Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.Zeugnisse für Kindermärchen. Strabo I, 2. §. 3. ed. 1620. p. 19. "Wir erzählen den Kindern, um sie zu ermun- tern, angenehme Geschichten, und um sie abzuhal- ten, schreckliche Märchen, wie die von der Lamia, der Gorgone, von Ephialtes und Mormolyk." Lamia, eine Frau, welche Kinder fraß. Gor- gone, eine Frau mit Schlangenhaaren, eher- nen Händen und Zähnen, so groß wie Eber- hauer, ihr Anblick tödtete und versteinerte. Ephialtes, ein himmelstürmender Riese, der den Ossa auf den Olymp, den Pelion auf den Ossa setzte. Die Mormolyken sind Geister und Gespenster. Luther hat gesagt: "Ich mögt' mich der wundersamen Historien, so ich aus zarter Kindheit herüber genommen, oder auch, wie sie mir vorkommen sind in meinem Leben, nicht entschlagen, um kein Gold." Doctor Luther hat seine Mühe an den alten und verunreinigten Esopum legen und seinen Deutschen ein verneuertes und geschwertes Märleinbuch zurichten wollen, daran der Zeit viel guter Leut ein sonderes Gefallen trugen, -- aber, weil sich der theure Mann an der Biblia neben viel Predigen und Schreiben ab- gearbeitet, verblieb dies angefangene Werk, welches Anfang gleichwohl Magister Georg Rörer hernachmals in den neunten Theil der Zeugniſſe fuͤr Kindermaͤrchen. Strabo I, 2. §. 3. ed. 1620. p. 19. „Wir erzaͤhlen den Kindern, um ſie zu ermun- tern, angenehme Geſchichten, und um ſie abzuhal- ten, ſchreckliche Maͤrchen, wie die von der Lamia, der Gorgone, von Ephialtes und Mormolyk.“ Lamia, eine Frau, welche Kinder fraß. Gor- gone, eine Frau mit Schlangenhaaren, eher- nen Haͤnden und Zaͤhnen, ſo groß wie Eber- hauer, ihr Anblick toͤdtete und verſteinerte. Ephialtes, ein himmelſtuͤrmender Rieſe, der den Oſſa auf den Olymp, den Pelion auf den Oſſa ſetzte. Die Mormolyken ſind Geiſter und Geſpenſter. Luther hat geſagt: „Ich moͤgt' mich der wunderſamen Hiſtorien, ſo ich aus zarter Kindheit heruͤber genommen, oder auch, wie ſie mir vorkommen ſind in meinem Leben, nicht entſchlagen, um kein Gold.“ Doctor Luther hat ſeine Muͤhe an den alten und verunreinigten Eſopum legen und ſeinen Deutſchen ein verneuertes und geſchwertes Maͤrleinbuch zurichten wollen, daran der Zeit viel guter Leut ein ſonderes Gefallen trugen, — aber, weil ſich der theure Mann an der Biblia neben viel Predigen und Schreiben ab- gearbeitet, verblieb dies angefangene Werk, welches Anfang gleichwohl Magiſter Georg Roͤrer hernachmals in den neunten Theil der <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0028" n="XXII"/> <div n="1"> <head><hi rendition="#g">Zeugniſſe fuͤr Kindermaͤrchen</hi>.</head><lb/> <list> <item>Strabo <hi rendition="#aq">I, 2. §. 3. ed. 1620. p.</hi> 19.<lb/> „Wir erzaͤhlen den Kindern, um ſie zu ermun-<lb/> tern, angenehme Geſchichten, und um ſie abzuhal-<lb/> ten, ſchreckliche Maͤrchen, wie die von der Lamia,<lb/> der Gorgone, von Ephialtes und Mormolyk.“</item><lb/> <item><hi rendition="#g">Lamia</hi>, eine Frau, welche Kinder fraß. <hi rendition="#g">Gor-<lb/> gone</hi>, eine Frau mit Schlangenhaaren, eher-<lb/> nen Haͤnden und Zaͤhnen, ſo groß wie Eber-<lb/> hauer, ihr Anblick toͤdtete und verſteinerte.<lb/><hi rendition="#g">Ephialtes</hi>, ein himmelſtuͤrmender Rieſe, der<lb/> den Oſſa auf den Olymp, den Pelion auf den<lb/> Oſſa ſetzte. Die <hi rendition="#g">Mormolyken</hi> ſind Geiſter<lb/> und Geſpenſter.</item><lb/> <item><hi rendition="#g">Luther</hi> hat geſagt:<lb/><hi rendition="#et">„Ich moͤgt' mich der wunderſamen Hiſtorien, ſo<lb/> ich aus zarter Kindheit heruͤber genommen,<lb/> oder auch, wie ſie mir vorkommen ſind in<lb/> meinem Leben, nicht entſchlagen, um kein<lb/> Gold.“<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/> Doctor Luther hat ſeine Muͤhe an den alten<lb/> und verunreinigten Eſopum legen und ſeinen<lb/> Deutſchen ein verneuertes und geſchwertes<lb/> Maͤrleinbuch zurichten wollen, daran der Zeit<lb/> viel guter Leut ein ſonderes Gefallen trugen,<lb/> — aber, weil ſich der theure Mann an der<lb/> Biblia neben viel Predigen und Schreiben ab-<lb/> gearbeitet, verblieb dies angefangene Werk,<lb/> welches Anfang gleichwohl Magiſter Georg<lb/> Roͤrer hernachmals in den neunten Theil der<lb/></hi></item> </list> </div> </front> </text> </TEI> [XXII/0028]
Zeugniſſe fuͤr Kindermaͤrchen.
Strabo I, 2. §. 3. ed. 1620. p. 19.
„Wir erzaͤhlen den Kindern, um ſie zu ermun-
tern, angenehme Geſchichten, und um ſie abzuhal-
ten, ſchreckliche Maͤrchen, wie die von der Lamia,
der Gorgone, von Ephialtes und Mormolyk.“
Lamia, eine Frau, welche Kinder fraß. Gor-
gone, eine Frau mit Schlangenhaaren, eher-
nen Haͤnden und Zaͤhnen, ſo groß wie Eber-
hauer, ihr Anblick toͤdtete und verſteinerte.
Ephialtes, ein himmelſtuͤrmender Rieſe, der
den Oſſa auf den Olymp, den Pelion auf den
Oſſa ſetzte. Die Mormolyken ſind Geiſter
und Geſpenſter.
Luther hat geſagt:
„Ich moͤgt' mich der wunderſamen Hiſtorien, ſo
ich aus zarter Kindheit heruͤber genommen,
oder auch, wie ſie mir vorkommen ſind in
meinem Leben, nicht entſchlagen, um kein
Gold.“
Doctor Luther hat ſeine Muͤhe an den alten
und verunreinigten Eſopum legen und ſeinen
Deutſchen ein verneuertes und geſchwertes
Maͤrleinbuch zurichten wollen, daran der Zeit
viel guter Leut ein ſonderes Gefallen trugen,
— aber, weil ſich der theure Mann an der
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gearbeitet, verblieb dies angefangene Werk,
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. XXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/28>, abgerufen am 21.02.2025. |