Der zweite theil meines werks liefert nur drei, freilich aber die wichtigsten capitel des dritten buchs, so daß alles, was noch davon übrig ist, und die ganze syntax, für die folge aufgehoben bleiben. Ich war an- fangs entschloßen, die gesamte wortbildungslehre in einen band zu faßen, daher man auch die beiden ersten capitel gedrängter und enthaltsamer abgehandelt finden wird; so- bald ich die unmöglichkeit einsah, jenen vorsatz auszu- führen, fieng ich an, mich mehr gehen zu laßen, die zusammensetzungen sind darum weitläuftiger, oder wenn man will, vollständiger bearbeitet worden, als sonst hätte geschehen können. Allein selbst ohne dieses zufällige ver- hältnis würde in jedweder untersuchung der deutschen wortbildungen die derivation beträchtlich geringeren raum einnehmen, als die composition, wofür sprache und sprach- geschichte den reichsten stoff darbietet. Es ist bei der letztern auch leichter grund zu spüren, als bei dem dun- keln, oft nur in einzelnen, sparsamen erscheinungen vor- blickenden gesetz, das die ableitungen regiert. Das erste capitel beschäftigt sich mit einem bisher unbeachteten gegenstand und bedarf vor allen vielfältiger berichtigung und erweiterung. Wird das ganze buch jemahls einer umarbeitung, wozu es sich beinahe verhalten möchte, wie zu der zweiten ausgabe des ersten theils die erste, theil- haftig und ist überhaupt der gedanke, daß die wesentliche form unserer starken conjugation alle anderen wortbildun- gen durchdringt, es werth, größer gezogen zu werden; so muß diese lehre, und was sich alles aus ihr folgern läßt, ungleich reichhaltiger ausfallen. Das neueste in den beiden andern capiteln dürfte mein versuch sein, manche dunkle wortbildungen aus dem wegfall des bildenden a und der davor stehenden spirans zu deuten, so wie die eintheilung der zusammensetzungen in eigentliche und uneigentliche.
Die deutsche grammatik befindet sich jetzt in einem, vor kurzem noch ungeahnten, zustande der aufregung, wozu zwei an sich völlig verschiedene ursachen mit- wirken.
Nachdem das studium der orientalischen sprachen, so lehrreich und lohnend es an sich selbst sein mag, in un- mittelbarer beziehung auf die europäischen immer un- fruchtbar geblieben war, ist nunmehr endlich die reihe
VORREDE.
Der zweite theil meines werks liefert nur drei, freilich aber die wichtigſten capitel des dritten buchs, ſo daß alles, was noch davon übrig iſt, und die ganze ſyntax, für die folge aufgehoben bleiben. Ich war an- fangs entſchloßen, die geſamte wortbildungslehre in einen band zu faßen, daher man auch die beiden erſten capitel gedrängter und enthaltſamer abgehandelt finden wird; ſo- bald ich die unmöglichkeit einſah, jenen vorſatz auszu- führen, fieng ich an, mich mehr gehen zu laßen, die zuſammenſetzungen ſind darum weitläuftiger, oder wenn man will, vollſtändiger bearbeitet worden, als ſonſt hätte geſchehen können. Allein ſelbſt ohne dieſes zufällige ver- hältnis würde in jedweder unterſuchung der deutſchen wortbildungen die derivation beträchtlich geringeren raum einnehmen, als die compoſition, wofür ſprache und ſprach- geſchichte den reichſten ſtoff darbietet. Es iſt bei der letztern auch leichter grund zu ſpüren, als bei dem dun- keln, oft nur in einzelnen, ſparſamen erſcheinungen vor- blickenden geſetz, das die ableitungen regiert. Das erſte capitel beſchäftigt ſich mit einem bisher unbeachteten gegenſtand und bedarf vor allen vielfältiger berichtigung und erweiterung. Wird das ganze buch jemahls einer umarbeitung, wozu es ſich beinahe verhalten möchte, wie zu der zweiten ausgabe des erſten theils die erſte, theil- haftig und iſt überhaupt der gedanke, daß die weſentliche form unſerer ſtarken conjugation alle anderen wortbildun- gen durchdringt, es werth, größer gezogen zu werden; ſo muß dieſe lehre, und was ſich alles aus ihr folgern läßt, ungleich reichhaltiger ausfallen. Das neueſte in den beiden andern capiteln dürfte mein verſuch ſein, manche dunkle wortbildungen aus dem wegfall des bildenden a und der davor ſtehenden ſpirans zu deuten, ſo wie die eintheilung der zuſammenſetzungen in eigentliche und uneigentliche.
