Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Völkerrechte überhaupt,
die eine Nazion zur unmittelbaren Erhaltung und Ver-
mehrung der Staatsabsicht annimt, und in vorkommen-
den Staatsgeschäften nach der Staatsraison [ratio sta-
tus, raison d'etat
] bestimt a]. Sie haben auf die Hand-
lungen der Souverains gegeneinander oft den stärksten
Einflus, und müssen allerdings in Erwägung gezogen
werden: nur dürfen Vergrößerungssucht und Begierde
nach überwiegender Macht, mit Hintansetzung der Ge-
rechtsame anderer Nazionen, nicht deren Hauptquellen,
und der Grund eines bloßen Konvenienzrechts b] seyn.
Selten gelangen indes die wahren und geheimen Trieb-
federn der Handlungen unter den Souverainen zur Wis-
senschaft des Publikums. Daher die Eintheilung in
öffentliches und geheimes Staatsinteresse. Die Kent-
nis davon gehört in die Staatsklugheit.

a] Herm. Conringii diß. de ratione status. Helmft. 1651.
4. und in Opp. T. IV. p. 549-580.
Iac. Thomasius de ratione status. Lips. 1665. 4.
Iac. Brunnemanni diß. VI. de ratione status. Halae
1701. 4. und in Ej. jurispr. publ. n. 12.
b] J. J. Mosers Beyträge zum E. V. R. in Friedenszeiten
1ster Th. S. 8. Sehr oft wird dies sogenante Konvenienz-
recht ein Gegenstand der Beschwerden. Das Kabinet von
St. James, das keine andern Regeln anerkante, als das
vermeintliche Recht der temporellen Konvenienz, be-
fand für gut etc. heißt es unter andern in dem Gegenma-
nifest der vereinigten Niederlande wider Grosbritannien
vom 12. März. 1781.
§. 22.
Gebrauch der Quellen.

Bei einer vorfallenden Rechtsfrage zwischen zwey
Völkern kommen zuförderst die besondern Verträge und
Gewonheiten unter ihnen beiden, nebst deren Analogie

in

Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
die eine Nazion zur unmittelbaren Erhaltung und Ver-
mehrung der Staatsabſicht annimt, und in vorkommen-
den Staatsgeſchaͤften nach der Staatsraiſon [ratio ſta-
tus, raiſon d’état
] beſtimt a]. Sie haben auf die Hand-
lungen der Souverains gegeneinander oft den ſtaͤrkſten
Einflus, und muͤſſen allerdings in Erwaͤgung gezogen
werden: nur duͤrfen Vergroͤßerungsſucht und Begierde
nach uͤberwiegender Macht, mit Hintanſetzung der Ge-
rechtſame anderer Nazionen, nicht deren Hauptquellen,
und der Grund eines bloßen Konvenienzrechts b] ſeyn.
Selten gelangen indes die wahren und geheimen Trieb-
federn der Handlungen unter den Souverainen zur Wiſ-
ſenſchaft des Publikums. Daher die Eintheilung in
oͤffentliches und geheimes Staatsintereſſe. Die Kent-
nis davon gehoͤrt in die Staatsklugheit.

a] Herm. Conringii diß. de ratione ſtatus. Helmft. 1651.
4. und in Opp. T. IV. p. 549-580.
Iac. Thomaſius de ratione ſtatus. Lipſ. 1665. 4.
Iac. Brunnemanni diß. VI. de ratione ſtatus. Halae
1701. 4. und in Ej. jurispr. publ. n. 12.
b] J. J. Moſers Beytraͤge zum E. V. R. in Friedenszeiten
1ſter Th. S. 8. Sehr oft wird dies ſogenante Konvenienz-
recht ein Gegenſtand der Beſchwerden. Das Kabinet von
St. James, das keine andern Regeln anerkante, als das
vermeintliche Recht der temporellen Konvenienz, be-
fand fuͤr gut ꝛc. heißt es unter andern in dem Gegenma-
nifeſt der vereinigten Niederlande wider Grosbritannien
vom 12. Maͤrz. 1781.
§. 22.
Gebrauch der Quellen.

Bei einer vorfallenden Rechtsfrage zwiſchen zwey
Voͤlkern kommen zufoͤrderſt die beſondern Vertraͤge und
Gewonheiten unter ihnen beiden, nebſt deren Analogie

