkul, wie schöne Stunden haben wir sonst zusammen gefeiert. Wie oft hat Ihr Geist und frommer Sinn die Binde von mei- nen Augen genommen! Ich lese Arndt, Pascal, Spener, aber je näher man den Geheimnissen der Weltregierung kommt, desto heißer der Durst, desto karger die Befriedigung! Vierte Scene. Im Schloß-Garten zu Pillnitz. Boskette. Springbrunnen. Statuen. Einsiedel. Anna. Dann Patkul. Einsiedel (tritt mit seiner Schwester, sich ängstlich umblickend, aus den Bosketten.) O diese Tyrannei der Etikette! Anna (in großer Aufregung.) Wo? Wo? Dort? Patkul (mit ausgebreiteten Armen.) Meine Anna! (Kurze selige Umarmung.) Einsiedel (ängstlich.) Der Hof naht — die Churfürstin — Pfingsten und Imhof — laßt es! Trennt Euch! Patkul (vom Gefühl überwältigt.) Anna, unsre Lippen stumm, nur unsre Her- zen küssen sich! Anna. Wann wird die Fessel springen! Einsiedel. Nur noch einige Tage laßt Eure Liebe verschleiert. Flemming ist dein Vormund, Anna! Auf unsern Gütern liegt seine mächtige Hand. In eini- gen Tagen muß wegen ihrer der Prozeß entschieden sein. Ohne Flemming gewin- nen wir ihn nicht. Nur noch einige Tage bleib' Eure Liebe ein Geheimniß. Man kommt. Trennt Euch! Wenn man Euch gesehen hätte! Patkul. O nur dieser eine Sonnenblick! — Die Churfürstin! Fünfte Scene. Die Churfürstin mit ihren Hofdamen. Unter ihnen Anna v. Einsiedel. Patkul. Imhof. Pfingsten. Churfürstin. Auch nicht einen Tag, Herr von Patkul, bleiben Sie? Patkul (sich sammelnd.) Nicht eine Stunde, Churfürstliche Gnaden! Dres- den harrt unserer Rückkunft. (Zu Imhof.) Wir machen den Weg zusammen? Imhof. Auch wir wollen uns Churfürstlichen Gnaden empfohlen haben. Churfürstin. So sind wir ganz allein, können aus dem schon fallenden Herbstlaub das Bild irdischer Größe lesen und für den Ausgang dieser trüben Stun- den nur noch beten. Sprachen Sie Graf Zinzendorf in Berlin und den guten Spener? Patkul. Zwei edle Männer, die unserm Jahrhundert wieder die fromme Weihe des apostolischen Zeitalters geben wollen. Pfingsten (lachend.) Es wird lange währen, bis Graf Zinzendorf in dieser gottlosen Welt die rechte Zahl der Apostel vollständig haben wird. Patkul (mit Beziehung.) Der zwölfte, der den Seckel trägt, möchte nicht so schwer zu finden seyn. Churfürstin. Ist das Werk des Grafen von Gott, so wird der Beistand des Himmels nicht fehlen. Herr von Patkul, wie schöne Stunden haben wir sonst zusammen gefeiert. Wie oft hat Ihr Geist und frommer Sinn die Binde von mei- nen Augen genommen! 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Patkul (mit ausgebreiteten Armen.) Meine Anna! (Kurze selige Umarmung.)
Einsiedel (ängstlich.) Der Hof naht — die Churfürstin — Pfingsten und
Imhof — laßt es! Trennt Euch!
Patkul (vom Gefühl überwältigt.) Anna, unsre Lippen stumm, nur unsre Her-
zen küssen sich!
Anna. Wann wird die Fessel springen!
Einsiedel. Nur noch einige Tage laßt Eure Liebe verschleiert. Flemming
ist dein Vormund, Anna! Auf unsern Gütern liegt seine mächtige Hand. In eini-
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kommt. Trennt Euch! Wenn man Euch gesehen hätte!
Patkul. O nur dieser eine Sonnenblick! — Die Churfürstin!
Fünfte Scene.
Die Churfürstin mit ihren Hofdamen. Unter ihnen Anna v. Einsiedel.
Patkul. Imhof. Pfingsten.
Churfürstin. Auch nicht einen Tag, Herr von Patkul, bleiben Sie?
Patkul (sich sammelnd.) Nicht eine Stunde, Churfürstliche Gnaden! Dres-
den harrt unserer Rückkunft. (Zu Imhof.) Wir machen den Weg zusammen?
Imhof. Auch wir wollen uns Churfürstlichen Gnaden empfohlen haben.
Churfürstin. So sind wir ganz allein, können aus dem schon fallenden
Herbstlaub das Bild irdischer Größe lesen und für den Ausgang dieser trüben Stun-
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Patkul. Zwei edle Männer, die unserm Jahrhundert wieder die fromme
Weihe des apostolischen Zeitalters geben wollen.
Pfingsten (lachend.) Es wird lange währen, bis Graf Zinzendorf
in dieser gottlosen Welt die rechte Zahl der Apostel vollständig haben wird.
Patkul (mit Beziehung.) Der zwölfte, der den Seckel trägt, möchte nicht so
schwer zu finden seyn.
Churfürstin. Ist das Werk des Grafen von Gott, so wird der Beistand
des Himmels nicht fehlen. Herr von Patkul, wie schöne Stunden haben wir sonst
zusammen gefeiert. Wie oft hat Ihr Geist und frommer Sinn die Binde von mei-
nen Augen genommen! Ich lese Arndt, Pascal, Spener, aber je näher man
den Geheimnissen der Weltregierung kommt, desto heißer der Durst, desto karger
die Befriedigung!
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