Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite
12.
Doctor Allwissend.

Es war einmal ein armer Bauer Namens
Krebs, der fuhr mit zwei Ochsen ein Fuder Holz
in die Stadt und verkaufte es für zwei Thaler an
einen Doctor. Wie ihm nun das Geld ausbe-
zahlt wurde, saß der Doctor gerade zu Tisch, da
sah der Bauer, was er schön aß und trank und
das Herz ging ihm darnach auf und er wär' auch
gern ein Doctor gewesen. Also blieb er noch ein
Weilchen stehen und fragte endlich, ob er nicht
auch könnte ein Doctor werden. "O ja, sagte
der Doctor, das ist bald geschehen, erstlich kauf'
dir ein Abcbuch, so eins, wo vornen ein Göckel-
hahn drin ist; zweitens mach' deinen Wagen und
deine zwei Ochsen zu Geld und schaff' dir damit
Kleider an und was sonst zur Doctorei gehört;
drittens laß dir ein Schild malen mit den Wor-
ten: ich bin der Doctor Allwissend;
und das oben über deine Hausthüre nageln." Der
Bauer that alles, wie's ihm geheißen war. Als
er nun ein wenig gedoctert, aber noch nicht viel,
war einem reichen großen Herrn Geld gestohlen.
Da ward ihm von dem Doctor Allwissend gesagt,
der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wis-
sen müßte, wo das Geld hinkommen wäre. Also
ließ der Herr seinen Wagen anspannen, fuhr hin-

12.
Doctor Allwiſſend.

Es war einmal ein armer Bauer Namens
Krebs, der fuhr mit zwei Ochſen ein Fuder Holz
in die Stadt und verkaufte es fuͤr zwei Thaler an
einen Doctor. Wie ihm nun das Geld ausbe-
zahlt wurde, ſaß der Doctor gerade zu Tiſch, da
ſah der Bauer, was er ſchoͤn aß und trank und
das Herz ging ihm darnach auf und er waͤr’ auch
gern ein Doctor geweſen. Alſo blieb er noch ein
Weilchen ſtehen und fragte endlich, ob er nicht
auch koͤnnte ein Doctor werden. „O ja, ſagte
der Doctor, das iſt bald geſchehen, erſtlich kauf’
dir ein Abcbuch, ſo eins, wo vornen ein Goͤckel-
hahn drin iſt; zweitens mach’ deinen Wagen und
deine zwei Ochſen zu Geld und ſchaff’ dir damit
Kleider an und was ſonſt zur Doctorei gehoͤrt;
drittens laß dir ein Schild malen mit den Wor-
ten: ich bin der Doctor Allwiſſend;
und das oben uͤber deine Hausthuͤre nageln.“ Der
Bauer that alles, wie’s ihm geheißen war. Als
er nun ein wenig gedoctert, aber noch nicht viel,
war einem reichen großen Herrn Geld geſtohlen.
Da ward ihm von dem Doctor Allwiſſend geſagt,
der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wiſ-
ſen muͤßte, wo das Geld hinkommen waͤre. Alſo
ließ der Herr ſeinen Wagen anſpannen, fuhr hin-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0109" n="88"/>
      <div n="1">
        <head>12.<lb/><hi rendition="#g">Doctor Allwi&#x017F;&#x017F;end</hi>.</head><lb/>
        <p>Es war einmal ein armer Bauer Namens<lb/><hi rendition="#g">Krebs</hi>, der fuhr mit zwei Och&#x017F;en ein Fuder Holz<lb/>
in die Stadt und verkaufte es fu&#x0364;r zwei Thaler an<lb/>
einen Doctor. Wie ihm nun das Geld ausbe-<lb/>
zahlt wurde, &#x017F;aß der Doctor gerade zu Ti&#x017F;ch, da<lb/>
&#x017F;ah der Bauer, was er &#x017F;cho&#x0364;n aß und trank und<lb/>
das Herz ging ihm darnach auf und er wa&#x0364;r&#x2019; auch<lb/>
gern ein Doctor gewe&#x017F;en. Al&#x017F;o blieb er noch ein<lb/>
Weilchen &#x017F;tehen und fragte endlich, ob er nicht<lb/>
auch ko&#x0364;nnte ein Doctor werden. &#x201E;O ja, &#x017F;agte<lb/>
der Doctor, das i&#x017F;t bald ge&#x017F;chehen, er&#x017F;tlich kauf&#x2019;<lb/>
dir ein Abcbuch, &#x017F;o eins, wo vornen ein Go&#x0364;ckel-<lb/>
hahn drin i&#x017F;t; zweitens mach&#x2019; deinen Wagen und<lb/>
deine zwei Och&#x017F;en zu Geld und &#x017F;chaff&#x2019; dir damit<lb/>
Kleider an und was &#x017F;on&#x017F;t zur Doctorei geho&#x0364;rt;<lb/>
drittens laß dir ein Schild malen mit den Wor-<lb/>
ten: <hi rendition="#g">ich bin der Doctor Allwi&#x017F;&#x017F;end</hi>;<lb/>
und das oben u&#x0364;ber deine Hausthu&#x0364;re nageln.&#x201C; Der<lb/>
Bauer that alles, wie&#x2019;s ihm geheißen war. Als<lb/>
er nun ein wenig gedoctert, aber noch nicht viel,<lb/>
war einem reichen großen Herrn Geld ge&#x017F;tohlen.<lb/>
Da ward ihm von dem Doctor Allwi&#x017F;&#x017F;end ge&#x017F;agt,<lb/>
der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en mu&#x0364;ßte, wo das Geld hinkommen wa&#x0364;re. Al&#x017F;o<lb/>
ließ der Herr &#x017F;einen Wagen an&#x017F;pannen, fuhr hin-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0109] 12. Doctor Allwiſſend. Es war einmal ein armer Bauer Namens Krebs, der fuhr mit zwei Ochſen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es fuͤr zwei Thaler an einen Doctor. Wie ihm nun das Geld ausbe- zahlt wurde, ſaß der Doctor gerade zu Tiſch, da ſah der Bauer, was er ſchoͤn aß und trank und das Herz ging ihm darnach auf und er waͤr’ auch gern ein Doctor geweſen. Alſo blieb er noch ein Weilchen ſtehen und fragte endlich, ob er nicht auch koͤnnte ein Doctor werden. „O ja, ſagte der Doctor, das iſt bald geſchehen, erſtlich kauf’ dir ein Abcbuch, ſo eins, wo vornen ein Goͤckel- hahn drin iſt; zweitens mach’ deinen Wagen und deine zwei Ochſen zu Geld und ſchaff’ dir damit Kleider an und was ſonſt zur Doctorei gehoͤrt; drittens laß dir ein Schild malen mit den Wor- ten: ich bin der Doctor Allwiſſend; und das oben uͤber deine Hausthuͤre nageln.“ Der Bauer that alles, wie’s ihm geheißen war. Als er nun ein wenig gedoctert, aber noch nicht viel, war einem reichen großen Herrn Geld geſtohlen. Da ward ihm von dem Doctor Allwiſſend geſagt, der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wiſ- ſen muͤßte, wo das Geld hinkommen waͤre. Alſo ließ der Herr ſeinen Wagen anſpannen, fuhr hin-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/109
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/109>, abgerufen am 18.12.2024.