in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0060" n="34"/><fw place="top" type="header">Von dem Vo&#x0364;lkerrechte u&#x0364;berhaupt,</fw><lb/>
die eine Nazion zur unmittelbaren Erhaltung und Ver-<lb/>
mehrung der Staatsab&#x017F;icht annimt, und in vorkommen-<lb/>
den Staatsge&#x017F;cha&#x0364;ften nach der <hi rendition="#fr">Staatsrai&#x017F;on</hi> [<hi rendition="#aq">ratio &#x017F;ta-<lb/>
tus, rai&#x017F;on d&#x2019;état</hi>] be&#x017F;timt <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">a</hi></hi>]. Sie haben auf die Hand-<lb/>
lungen der Souverains gegeneinander oft den &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten<lb/>
Einflus, und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en allerdings in Erwa&#x0364;gung gezogen<lb/>
werden: nur du&#x0364;rfen Vergro&#x0364;ßerungs&#x017F;ucht und Begierde<lb/>
nach u&#x0364;berwiegender Macht, mit Hintan&#x017F;etzung der Ge-<lb/>
recht&#x017F;ame anderer Nazionen, nicht deren Hauptquellen,<lb/>
und der Grund eines bloßen <hi rendition="#fr">Konvenienzrechts</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">b</hi></hi>] &#x017F;eyn.<lb/>
Selten gelangen indes die wahren und geheimen Trieb-<lb/>
federn der Handlungen unter den Souverainen zur Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaft des Publikums. Daher die Eintheilung in<lb/><hi rendition="#fr">o&#x0364;ffentliches</hi> und geheimes Staatsintere&#x017F;&#x017F;e. Die Kent-<lb/>
nis davon geho&#x0364;rt in die Staatsklugheit.</p><lb/>
          <note place="end" n="a]"><hi rendition="#aq">Herm. <hi rendition="#i">Conringii</hi> diß. de ratione &#x017F;tatus. Helmft.</hi> 1651.<lb/>
4. und in <hi rendition="#aq">Opp. T. IV. p.</hi> 549-580.<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">Iac. <hi rendition="#i">Thoma&#x017F;ius</hi> de ratione &#x017F;tatus. Lip&#x017F;.</hi> 1665. 4.<lb/><hi rendition="#aq">Iac. <hi rendition="#i">Brunnemanni</hi> diß. VI. de ratione &#x017F;tatus. Halae</hi><lb/>
1701. 4. und in <hi rendition="#aq">Ej. jurispr. publ. n.</hi> 12.</hi></note><lb/>
          <note place="end" n="b]"><hi rendition="#fr">J. J. Mo&#x017F;ers</hi> Beytra&#x0364;ge zum E. V. R. in Friedenszeiten<lb/>
1&#x017F;ter Th. S. 8. Sehr oft wird dies &#x017F;ogenante Konvenienz-<lb/>
recht ein Gegen&#x017F;tand der Be&#x017F;chwerden. Das Kabinet von<lb/>
St. James, das keine andern Regeln anerkante, als das<lb/>
vermeintliche <hi rendition="#fr">Recht der temporellen Konvenienz</hi>, be-<lb/>
fand fu&#x0364;r gut &#xA75B;c. heißt es unter andern in dem Gegenma-<lb/>
nife&#x017F;t der vereinigten Niederlande wider Grosbritannien<lb/>
vom 12. Ma&#x0364;rz. 1781.</note>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 22.<lb/><hi rendition="#g">Gebrauch der Quellen</hi>.</head><lb/>
          <p>Bei einer vorfallenden Rechtsfrage zwi&#x017F;chen zwey<lb/>
Vo&#x0364;lkern kommen zufo&#x0364;rder&#x017F;t die be&#x017F;ondern Vertra&#x0364;ge und<lb/>
Gewonheiten unter ihnen beiden, neb&#x017F;t deren Analogie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0060] Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt, die eine Nazion zur unmittelbaren Erhaltung und Ver- mehrung der Staatsabſicht annimt, und in vorkommen- den Staatsgeſchaͤften nach der Staatsraiſon [ratio ſta- tus, raiſon d’état] beſtimt a]. Sie haben auf die Hand- lungen der Souverains gegeneinander oft den ſtaͤrkſten Einflus, und muͤſſen allerdings in Erwaͤgung gezogen werden: nur duͤrfen Vergroͤßerungsſucht und Begierde nach uͤberwiegender Macht, mit Hintanſetzung der Ge- rechtſame anderer Nazionen, nicht deren Hauptquellen, und der Grund eines bloßen Konvenienzrechts b] ſeyn. Selten gelangen indes die wahren und geheimen Trieb- federn der Handlungen unter den Souverainen zur Wiſ- ſenſchaft des Publikums. Daher die Eintheilung in oͤffentliches und geheimes Staatsintereſſe. Die Kent- nis davon gehoͤrt in die Staatsklugheit. a] Herm. Conringii diß. de ratione ſtatus. Helmft. 1651. 4. und in Opp. T. IV. p. 549-580. Iac. Thomaſius de ratione ſtatus. Lipſ. 1665. 4. Iac. Brunnemanni diß. VI. de ratione ſtatus. Halae 1701. 4. und in Ej. jurispr. publ. n. 12. b] J. J. Moſers Beytraͤge zum E. V. R. in Friedenszeiten 1ſter Th. S. 8. Sehr oft wird dies ſogenante Konvenienz- recht ein Gegenſtand der Beſchwerden. Das Kabinet von St. James, das keine andern Regeln anerkante, als das vermeintliche Recht der temporellen Konvenienz, be- fand fuͤr gut ꝛc. heißt es unter andern in dem Gegenma- nifeſt der vereinigten Niederlande wider Grosbritannien vom 12. Maͤrz. 1781. §. 22. Gebrauch der Quellen. Bei einer vorfallenden Rechtsfrage zwiſchen zwey Voͤlkern kommen zufoͤrderſt die beſondern Vertraͤge und Gewonheiten unter ihnen beiden, nebſt deren Analogie in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/60
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/60>, abgerufen am 21.11.2024.