Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.V. Der Tag ging ohne bemerkenswerthen Vorfall vorüber, sonnig und still, langsam und mit den gewöhnlichen Erscheinungen, wie sonst ein Sommertag auf dem Lande. Die Enten plätscherten unter der Brücke, die Pferde wurden in die Schwemme des Stromarmes getrieben. Fernher klang das Dengeln der Sensen aus den Wiesengründen, welche zum zweitenmale gemäht wurden, und in den Wipfeln des Stromwaldes zog das leise Rauschen der warmen Sommerluft, und der vielstimmige Gesang der Vögel wechselte zu den verschiedenen Tageszeiten. Es war das Bild eines ländlichen Idylls voll Frieden und Behagen; nur die Frau Conrectorin fand heute keinen Frieden. Vergeblich spähte sie zum Hofgut hinüber und lauschte aus den oberen Fenstern ihres Häuschens. Alles blieb dort lautlos, gleichwie ausgestorben, und nur einmal klang die Pforte. Es war am Nachmittag, und der lahme Joseph erschien. Die Frau Conrectorin sah deutlich, wie er ein weißes Blatt versteckte und seinen Milchwagen dann auf der Landstraße zur Stadt lenkte. Diese Entdeckung gab der braven Frau viel zu denken; erst am späten Abend gelang es ihr, einigen Aufschluß zu erhalten, denn der lahme Sepp war zurückgekehrt. Sie rief ihn an, während er sich in seinem steinernen Kruge den Abendtrunk holte. V. Der Tag ging ohne bemerkenswerthen Vorfall vorüber, sonnig und still, langsam und mit den gewöhnlichen Erscheinungen, wie sonst ein Sommertag auf dem Lande. Die Enten plätscherten unter der Brücke, die Pferde wurden in die Schwemme des Stromarmes getrieben. Fernher klang das Dengeln der Sensen aus den Wiesengründen, welche zum zweitenmale gemäht wurden, und in den Wipfeln des Stromwaldes zog das leise Rauschen der warmen Sommerluft, und der vielstimmige Gesang der Vögel wechselte zu den verschiedenen Tageszeiten. Es war das Bild eines ländlichen Idylls voll Frieden und Behagen; nur die Frau Conrectorin fand heute keinen Frieden. Vergeblich spähte sie zum Hofgut hinüber und lauschte aus den oberen Fenstern ihres Häuschens. Alles blieb dort lautlos, gleichwie ausgestorben, und nur einmal klang die Pforte. Es war am Nachmittag, und der lahme Joseph erschien. Die Frau Conrectorin sah deutlich, wie er ein weißes Blatt versteckte und seinen Milchwagen dann auf der Landstraße zur Stadt lenkte. Diese Entdeckung gab der braven Frau viel zu denken; erst am späten Abend gelang es ihr, einigen Aufschluß zu erhalten, denn der lahme Sepp war zurückgekehrt. Sie rief ihn an, während er sich in seinem steinernen Kruge den Abendtrunk holte. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0103"/> <div type="chapter" n="5"> <head>V.</head> <p>Der Tag ging ohne bemerkenswerthen Vorfall vorüber, sonnig und still, langsam und mit den gewöhnlichen Erscheinungen, wie sonst ein Sommertag auf dem Lande. Die Enten plätscherten unter der Brücke, die Pferde wurden in die Schwemme des Stromarmes getrieben. Fernher klang das Dengeln der Sensen aus den Wiesengründen, welche zum zweitenmale gemäht wurden, und in den Wipfeln des Stromwaldes zog das leise Rauschen der warmen Sommerluft, und der vielstimmige Gesang der Vögel wechselte zu den verschiedenen Tageszeiten.</p><lb/> <p>Es war das Bild eines ländlichen Idylls voll Frieden und Behagen; nur die Frau Conrectorin fand heute keinen Frieden. Vergeblich spähte sie zum Hofgut hinüber und lauschte aus den oberen Fenstern ihres Häuschens. Alles blieb dort lautlos, gleichwie ausgestorben, und nur einmal klang die Pforte. Es war am Nachmittag, und der lahme Joseph erschien. Die Frau Conrectorin sah deutlich, wie er ein weißes Blatt versteckte und seinen Milchwagen dann auf der Landstraße zur Stadt lenkte. Diese Entdeckung gab der braven Frau viel zu denken; erst am späten Abend gelang es ihr, einigen Aufschluß zu erhalten, denn der lahme Sepp war zurückgekehrt. Sie rief ihn an, während er sich in seinem steinernen Kruge den Abendtrunk holte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
V. Der Tag ging ohne bemerkenswerthen Vorfall vorüber, sonnig und still, langsam und mit den gewöhnlichen Erscheinungen, wie sonst ein Sommertag auf dem Lande. Die Enten plätscherten unter der Brücke, die Pferde wurden in die Schwemme des Stromarmes getrieben. Fernher klang das Dengeln der Sensen aus den Wiesengründen, welche zum zweitenmale gemäht wurden, und in den Wipfeln des Stromwaldes zog das leise Rauschen der warmen Sommerluft, und der vielstimmige Gesang der Vögel wechselte zu den verschiedenen Tageszeiten.
Es war das Bild eines ländlichen Idylls voll Frieden und Behagen; nur die Frau Conrectorin fand heute keinen Frieden. Vergeblich spähte sie zum Hofgut hinüber und lauschte aus den oberen Fenstern ihres Häuschens. Alles blieb dort lautlos, gleichwie ausgestorben, und nur einmal klang die Pforte. Es war am Nachmittag, und der lahme Joseph erschien. Die Frau Conrectorin sah deutlich, wie er ein weißes Blatt versteckte und seinen Milchwagen dann auf der Landstraße zur Stadt lenkte. Diese Entdeckung gab der braven Frau viel zu denken; erst am späten Abend gelang es ihr, einigen Aufschluß zu erhalten, denn der lahme Sepp war zurückgekehrt. Sie rief ihn an, während er sich in seinem steinernen Kruge den Abendtrunk holte.
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Zitationshilfe: | Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/103>, abgerufen am 23.02.2025. |