Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. subst. uneig. comp. -- subst. mit subst. acc.?
liche composita zu halten sind, läßt sich keine feste grenze
ziehen; äußerlich fallen sie in der heutigen gestalt ganz
zusammen und es kann nur davon die rede sein, beide
arten auf historischem wege, so viel möglich ist, von ein-
ander zu sondern. In beiden arten mag sogar das näm-
liche zweite wort vorkommen, z. b. das nhd. eh-brecher
ist, glaube ich, lediglich von eh-brechen hergeleitet und
kein mhd. e-breche nachzuweisen, wie ein mhd. vride-
breche MS. 2, 151a, dem ein nhd. fried-brecher ent-
spräche, wofür das genitivische friedens-brecher einge-
führt worden ist. Die nhd. sack-träger, last-tr. hörner-
tr. scheinen eigentlich componiert, wie die mhd. lieht-
trage (s. 545.) und krone-trage MS. 2, 132a; dagegen
mhd. heie (= pfleger, heger) mit dem gen. construiert
wird: der eren heie, stuben heie MS. 2, 221b 75b. Der-
gleichen bildungen können sich also auf dreierlei gründen,
auf eigentl. composition oder auf uneigentl. mit dem gen,
oder mit dem acc., letzteres nur, wenn ihnen ein schon
zus. gesetzter inf. vorausgeht.


Substantiv mit adjectiv (s. 597.).

Auch hier ist hauptsächlich von dem gen., daneben aber
von dem dat., kaum von dem acc. die rede.

I. genitivische composition. Gewisse adj. regieren den
gen.; ob dabei ein ausgelaßnes subst. hinzuzudenken sei,
wird die syntax untersuchen. Es sind hauptsächlich die
adj., welche fülle und leere, haft und losheit, neigung
und fähigkeit oder ein maß anzeigen. Diese sogenannt
relativen adj. gehen nun auch häufig eigentliche composi-
tion ein, wie das verzeichnis s. 556-578. lehrt; allein
durch die anwendung des wirklichen gen. wird der be-
griff verstärkt und sinnlicher hervorgehoben, während
eigentliche zus. setzung erst an der stelle ist, wenn das
adj. schon halb abstract und den lebendigen casus zu re-
gieren unfähig geworden war. So z. b. ist voll des ruh-
mes, geistes, mehr als ruhm-voll, geist-voll, aber zuwei-
len darf beides gesagt werden.

Composition wird wiederum durch den unmittelbaren
vortritt des gen., der allmählig an das adj. wächst, be-
dingt. Im goth. steht er zwar einigemahl vor: ahmins
veihis fulls (pneumatos agiou pleres) Luc. 4, 1. banjo
fulls (elkomenos) Luc. 16, 20, doch ist an keine zus.

III. ſubſt. uneig. comp. — ſubſt. mit ſubſt. acc.?
liche compoſita zu halten ſind, läßt ſich keine feſte grenze
ziehen; äußerlich fallen ſie in der heutigen geſtalt ganz
zuſammen und es kann nur davon die rede ſein, beide
arten auf hiſtoriſchem wege, ſo viel möglich iſt, von ein-
ander zu ſondern. In beiden arten mag ſogar das näm-
liche zweite wort vorkommen, z. b. das nhd. eh-brecher
iſt, glaube ich, lediglich von eh-brechen hergeleitet und
kein mhd. ê-brëche nachzuweiſen, wie ein mhd. vride-
brëche MS. 2, 151a, dem ein nhd. fried-brecher ent-
ſpräche, wofür das genitiviſche friedens-brecher einge-
führt worden iſt. Die nhd. ſack-träger, laſt-tr. hörner-
tr. ſcheinen eigentlich componiert, wie die mhd. lieht-
trage (ſ. 545.) und krône-trage MS. 2, 132a; dagegen
mhd. heie (= pfleger, heger) mit dem gen. conſtruiert
wird: der êren heie, ſtuben heie MS. 2, 221b 75b. Der-
gleichen bildungen können ſich alſo auf dreierlei gründen,
auf eigentl. compoſition oder auf uneigentl. mit dem gen,
oder mit dem acc., letzteres nur, wenn ihnen ein ſchon
zuſ. geſetzter inf. vorausgeht.


Subſtantiv mit adjectiv (ſ. 597.).

Auch hier iſt hauptſächlich von dem gen., daneben aber
von dem dat., kaum von dem acc. die rede.

