DEr Autor hat hier zwar keine Unordnung, aber es hängt dochWarum hier von den unter- schiedenen Ständen der Menschen ge- handelt wer- de? nicht so zusammen, daß ein jeder die connexion gleich siehet; al- so muß es besser connectiret und illustriret werden. Ich in- [r]endire hier, daß ich den Ursprung aller Stände in der Welt will en suite vorstellen, denn wir sehen, daß wir in variis Statibus leben, und der hunderste weiß nicht, wie er hinein kommen. Je länger die Welt ste- het, je mehr Status kommen auch hervor, die Menschen fallen immer auf etwas neues, und wir können nicht leicht zurücke kommen, es sey denn, daß ein Krieg kommt, welcher ein bisgen auskehret; höret aber solcher auf, so kommt alles wieder hervor, alle die affecten, welche vordem ge- wesen. Und wenn jetzt eine Sündfluth entstünde, und wir kämen nach hundert Jahren wieder, wir wären gantz fromm, hätten aber eben noch die Seele, und die affecten, so wir vordem gehabt, so würden wir eben- falls auf solche Dinge fallen. Man darff nicht dencken, daß die Welt schlimmer wird, denn sie kan nicht schlimmer werden, als sie vordem gewesen, nur kommen jetzo viele Dinge unter einer andern masque her- vor, als vorher.
§. 2. Weil oben gedacht worden, daß uns das Wort Status sehrWas Status sey? incommodiret, so muß solches hier erkläret werden: Denn die Spra- chen incommodiren uns am meisten. Hätten die Gelehrten die Spra- chen gemacht, so würden wir besser können fortkommen; So aber sind sie von dem gemeinen Volck gemacht worden, welches ein Wort erst proprie genommen, und hernach viele metaphorische Bedeutungen mit angehänget. Deßwegen sind auch einige darauf bedacht gewesen, ob man nicht eine Sprache finden könne vor die Gelehrten? Leibniz hat lange gearbeitet, und viel Zeit damit verdorben; aber er ist darüber ge- storben. Die wenigsten Sprachen schicken sich ad philosophandum, weil sie so viele metaphoras haben; dahin gehöret auch die Hebräische Sprache. Zu wünschen wäre es, daß wir ditiores linguas hätten, und da ist keine bessere, als die Griechische, daher auch die Engeländer, Hol- länder, und andere gentes viel Wörter aus dem Griechischen in ihre
Spra-
D 3
Cap. II. De Variis hominum Statibus.
Cap. II. de Variis hominum Statibus.
§. 1.
DEr Autor hat hier zwar keine Unordnung, aber es haͤngt dochWarum hier von den unter- ſchiedenen Staͤnden der Menſchen ge- handelt wer- de? nicht ſo zuſammen, daß ein jeder die connexion gleich ſiehet; al- ſo muß es beſſer connectiret und illuſtriret werden. Ich in- [r]endire hier, daß ich den Urſprung aller Staͤnde in der Welt will en ſuite vorſtellen, denn wir ſehen, daß wir in variis Statibus leben, und der hunderſte weiß nicht, wie er hinein kommen. Je laͤnger die Welt ſte- het, je mehr Status kommen auch hervor, die Menſchen fallen immer auf etwas neues, und wir koͤnnen nicht leicht zuruͤcke kommen, es ſey denn, daß ein Krieg kommt, welcher ein bisgen auskehret; hoͤret aber ſolcher auf, ſo kommt alles wieder hervor, alle die affecten, welche vordem ge- weſen. Und wenn jetzt eine Suͤndfluth entſtuͤnde, und wir kaͤmen nach hundert Jahren wieder, wir waͤren gantz fromm, haͤtten aber eben noch die Seele, und die affecten, ſo wir vordem gehabt, ſo wuͤrden wir eben- falls auf ſolche Dinge fallen. Man darff nicht dencken, daß die Welt ſchlimmer wird, denn ſie kan nicht ſchlimmer werden, als ſie vordem geweſen, nur kommen jetzo viele Dinge unter einer andern maſque her- vor, als vorher.