Die deutſche grammatik befindet ſich jetzt in einem, vor kurzem noch ungeahnten, zuſtande der aufregung, wozu zwei an ſich völlig verſchiedene urſachen mit- wirken.
Nachdem das ſtudium der orientaliſchen ſprachen, ſo lehrreich und lohnend es an ſich ſelbſt ſein mag, in un- mittelbarer beziehung auf die europäiſchen immer un- fruchtbar geblieben war, iſt nunmehr endlich die reihe
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VORREDE.
Der zweite theil meines werks liefert nur drei,
freilich aber die wichtigſten capitel des dritten buchs,
ſo daß alles, was noch davon übrig iſt, und die ganze
ſyntax, für die folge aufgehoben bleiben. Ich war an-
fangs entſchloßen, die geſamte wortbildungslehre in einen
band zu faßen, daher man auch die beiden erſten capitel
gedrängter und enthaltſamer abgehandelt finden wird; ſo-
bald ich die unmöglichkeit einſah, jenen vorſatz auszu-
führen, fieng ich an, mich mehr gehen zu laßen, die
zuſammenſetzungen ſind darum weitläuftiger, oder wenn
man will, vollſtändiger bearbeitet worden, als ſonſt hätte
geſchehen können. Allein ſelbſt ohne dieſes zufällige ver-
hältnis würde in jedweder unterſuchung der deutſchen
wortbildungen die derivation beträchtlich geringeren raum
einnehmen, als die compoſition, wofür ſprache und ſprach-
geſchichte den reichſten ſtoff darbietet. Es iſt bei der
letztern auch leichter grund zu ſpüren, als bei dem dun-
keln, oft nur in einzelnen, ſparſamen erſcheinungen vor-
blickenden geſetz, das die ableitungen regiert. Das erſte
capitel beſchäftigt ſich mit einem bisher unbeachteten
gegenſtand und bedarf vor allen vielfältiger berichtigung
und erweiterung. Wird das ganze buch jemahls einer
umarbeitung, wozu es ſich beinahe verhalten möchte, wie
zu der zweiten ausgabe des erſten theils die erſte, theil-
haftig und iſt überhaupt der gedanke, daß die weſentliche
form unſerer ſtarken conjugation alle anderen wortbildun-
gen durchdringt, es werth, größer gezogen zu werden;
ſo muß dieſe lehre, und was ſich alles aus ihr folgern
läßt, ungleich reichhaltiger ausfallen. Das neueſte in den
beiden andern capiteln dürfte mein verſuch ſein, manche
dunkle wortbildungen aus dem wegfall des bildenden a
und der davor ſtehenden ſpirans zu deuten, ſo wie die
eintheilung der zuſammenſetzungen in eigentliche und
uneigentliche.
Die deutſche grammatik befindet ſich jetzt in einem,
vor kurzem noch ungeahnten, zuſtande der aufregung,
wozu zwei an ſich völlig verſchiedene urſachen mit-
wirken.
Nachdem das ſtudium der orientaliſchen ſprachen, ſo
lehrreich und lohnend es an ſich ſelbſt ſein mag, in un-
mittelbarer beziehung auf die europäiſchen immer un-
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/11>, abgerufen am 21.12.2024.
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