Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

König den Ausspruch: "jeder von euch hat Recht und weil ein jeder die Jungfrau nicht haben kann, so soll sie keiner von euch haben; aber ich will jedem zur Belohnung ein halbes Königreich geben." Da sprachen die Brüder: "es ist auch besser, als daß wir uneins werden." Der König gab jedem ein halbes Königreich und sie lebten mit ihrem Vater in aller Glückseligkeit.

130.
Einäuglein. Zweiäuglein und Dreiäuglein.

Es war eine Frau, die hatte drei Töchter, davon hieß die älteste Einäuglein, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirne hatte, und die mittelste Zweiäuglein, weil sie zwei Augen hatte, wie andere Menschen, und die jüngste Dreiäuglein, weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiäuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden und sie sprachen zu ihm: "du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus, als das gemeine Volk, du gehörst nicht zu uns;" und stießen es herum und warfen ihm schlechte, alte Kleider hin und gaben ihm nicht mehr zu essen, als was sie übrig ließen und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten.

Es trug sich zu, daß Zweiäuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege hüten mußte und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es

Koͤnig den Ausspruch: „jeder von euch hat Recht und weil ein jeder die Jungfrau nicht haben kann, so soll sie keiner von euch haben; aber ich will jedem zur Belohnung ein halbes Koͤnigreich geben.“ Da sprachen die Bruͤder: „es ist auch besser, als daß wir uneins werden.“ Der Koͤnig gab jedem ein halbes Koͤnigreich und sie lebten mit ihrem Vater in aller Gluͤckseligkeit.

130.
Einaͤuglein. Zweiaͤuglein und Dreiaͤuglein.

Es war eine Frau, die hatte drei Toͤchter, davon hieß die aͤlteste Einaͤuglein, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirne hatte, und die mittelste Zweiaͤuglein, weil sie zwei Augen hatte, wie andere Menschen, und die juͤngste Dreiaͤuglein, weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiaͤuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden und sie sprachen zu ihm: „du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus, als das gemeine Volk, du gehoͤrst nicht zu uns;“ und stießen es herum und warfen ihm schlechte, alte Kleider hin und gaben ihm nicht mehr zu essen, als was sie uͤbrig ließen und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten.

Es trug sich zu, daß Zweiaͤuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege huͤten mußte und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0290" n="212"/>
Ko&#x0364;nig den Ausspruch: &#x201E;jeder von euch hat Recht und weil ein jeder die Jungfrau nicht haben kann, so soll sie keiner von euch haben; aber ich will jedem zur Belohnung ein halbes Ko&#x0364;nigreich geben.&#x201C; Da sprachen die Bru&#x0364;der: &#x201E;es ist auch besser, als daß wir uneins werden.&#x201C; Der Ko&#x0364;nig gab jedem ein halbes Ko&#x0364;nigreich und sie lebten mit ihrem Vater in aller Glu&#x0364;ckseligkeit.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">130.<lb/>
Eina&#x0364;uglein. Zweia&#x0364;uglein und Dreia&#x0364;uglein.</hi> </head><lb/>
        <p>Es war eine Frau, die hatte drei To&#x0364;chter, davon hieß die a&#x0364;lteste <hi rendition="#g">Eina&#x0364;uglein</hi>, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirne hatte, und die mittelste <hi rendition="#g">Zweia&#x0364;uglein</hi>, weil sie zwei Augen hatte, wie andere Menschen, und die ju&#x0364;ngste <hi rendition="#g">Dreia&#x0364;uglein</hi>, weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweia&#x0364;uglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden und sie sprachen zu ihm: &#x201E;du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus, als das gemeine Volk, du geho&#x0364;rst nicht zu uns;&#x201C; und stießen es herum und warfen ihm schlechte, alte Kleider hin und gaben ihm nicht mehr zu essen, als was sie u&#x0364;brig ließen und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten.</p><lb/>
        <p>Es trug sich zu, daß Zweia&#x0364;uglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege hu&#x0364;ten mußte und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0290] Koͤnig den Ausspruch: „jeder von euch hat Recht und weil ein jeder die Jungfrau nicht haben kann, so soll sie keiner von euch haben; aber ich will jedem zur Belohnung ein halbes Koͤnigreich geben.“ Da sprachen die Bruͤder: „es ist auch besser, als daß wir uneins werden.“ Der Koͤnig gab jedem ein halbes Koͤnigreich und sie lebten mit ihrem Vater in aller Gluͤckseligkeit. 130. Einaͤuglein. Zweiaͤuglein und Dreiaͤuglein. Es war eine Frau, die hatte drei Toͤchter, davon hieß die aͤlteste Einaͤuglein, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirne hatte, und die mittelste Zweiaͤuglein, weil sie zwei Augen hatte, wie andere Menschen, und die juͤngste Dreiaͤuglein, weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiaͤuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden und sie sprachen zu ihm: „du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus, als das gemeine Volk, du gehoͤrst nicht zu uns;“ und stießen es herum und warfen ihm schlechte, alte Kleider hin und gaben ihm nicht mehr zu essen, als was sie uͤbrig ließen und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten. Es trug sich zu, daß Zweiaͤuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege huͤten mußte und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/290
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/290>, abgerufen am 03.12.2024.