Es war ein Mädchen faul und wollte nicht spinnen, und die Mutter mochte sagen was sie wollte, sie konnte es nicht dazu bringen. Endlich übernahm die Mutter einmal Zorn und Ungeduld, daß sie ihm Schläge gab, worüber es laut zu weinen anfieng. Nun fuhr gerade die Königin vorbei, und als sie das Weinen hörte, ließ sie anhalten, trat in das Haus, und fragte die Mutter, warum sie ihre Tochter schlüge, daß man draußen auf der Straße das Weinen hörte. Da schämte sich die Frau daß sie die Faulheit ihrer Tochter offenbaren sollte, und sprach 'ich kann sie nicht vom Spinnen abbringen, sie will immer und ewig spinnen, und ich bin arm und kann den Flachs nicht herbeischaffen.' Da antwortete die Königin 'ich höre nichts lieber als spinnen, und bin nicht vergnügter als wenn die Räder schnurren; gebt mir eure Tochter mit ins Schloß, ich habe Flachs genug, da soll sie spinnen, so viel sie Lust hat.' Die Mutter wars von Herzen gerne zufrieden, und die Königin nahm das Mädchen mit. Als sie ins Schloß gekommen waren, führte sie es hinauf zu drei Kammern, die lagen von unten bis oben voll vom schönsten Flachs. 'Nun spinn mir diesen Flachs,' sprach sie, und wenn du es fertig bringst, so sollst du meinen ältesten Sohn
14. Die drei Spinnerinnen.
Es war ein Maͤdchen faul und wollte nicht spinnen, und die Mutter mochte sagen was sie wollte, sie konnte es nicht dazu bringen. Endlich uͤbernahm die Mutter einmal Zorn und Ungeduld, daß sie ihm Schlaͤge gab, woruͤber es laut zu weinen anfieng. Nun fuhr gerade die Koͤnigin vorbei, und als sie das Weinen hoͤrte, ließ sie anhalten, trat in das Haus, und fragte die Mutter, warum sie ihre Tochter schluͤge, daß man draußen auf der Straße das Weinen hoͤrte. Da schaͤmte sich die Frau daß sie die Faulheit ihrer Tochter offenbaren sollte, und sprach ‘ich kann sie nicht vom Spinnen abbringen, sie will immer und ewig spinnen, und ich bin arm und kann den Flachs nicht herbeischaffen.’ Da antwortete die Koͤnigin ‘ich hoͤre nichts lieber als spinnen, und bin nicht vergnuͤgter als wenn die Raͤder schnurren; gebt mir eure Tochter mit ins Schloß, ich habe Flachs genug, da soll sie spinnen, so viel sie Lust hat.’ Die Mutter wars von Herzen gerne zufrieden, und die Koͤnigin nahm das Maͤdchen mit. Als sie ins Schloß gekommen waren, fuͤhrte sie es hinauf zu drei Kammern, die lagen von unten bis oben voll vom schoͤnsten Flachs. ‘Nun spinn mir diesen Flachs,’ sprach sie, und wenn du es fertig bringst, so sollst du meinen aͤltesten Sohn
<TEI><text><body><pbfacs="#f0120"n="89"/><divn="1"><head><hirendition="#b">14.<lb/>
Die drei Spinnerinnen.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>s war ein Maͤdchen faul und wollte nicht spinnen, und die Mutter mochte sagen was sie wollte, sie konnte es nicht dazu bringen. Endlich uͤbernahm die Mutter einmal Zorn und Ungeduld, daß sie ihm Schlaͤge gab, woruͤber es laut zu weinen anfieng. Nun fuhr gerade die Koͤnigin vorbei, und als sie das Weinen hoͤrte, ließ sie anhalten, trat in das Haus, und fragte die Mutter, warum sie ihre Tochter schluͤge, daß man draußen auf der Straße das Weinen hoͤrte. Da schaͤmte sich die Frau daß sie die Faulheit ihrer Tochter offenbaren sollte, und sprach ‘ich kann sie nicht vom Spinnen abbringen, sie will immer und ewig spinnen, und ich bin arm und kann den Flachs nicht herbeischaffen.’ Da antwortete die Koͤnigin ‘ich hoͤre nichts lieber als spinnen, und bin nicht vergnuͤgter als wenn die Raͤder schnurren; gebt mir eure Tochter mit ins Schloß, ich habe Flachs genug, da soll sie spinnen, so viel sie Lust hat.’ Die Mutter wars von Herzen gerne zufrieden, und die Koͤnigin nahm das Maͤdchen mit. Als sie ins Schloß gekommen waren, fuͤhrte sie es hinauf zu drei Kammern, die lagen von unten bis oben voll vom schoͤnsten Flachs. ‘Nun spinn mir diesen Flachs,’ sprach sie, und wenn du es fertig bringst, so sollst du meinen aͤltesten Sohn
</p></div></body></text></TEI>
[89/0120]
14.
Die drei Spinnerinnen.
Es war ein Maͤdchen faul und wollte nicht spinnen, und die Mutter mochte sagen was sie wollte, sie konnte es nicht dazu bringen. Endlich uͤbernahm die Mutter einmal Zorn und Ungeduld, daß sie ihm Schlaͤge gab, woruͤber es laut zu weinen anfieng. Nun fuhr gerade die Koͤnigin vorbei, und als sie das Weinen hoͤrte, ließ sie anhalten, trat in das Haus, und fragte die Mutter, warum sie ihre Tochter schluͤge, daß man draußen auf der Straße das Weinen hoͤrte. Da schaͤmte sich die Frau daß sie die Faulheit ihrer Tochter offenbaren sollte, und sprach ‘ich kann sie nicht vom Spinnen abbringen, sie will immer und ewig spinnen, und ich bin arm und kann den Flachs nicht herbeischaffen.’ Da antwortete die Koͤnigin ‘ich hoͤre nichts lieber als spinnen, und bin nicht vergnuͤgter als wenn die Raͤder schnurren; gebt mir eure Tochter mit ins Schloß, ich habe Flachs genug, da soll sie spinnen, so viel sie Lust hat.’ Die Mutter wars von Herzen gerne zufrieden, und die Koͤnigin nahm das Maͤdchen mit. Als sie ins Schloß gekommen waren, fuͤhrte sie es hinauf zu drei Kammern, die lagen von unten bis oben voll vom schoͤnsten Flachs. ‘Nun spinn mir diesen Flachs,’ sprach sie, und wenn du es fertig bringst, so sollst du meinen aͤltesten Sohn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/120>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.