Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite
Einleitung.



Ueber das Wesen der Märchen.

Kindermärchen werden erzählt, damit in ihrem reinen und milden Lichte die ersten Gedanken und Kräfte des Herzens aufwachen und wachsen; weil aber einen jeden ihre einfache Poesie erfreuen und ihre Wahrheit belehren kann, und weil sie beim Haus bleiben und forterben, werden sie auch Hausmärchen genannt*). Die geschichtliche Sage fügt meist etwas Ungewöhnliches und Ueberraschendes, selbst das Uebersinnliche, geradezu und ernsthaft an das Gewöhnliche, Wohlbekannte und Gegenwärtige, weshalb sie oft eckig, scharf und seltsam erscheint, das Märchen aber steht abseits der Welt in einem umfriedeten, ungestörten Platz, über welchen es hinaus in jene nicht weiter schaut. Darum kennt es weder Namen und Orte, noch eine bestimmte Heimath, und es ist etwas dem ganzen Vaterland gemeinsames.


*) Hausmärlein bei Rollenhagen; Abendmärlein, s. Oberlin v. Belzen und das Gedicht von dem Häselin B. 7. -- Rockenmärlein, bei Aventin, bair. Chr. 169 a 406 a.
Einleitung.



Ueber das Wesen der Maͤrchen.

Kindermaͤrchen werden erzaͤhlt, damit in ihrem reinen und milden Lichte die ersten Gedanken und Kraͤfte des Herzens aufwachen und wachsen; weil aber einen jeden ihre einfache Poesie erfreuen und ihre Wahrheit belehren kann, und weil sie beim Haus bleiben und forterben, werden sie auch Hausmaͤrchen genannt*). Die geschichtliche Sage fuͤgt meist etwas Ungewoͤhnliches und Ueberraschendes, selbst das Uebersinnliche, geradezu und ernsthaft an das Gewoͤhnliche, Wohlbekannte und Gegenwaͤrtige, weshalb sie oft eckig, scharf und seltsam erscheint, das Maͤrchen aber steht abseits der Welt in einem umfriedeten, ungestoͤrten Platz, uͤber welchen es hinaus in jene nicht weiter schaut. Darum kennt es weder Namen und Orte, noch eine bestimmte Heimath, und es ist etwas dem ganzen Vaterland gemeinsames.


*) Hausmaͤrlein bei Rollenhagen; Abendmaͤrlein, s. Oberlin v. Belzen und das Gedicht von dem Haͤselin B. 7. — Rockenmaͤrlein, bei Aventin, bair. Chr. 169 a 406 a.
<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0029" n="XXI"/>
      <div type="preface">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Ueber das Wesen der Ma&#x0364;rchen.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">K</hi>inderma&#x0364;rchen werden erza&#x0364;hlt, damit in ihrem reinen und milden Lichte die ersten Gedanken und Kra&#x0364;fte des Herzens aufwachen und wachsen; weil aber einen jeden ihre einfache Poesie erfreuen und ihre Wahrheit belehren kann, und weil sie beim Haus bleiben und forterben, werden sie auch Hausma&#x0364;rchen genannt<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Hausma&#x0364;rlein</hi> bei Rollenhagen; <hi rendition="#g">Abendma&#x0364;rlein,</hi> s. Oberlin v. Belzen und das Gedicht von dem Ha&#x0364;selin B. 7. &#x2014; <hi rendition="#g">Rockenma&#x0364;rlein,</hi> bei Aventin, bair. Chr. 169 a 406 a.</note>. Die geschichtliche Sage fu&#x0364;gt meist etwas Ungewo&#x0364;hnliches und Ueberraschendes, selbst das Uebersinnliche, geradezu und ernsthaft an das Gewo&#x0364;hnliche, Wohlbekannte und Gegenwa&#x0364;rtige, weshalb sie oft eckig, scharf und seltsam erscheint, das Ma&#x0364;rchen aber steht abseits der Welt in einem umfriedeten, ungesto&#x0364;rten Platz, u&#x0364;ber welchen es hinaus in jene nicht weiter schaut. Darum kennt es weder Namen und Orte, noch eine bestimmte Heimath, und es ist etwas dem ganzen Vaterland gemeinsames.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XXI/0029] Einleitung. Ueber das Wesen der Maͤrchen. Kindermaͤrchen werden erzaͤhlt, damit in ihrem reinen und milden Lichte die ersten Gedanken und Kraͤfte des Herzens aufwachen und wachsen; weil aber einen jeden ihre einfache Poesie erfreuen und ihre Wahrheit belehren kann, und weil sie beim Haus bleiben und forterben, werden sie auch Hausmaͤrchen genannt *). Die geschichtliche Sage fuͤgt meist etwas Ungewoͤhnliches und Ueberraschendes, selbst das Uebersinnliche, geradezu und ernsthaft an das Gewoͤhnliche, Wohlbekannte und Gegenwaͤrtige, weshalb sie oft eckig, scharf und seltsam erscheint, das Maͤrchen aber steht abseits der Welt in einem umfriedeten, ungestoͤrten Platz, uͤber welchen es hinaus in jene nicht weiter schaut. Darum kennt es weder Namen und Orte, noch eine bestimmte Heimath, und es ist etwas dem ganzen Vaterland gemeinsames. *) Hausmaͤrlein bei Rollenhagen; Abendmaͤrlein, s. Oberlin v. Belzen und das Gedicht von dem Haͤselin B. 7. — Rockenmaͤrlein, bei Aventin, bair. Chr. 169 a 406 a.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/29
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. XXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/29>, abgerufen am 22.12.2024.