I. genitiviſche compoſition. Gewiſſe adj. regieren den
gen.; ob dabei ein ausgelaßnes ſubſt. hinzuzudenken ſei,
wird die ſyntax unterſuchen. Es ſind hauptſächlich die
adj., welche fülle und leere, haft und losheit, neigung
und fähigkeit oder ein maß anzeigen. Dieſe ſogenannt
relativen adj. gehen nun auch häufig eigentliche compoſi-
tion ein, wie das verzeichnis ſ. 556-578. lehrt; allein
durch die anwendung des wirklichen gen. wird der be-
griff verſtärkt und ſinnlicher hervorgehoben, während
eigentliche zuſ. ſetzung erſt an der ſtelle iſt, wenn das
adj. ſchon halb abſtract und den lebendigen caſus zu re-
gieren unfähig geworden war. So z. b. iſt voll des ruh-
mes, geiſtes, mehr als ruhm-voll, geiſt-voll, aber zuwei-
len darf beides geſagt werden.

Compoſition wird wiederum durch den unmittelbaren
vortritt des gen., der allmählig an das adj. wächſt, be-
dingt. Im goth. ſteht er zwar einigemahl vor: ahmins
veihis fulls (πνεύματος ἁγίου πλήρης) Luc. 4, 1. banjô
fulls (ἡλκωμένος) Luc. 16, 20, doch iſt an keine zuſ.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0637" n="619"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">&#x017F;ub&#x017F;t. uneig. comp. &#x2014; &#x017F;ub&#x017F;t. mit &#x017F;ub&#x017F;t. acc.?</hi></hi></fw><lb/>
liche compo&#x017F;ita zu halten &#x017F;ind, läßt &#x017F;ich keine fe&#x017F;te grenze<lb/>
ziehen; äußerlich fallen &#x017F;ie in der heutigen ge&#x017F;talt ganz<lb/>
zu&#x017F;ammen und es kann nur davon die rede &#x017F;ein, beide<lb/>
arten auf hi&#x017F;tori&#x017F;chem wege, &#x017F;o viel möglich i&#x017F;t, von ein-<lb/>
ander zu &#x017F;ondern. In beiden arten mag &#x017F;ogar das näm-<lb/>
liche zweite wort vorkommen, z. b. das nhd. eh-brecher<lb/>
i&#x017F;t, glaube ich, lediglich von eh-brechen hergeleitet und<lb/>
kein mhd. ê-brëche nachzuwei&#x017F;en, wie ein mhd. vride-<lb/>
brëche MS. 2, 151<hi rendition="#sup">a</hi>, dem ein nhd. fried-brecher ent-<lb/>
&#x017F;präche, wofür das genitivi&#x017F;che friedens-brecher einge-<lb/>
führt worden i&#x017F;t. Die nhd. &#x017F;ack-träger, la&#x017F;t-tr. hörner-<lb/>
tr. &#x017F;cheinen eigentlich componiert, wie die mhd. lieht-<lb/>
trage (&#x017F;. 545.) und krône-trage MS. 2, 132<hi rendition="#sup">a</hi>; dagegen<lb/>
mhd. heie (= pfleger, heger) mit dem gen. con&#x017F;truiert<lb/>
wird: der êren heie, &#x017F;tuben heie MS. 2, 221<hi rendition="#sup">b</hi> 75<hi rendition="#sup">b</hi>. Der-<lb/>
gleichen bildungen können &#x017F;ich al&#x017F;o auf dreierlei gründen,<lb/>
auf eigentl. compo&#x017F;ition oder auf uneigentl. mit dem gen,<lb/>
oder mit dem acc., letzteres nur, wenn ihnen ein &#x017F;chon<lb/>
zu&#x017F;. ge&#x017F;etzter inf. vorausgeht.</p>
                </div>
              </div><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
              <div n="5">
                <head><hi rendition="#i">Sub&#x017F;tantiv mit adjectiv</hi> (&#x017F;. 597.).</head><lb/>
                <p>Auch hier i&#x017F;t haupt&#x017F;ächlich von dem gen., daneben aber<lb/>
von dem dat., kaum von dem acc. die rede.</p><lb/>
                <p>I. <hi rendition="#i">genitivi&#x017F;che</hi> compo&#x017F;ition. Gewi&#x017F;&#x017F;e adj. regieren den<lb/>
gen.; ob dabei ein ausgelaßnes &#x017F;ub&#x017F;t. hinzuzudenken &#x017F;ei,<lb/>
wird die &#x017F;yntax unter&#x017F;uchen. Es &#x017F;ind haupt&#x017F;ächlich die<lb/>
adj., welche fülle und leere, haft und losheit, neigung<lb/>
und fähigkeit oder ein maß anzeigen. Die&#x017F;e &#x017F;ogenannt<lb/>
relativen adj. gehen nun auch häufig eigentliche compo&#x017F;i-<lb/>
