§. 11. Die europäischen Nazionen aber haben weder ein geistliches Oberhaupt;
In den sogenanten mitlern Zeiten, wo Unwissenheit und Aberglauben überall das Ruder führten, ersann die Verschlagenheit der Päpste und der Klerisey, die noch allein in dem Besitz einiger Aufklärung sich befand, ein ihrer Herrsch- und Habsucht völlig angemessenes System. Sie gaben das römisch-teutsche Reich für die vierte und letzte bis aus Ende der Welt dauernde Monarchie aus a], welche auf göttlichem Befehl vom Papste den Beher- schern des fränkisch-teutschen Reichs übertragen worden. Diese war für das Reich Christi anzusehn, -- ob er gleich selbst erklärt hatte, daß sein Reich nicht von dieser Welt sey, -- in welcher alle christliche Völker gleichsam in einer Republick begriffen wären. Man suchte zu bewei- sen, daß es eine zwiefache von Gott selbst geordnete sichtbare höchste Gewalt auf Erden gäbe, die als Statthal- ter Christi iene christliche Republick regieren solten, näm- lich der Papst im Geistlichen und der Kaiser im Weltli- chen. Diese wurden bald mit zwey Schwerdtern, bald mit den beiden großen Lichtern, Sonne und Mond ver- glichen, iedoch muste die geistliche Gewalt über die welt- liche wie die Seele über den Leib und die Sonne über den Mond erhaben seyn b].
Es ist erstaunend, welche Herschaft die Päpste aus diesen Grundsätzen, durch allerhand erkünstelte Folgerun- gen über die christlichen Völker in Europa sich angema- ßet, und solche theils durch Nachgiebigkeit ihrer Regen- ten, weil sie ihnen öfters Kron und Reich verdankten, theils durch deren Unvermögen, Unwissenheit und Aber- glauben würklich erlangt und wie weit sie ihren Stolz überhaupt getrieben haben c]. Wo nicht Gott gleich, doch wenigstens über die Engel erhaben d] zu seyn wäh-
nend,
Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
§. 11. Die europaͤiſchen Nazionen aber haben weder ein geiſtliches Oberhaupt;
In den ſogenanten mitlern Zeiten, wo Unwiſſenheit und Aberglauben uͤberall das Ruder fuͤhrten, erſann die Verſchlagenheit der Paͤpſte und der Kleriſey, die noch allein in dem Beſitz einiger Aufklaͤrung ſich befand, ein ihrer Herrſch- und Habſucht voͤllig angemeſſenes Syſtem. Sie gaben das roͤmiſch-teutſche Reich fuͤr die vierte und letzte bis aus Ende der Welt dauernde Monarchie aus a], welche auf goͤttlichem Befehl vom Papſte den Beher- ſchern des fraͤnkiſch-teutſchen Reichs uͤbertragen worden. Dieſe war fuͤr das Reich Chriſti anzuſehn, — ob er gleich ſelbſt erklaͤrt hatte, daß ſein Reich nicht von dieſer Welt ſey, — in welcher alle chriſtliche Voͤlker gleichſam in einer Republick begriffen waͤren. Man ſuchte zu bewei- ſen, daß es eine zwiefache von Gott ſelbſt geordnete ſichtbare hoͤchſte Gewalt auf Erden gaͤbe, die als Statthal- ter Chriſti iene chriſtliche Republick regieren ſolten, naͤm- lich der Papſt im Geiſtlichen und der Kaiſer im Weltli- chen. Dieſe wurden bald mit zwey Schwerdtern, bald mit den beiden großen Lichtern, Sonne und Mond ver- glichen, iedoch muſte die geiſtliche Gewalt uͤber die welt- liche wie die Seele uͤber den Leib und die Sonne uͤber den Mond erhaben ſeyn b].
Es iſt erſtaunend, welche Herſchaft die Paͤpſte aus dieſen Grundſaͤtzen, durch allerhand erkuͤnſtelte Folgerun- gen uͤber die chriſtlichen Voͤlker in Europa ſich angema- ßet, und ſolche theils durch Nachgiebigkeit ihrer Regen- ten, weil ſie ihnen oͤfters Kron und Reich verdankten, theils durch deren Unvermoͤgen, Unwiſſenheit und Aber- glauben wuͤrklich erlangt und wie weit ſie ihren Stolz uͤberhaupt getrieben haben c]. Wo nicht Gott gleich, doch wenigſtens uͤber die Engel erhaben d] zu ſeyn waͤh-
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Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
§. 11.
Die europaͤiſchen Nazionen aber haben
weder ein geiſtliches Oberhaupt;
In den ſogenanten mitlern Zeiten, wo Unwiſſenheit
und Aberglauben uͤberall das Ruder fuͤhrten, erſann die
Verſchlagenheit der Paͤpſte und der Kleriſey, die noch
allein in dem Beſitz einiger Aufklaͤrung ſich befand, ein
ihrer Herrſch- und Habſucht voͤllig angemeſſenes Syſtem.
Sie gaben das roͤmiſch-teutſche Reich fuͤr die vierte und
letzte bis aus Ende der Welt dauernde Monarchie aus a],
welche auf goͤttlichem Befehl vom Papſte den Beher-
ſchern des fraͤnkiſch-teutſchen Reichs uͤbertragen worden.
Dieſe war fuͤr das Reich Chriſti anzuſehn, — ob er
gleich ſelbſt erklaͤrt hatte, daß ſein Reich nicht von dieſer
Welt ſey, — in welcher alle chriſtliche Voͤlker gleichſam
in einer Republick begriffen waͤren. Man ſuchte zu bewei-
ſen, daß es eine zwiefache von Gott ſelbſt geordnete
ſichtbare hoͤchſte Gewalt auf Erden gaͤbe, die als Statthal-
ter Chriſti iene chriſtliche Republick regieren ſolten, naͤm-
lich der Papſt im Geiſtlichen und der Kaiſer im Weltli-
chen. Dieſe wurden bald mit zwey Schwerdtern, bald
mit den beiden großen Lichtern, Sonne und Mond ver-
glichen, iedoch muſte die geiſtliche Gewalt uͤber die welt-
liche wie die Seele uͤber den Leib und die Sonne uͤber
den Mond erhaben ſeyn b].
Es iſt erſtaunend, welche Herſchaft die Paͤpſte aus
dieſen Grundſaͤtzen, durch allerhand erkuͤnſtelte Folgerun-
gen uͤber die chriſtlichen Voͤlker in Europa ſich angema-
ßet, und ſolche theils durch Nachgiebigkeit ihrer Regen-
ten, weil ſie ihnen oͤfters Kron und Reich verdankten,
theils durch deren Unvermoͤgen, Unwiſſenheit und Aber-
glauben wuͤrklich erlangt und wie weit ſie ihren Stolz
uͤberhaupt getrieben haben c]. Wo nicht Gott gleich,
doch wenigſtens uͤber die Engel erhaben d] zu ſeyn waͤh-
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/188>, abgerufen am 21.11.2024.
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