§. 2. Weil oben gedacht worden, daß uns das Wort Status ſehrWas Status ſey? incommodiret, ſo muß ſolches hier erklaͤret werden: Denn die Spra- chen incommodiren uns am meiſten. Haͤtten die Gelehrten die Spra- chen gemacht, ſo wuͤrden wir beſſer koͤnnen fortkommen; So aber ſind ſie von dem gemeinen Volck gemacht worden, welches ein Wort erſt proprie genommen, und hernach viele metaphoriſche Bedeutungen mit angehaͤnget. Deßwegen ſind auch einige darauf bedacht geweſen, ob man nicht eine Sprache finden koͤnne vor die Gelehrten? Leibniz hat lange gearbeitet, und viel Zeit damit verdorben; aber er iſt daruͤber ge- ſtorben. Die wenigſten Sprachen ſchicken ſich ad philoſophandum, weil ſie ſo viele metaphoras haben; dahin gehoͤret auch die Hebraͤiſche Sprache. Zu wuͤnſchen waͤre es, daß wir ditiores linguas haͤtten, und da iſt keine beſſere, als die Griechiſche, daher auch die Engelaͤnder, Hol- laͤnder, und andere gentes viel Woͤrter aus dem Griechiſchen in ihre
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Cap. II. De Variis hominum Statibus.
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Variis hominum Statibus.
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DEr Autor hat hier zwar keine Unordnung, aber es haͤngt doch
nicht ſo zuſammen, daß ein jeder die connexion gleich ſiehet; al-
ſo muß es beſſer connectiret und illuſtriret werden. Ich in-
rendire hier, daß ich den Urſprung aller Staͤnde in der Welt will en
ſuite vorſtellen, denn wir ſehen, daß wir in variis Statibus leben, und der
hunderſte weiß nicht, wie er hinein kommen. Je laͤnger die Welt ſte-
het, je mehr Status kommen auch hervor, die Menſchen fallen immer auf
etwas neues, und wir koͤnnen nicht leicht zuruͤcke kommen, es ſey denn,
daß ein Krieg kommt, welcher ein bisgen auskehret; hoͤret aber ſolcher
auf, ſo kommt alles wieder hervor, alle die affecten, welche vordem ge-
weſen. Und wenn jetzt eine Suͤndfluth entſtuͤnde, und wir kaͤmen nach
hundert Jahren wieder, wir waͤren gantz fromm, haͤtten aber eben noch
die Seele, und die affecten, ſo wir vordem gehabt, ſo wuͤrden wir eben-
falls auf ſolche Dinge fallen. Man darff nicht dencken, daß die Welt
ſchlimmer wird, denn ſie kan nicht ſchlimmer werden, als ſie vordem
geweſen, nur kommen jetzo viele Dinge unter einer andern maſque her-
vor, als vorher.
Warum hier
von den unter-
ſchiedenen
Staͤnden der
Menſchen ge-
handelt wer-
de?
§. 2. Weil oben gedacht worden, daß uns das Wort Status ſehr
incommodiret, ſo muß ſolches hier erklaͤret werden: Denn die Spra-
chen incommodiren uns am meiſten. Haͤtten die Gelehrten die Spra-
chen gemacht, ſo wuͤrden wir beſſer koͤnnen fortkommen; So aber ſind
ſie von dem gemeinen Volck gemacht worden, welches ein Wort erſt
proprie genommen, und hernach viele metaphoriſche Bedeutungen mit
angehaͤnget. Deßwegen ſind auch einige darauf bedacht geweſen, ob
man nicht eine Sprache finden koͤnne vor die Gelehrten? Leibniz hat
lange gearbeitet, und viel Zeit damit verdorben; aber er iſt daruͤber ge-
ſtorben. Die wenigſten Sprachen ſchicken ſich ad philoſophandum, weil
ſie ſo viele metaphoras haben; dahin gehoͤret auch die Hebraͤiſche
Sprache. Zu wuͤnſchen waͤre es, daß wir ditiores linguas haͤtten, und
da iſt keine beſſere, als die Griechiſche, daher auch die Engelaͤnder, Hol-
laͤnder, und andere gentes viel Woͤrter aus dem Griechiſchen in ihre
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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/49>, abgerufen am 21.11.2024.
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