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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von dem Völkerrechte überhaupt,
welche das freiwillige Völkerrecht als Gewonheiten oder
stilschweigende Verträge nicht wollen gelten lassen,
brauche ich nicht zu widerlegen, weil es zu diesen
nicht gehört. Wenn endlich Schrodt und Andere,
welche eine natürliche Verbindlichkeit zur Geselschaft
annehmen, die Grundsätze des von Wolf und seinen
Anhängern aus dem Begriffe eines großen Welt-
staats oder einer Geselschaft überhaupt hergeleiteten
freiwilligen Völkerrechts lieber zum natürlichen Völ-
kerrechte zählen wollen, [Non desunt, sagt selbst
Wolf in praef. J. G., qui cum jus gentium volun-
tarium damnent, id pro jure naturali venditant,
vt in verbis dissentire saltem, in re autem con-
venire videantur.
] so habe ich nichts dagegen, da
ich es selbst für eine Gattung des leztern halte, die
iedoch von dem nothwendigen unterschieden wer-
den muß. Weitläuftig findet man die Gründe ge-
gen das freiwillige Völkerrecht abgehandelt in Sam.
L. B. de Cocceji diss. prooem. IV. de jure gen-
tium voluntario -- vbi -- probatur, tale jus non
existere etc. in Introd. ad Henr. de Cocceji
Grot. illustr.
und in I. F. L. Schrodt Systema
Juris Gentium Prolegom. §. 7. seqq.
§. 5.
Nähere Bestimmung dieser beiden Gat-
tungen
.

Das nothwendige und freiwillige Völkerrecht ha-
ben also beide in der Natur ihren Grund, und las-
sen sich durch Vernunftschlüsse erweisen a]. Das erstere
aus dem ursprünglich natürlichen Zustande, das andere
aus den geselschaftlichen Verhältnissen der Völker. Je-
nes ist allen Völkern des Erdbodens gemein, dieses ver-
bindet nur dieienigen, welche freiwillig in die geselschaft-
liche Verbindung der Völker treten. Das nothwendi-

ge
Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
welche das freiwillige Voͤlkerrecht als Gewonheiten oder
ſtilſchweigende Vertraͤge nicht wollen gelten laſſen,
brauche ich nicht zu widerlegen, weil es zu dieſen
nicht gehoͤrt. Wenn endlich Schrodt und Andere,
welche eine natuͤrliche Verbindlichkeit zur Geſelſchaft
annehmen, die Grundſaͤtze des von Wolf und ſeinen
Anhaͤngern aus dem Begriffe eines großen Welt-
ſtaats oder einer Geſelſchaft uͤberhaupt hergeleiteten
freiwilligen Voͤlkerrechts lieber zum natuͤrlichen Voͤl-
kerrechte zaͤhlen wollen, [Non deſunt, ſagt ſelbſt
Wolf in praef. J. G., qui cum jus gentium volun-
tarium damnent, id pro jure naturali venditant,
vt in verbis disſentire ſaltem, in re autem con-
venire videantur.
] ſo habe ich nichts dagegen, da
ich es ſelbſt fuͤr eine Gattung des leztern halte, die
iedoch von dem nothwendigen unterſchieden wer-
den muß. Weitlaͤuftig findet man die Gruͤnde ge-
gen das freiwillige Voͤlkerrecht abgehandelt in Sam.
L. B. de Cocceji disſ. prooem. IV. de jure gen-
tium voluntario — vbi — probatur, tale jus non
exiſtere etc. in Introd. ad Henr. de Cocceji
Grot. illuſtr.
und in I. F. L. Schrodt Syſtema
Juris Gentium Prolegom. §. 7. ſeqq.
§. 5.
Naͤhere Beſtimmung dieſer beiden Gat-
tungen
.

Das nothwendige und freiwillige Voͤlkerrecht ha-
ben alſo beide in der Natur ihren Grund, und laſ-
ſen ſich durch Vernunftſchluͤſſe erweiſen a]. Das erſtere
aus dem urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande, das andere
aus den geſelſchaftlichen Verhaͤltniſſen der Voͤlker. Je-
nes iſt allen Voͤlkern des Erdbodens gemein, dieſes ver-
bindet nur dieienigen, welche freiwillig in die geſelſchaft-
liche Verbindung der Voͤlker treten. Das nothwendi-

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[12/0038] Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt, *] welche das freiwillige Voͤlkerrecht als Gewonheiten oder ſtilſchweigende Vertraͤge nicht wollen gelten laſſen, brauche ich nicht zu widerlegen, weil es zu dieſen nicht gehoͤrt. Wenn endlich Schrodt und Andere, welche eine natuͤrliche Verbindlichkeit zur Geſelſchaft annehmen, die Grundſaͤtze des von Wolf und ſeinen Anhaͤngern aus dem Begriffe eines großen Welt- ſtaats oder einer Geſelſchaft uͤberhaupt hergeleiteten freiwilligen Voͤlkerrechts lieber zum natuͤrlichen Voͤl- kerrechte zaͤhlen wollen, [Non deſunt, ſagt ſelbſt Wolf in praef. J. G., qui cum jus gentium volun- tarium damnent, id pro jure naturali venditant, vt in verbis disſentire ſaltem, in re autem con- venire videantur.] ſo habe ich nichts dagegen, da ich es ſelbſt fuͤr eine Gattung des leztern halte, die iedoch von dem nothwendigen unterſchieden wer- den muß. Weitlaͤuftig findet man die Gruͤnde ge- gen das freiwillige Voͤlkerrecht abgehandelt in Sam. L. B. de Cocceji disſ. prooem. IV. de jure gen- tium voluntario — vbi — probatur, tale jus non exiſtere etc. in Introd. ad Henr. de Cocceji Grot. illuſtr. und in I. F. L. Schrodt Syſtema Juris Gentium Prolegom. §. 7. ſeqq. §. 5. Naͤhere Beſtimmung dieſer beiden Gat- tungen. Das nothwendige und freiwillige Voͤlkerrecht ha- ben alſo beide in der Natur ihren Grund, und laſ- ſen ſich durch Vernunftſchluͤſſe erweiſen a]. Das erſtere aus dem urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande, das andere aus den geſelſchaftlichen Verhaͤltniſſen der Voͤlker. Je- nes iſt allen Voͤlkern des Erdbodens gemein, dieſes ver- bindet nur dieienigen, welche freiwillig in die geſelſchaft- liche Verbindung der Voͤlker treten. Das nothwendi- ge

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/38>, abgerufen am 26.04.2024.