tion ein, wie das verzeichnis &#x017F;. 556-578. lehrt; allein<lb/>
durch die anwendung des wirklichen gen. wird der be-<lb/>
griff ver&#x017F;tärkt und &#x017F;innlicher hervorgehoben, während<lb/>
eigentliche zu&#x017F;. &#x017F;etzung er&#x017F;t an der &#x017F;telle i&#x017F;t, wenn das<lb/>
adj. &#x017F;chon halb ab&#x017F;tract und den lebendigen ca&#x017F;us zu re-<lb/>
gieren unfähig geworden war. So z. b. i&#x017F;t voll des ruh-<lb/>
mes, gei&#x017F;tes, mehr als ruhm-voll, gei&#x017F;t-voll, aber zuwei-<lb/>
len darf beides ge&#x017F;agt werden.</p><lb/>
                <p>Compo&#x017F;ition wird wiederum durch den unmittelbaren<lb/>
vortritt des gen., der allmählig an das adj. wäch&#x017F;t, be-<lb/>
dingt. Im goth. &#x017F;teht er zwar einigemahl vor: ahmins<lb/>
veihis fulls (<hi rendition="#i">&#x03C0;&#x03BD;&#x03B5;&#x03CD;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F01;&#x03B3;&#x03AF;&#x03BF;&#x03C5; &#x03C0;&#x03BB;&#x03AE;&#x03C1;&#x03B7;&#x03C2;</hi>) Luc. 4, 1. banjô<lb/>
fulls (<hi rendition="#i">&#x1F21;&#x03BB;&#x03BA;&#x03C9;&#x03BC;&#x03AD;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C2;</hi>) Luc. 16, 20, doch i&#x017F;t an keine zu&#x017F;.<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[619/0637] III. ſubſt. uneig. comp. — ſubſt. mit ſubſt. acc.? liche compoſita zu halten ſind, läßt ſich keine feſte grenze ziehen; äußerlich fallen ſie in der heutigen geſtalt ganz zuſammen und es kann nur davon die rede ſein, beide arten auf hiſtoriſchem wege, ſo viel möglich iſt, von ein- ander zu ſondern. In beiden arten mag ſogar das näm- liche zweite wort vorkommen, z. b. das nhd. eh-brecher iſt, glaube ich, lediglich von eh-brechen hergeleitet und kein mhd. ê-brëche nachzuweiſen, wie ein mhd. vride- brëche MS. 2, 151a, dem ein nhd. fried-brecher ent- ſpräche, wofür das genitiviſche friedens-brecher einge- führt worden iſt. Die nhd. ſack-träger, laſt-tr. hörner- tr. ſcheinen eigentlich componiert, wie die mhd. lieht- trage (ſ. 545.) und krône-trage MS. 2, 132a; dagegen mhd. heie (= pfleger, heger) mit dem gen. conſtruiert wird: der êren heie, ſtuben heie MS. 2, 221b 75b. Der- gleichen bildungen können ſich alſo auf dreierlei gründen, auf eigentl. compoſition oder auf uneigentl. mit dem gen, oder mit dem acc., letzteres nur, wenn ihnen ein ſchon zuſ. geſetzter inf. vorausgeht. Subſtantiv mit adjectiv (ſ. 597.). Auch hier iſt hauptſächlich von dem gen., daneben aber von dem dat., kaum von dem acc. die rede. I. genitiviſche compoſition. Gewiſſe adj. regieren den gen.; ob dabei ein ausgelaßnes ſubſt. hinzuzudenken ſei, wird die ſyntax unterſuchen. Es ſind hauptſächlich die adj., welche fülle und leere, haft und losheit, neigung und fähigkeit oder ein maß anzeigen. Dieſe ſogenannt relativen adj. gehen nun auch häufig eigentliche compoſi- tion ein, wie das verzeichnis ſ. 556-578. lehrt; allein durch die anwendung des wirklichen gen. wird der be- griff verſtärkt und ſinnlicher hervorgehoben, während eigentliche zuſ. ſetzung erſt an der ſtelle iſt, wenn das adj. ſchon halb abſtract und den lebendigen caſus zu re- gieren unfähig geworden war. So z. b. iſt voll des ruh- mes, geiſtes, mehr als ruhm-voll, geiſt-voll, aber zuwei- len darf beides geſagt werden. Compoſition wird wiederum durch den unmittelbaren vortritt des gen., der allmählig an das adj. wächſt, be- dingt. Im goth. ſteht er zwar einigemahl vor: ahmins veihis fulls (πνεύματος ἁγίου πλήρης) Luc. 4, 1. banjô fulls (ἡλκωμένος) Luc. 16, 20, doch iſt an keine zuſ.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/637
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/637>, abgerufen am 21.11.2024.