Einleitung. Von dem Völkerrechte überhaupt und dem europäi- schen insbesondere.
§. 1. Begrif des Völkerrechts.
Staaten sind Geselschaften von Personen und Fa- milien, welche unter einer Oberherschaft verei- nigt, zu Beförderung gemeinschaftlicher Wohlfarth auf einem gewissen Erdstriche beisammen wohnen. Indem sie mit vereinten Kräften nach eignen Grundsätzen und Ab- sichten handeln, gleichen sie, als moralische Personen, ienen unabhängigen Menschen im natürlichen Zustande a], und werden in dieser Rücksicht freie Völker, Nazio- nen genant. So wie aber wechselseitiges Bedürfnis warscheinlich die erste Veranlassung zu Staatsvereinen gab, wenigstens ihr dauerhaftestes Band ausmacht; so ist auch wechselseitiges Bedürfnis, was mehrere Völker in beständiger Verbindung erhält. Aus diesen verschie- denen Verhältnissen entspringen gewisse Grundsätze, wornach ganze Völker [oder deren Regenten und einzelne Glieder, wenn sie aufs Ganze eine Beziehung haben] ihre Handlungen gegeneinanderb] einzurichten pflegen. Sie machen, insofern sie als Zwangsrechte und Ver-
bind-
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Einleitung. Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt und dem europaͤi- ſchen insbeſondere.
§. 1. Begrif des Voͤlkerrechts.
Staaten ſind Geſelſchaften von Perſonen und Fa- milien, welche unter einer Oberherſchaft verei- nigt, zu Befoͤrderung gemeinſchaftlicher Wohlfarth auf einem gewiſſen Erdſtriche beiſammen wohnen. Indem ſie mit vereinten Kraͤften nach eignen Grundſaͤtzen und Ab- ſichten handeln, gleichen ſie, als moraliſche Perſonen, ienen unabhaͤngigen Menſchen im natuͤrlichen Zuſtande a], und werden in dieſer Ruͤckſicht freie Voͤlker, Nazio- nen genant. So wie aber wechſelſeitiges Beduͤrfnis warſcheinlich die erſte Veranlaſſung zu Staatsvereinen gab, wenigſtens ihr dauerhafteſtes Band ausmacht; ſo iſt auch wechſelſeitiges Beduͤrfnis, was mehrere Voͤlker in beſtaͤndiger Verbindung erhaͤlt. Aus dieſen verſchie- denen Verhaͤltniſſen entſpringen gewiſſe Grundſaͤtze, wornach ganze Voͤlker [oder deren Regenten und einzelne Glieder, wenn ſie aufs Ganze eine Beziehung haben] ihre Handlungen gegeneinanderb] einzurichten pflegen. Sie machen, inſofern ſie als Zwangsrechte und Ver-
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Einleitung.
Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt und dem europaͤi-
ſchen insbeſondere.
§. 1.
Begrif des Voͤlkerrechts.
Staaten ſind Geſelſchaften von Perſonen und Fa-
milien, welche unter einer Oberherſchaft verei-
nigt, zu Befoͤrderung gemeinſchaftlicher Wohlfarth auf
einem gewiſſen Erdſtriche beiſammen wohnen. Indem ſie
mit vereinten Kraͤften nach eignen Grundſaͤtzen und Ab-
ſichten handeln, gleichen ſie, als moraliſche Perſonen,
ienen unabhaͤngigen Menſchen im natuͤrlichen Zuſtande a],
und werden in dieſer Ruͤckſicht freie Voͤlker, Nazio-
nen genant. So wie aber wechſelſeitiges Beduͤrfnis
warſcheinlich die erſte Veranlaſſung zu Staatsvereinen
gab, wenigſtens ihr dauerhafteſtes Band ausmacht; ſo
iſt auch wechſelſeitiges Beduͤrfnis, was mehrere Voͤlker
in beſtaͤndiger Verbindung erhaͤlt. Aus dieſen verſchie-
denen Verhaͤltniſſen entſpringen gewiſſe Grundſaͤtze,
wornach ganze Voͤlker [oder deren Regenten und einzelne
Glieder, wenn ſie aufs Ganze eine Beziehung haben]
ihre Handlungen gegeneinander b] einzurichten pflegen.
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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