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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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Vorrede.
bleiben, werden ihre flexionen langsamer verändern; be-
rührung mehrerer dialecte muß, auch wenn der siegende
vollendetere formen besäße, weil er sie mit aufgenom-
menen wörtern der andern mundart, auszugleichen hat,
abstumpfung beider mundarten beschleunigen. Die-
ser gegenstand kann nur durch eine genaue ver-
gleichung aller deutschen dialecte, wozu hier kein
ort ist, gründlich erledigt werden. Eine andere ein-
leuchtende bemerkung scheint, daß wir den althoch-
deutschen und altsächsischen dialecten land anzuweisen
fast nicht anders hoffen dürfen, als durch aufspürung
ihrer eigenheit in der eingrenzung heutiger volks-
sprache. Was ich meine sollen einige beispiele zeigen.
Der ausdruck hevan (coelum), der sich nur in dem un-
rein-alth. hildebrand findet, bleibt auf den sächsischen
volksstamm beschränkt (angels. heofon, engl. heaven,
plattd. hewen, häwen), allen übrigen mundarten fremd
(goth. himins, altn. himinn, alth. himil, altfries. himul,
niederl. hemel, westphäl. hemmel); wenn nun in der
altsächs. E. H. beide ausdrücke hebhan und himil ab-
wechseln, wenn sich ferner ausmitteln ließe, auf wel-
chem landstriche zwischen Westphalen und Niedersach-
sen beide noch heute den einwohnern geläufig sind (der
clevische Teutonista führt heven und hymmel an) so
wäre ein punct gewonnen, der uns mit andern ähnli-
chen die heimath des dichters der E. H. verriethe. Die
demselben dialect eigne analoge bildung gebhan (mare)
angels. geofon, ist späteren mundarten abgestorben.
Keine reinmittelh. quelle liefert heven oder heben, weder
Veldek noch Herbort haben es, aber Reinolt v. der lippe
setzt zeile 92. sogar: himel und heben zusammen; weist
er wieder die scheide Westphalens und Sachsens, die un-
gefähr an diesen fluß fällt? Der unstatthaften ableitung
des wortes hevan von hefan (tollere) muß man entsagen.
-- Ein anderes beispiel gewährt die praep. von, welche
altsächs. fan, niederländ. und plattdeutsch van, altfries. fon
lautet, im angels. und altn. gänzlich mangelt. Die alt-
und mittelhochd. form ist zwar vona (s. 85) von, selbst
bey solchen, die in andern wörtern -an für -on setzen
(z. b. N. wanen f. wonen bei O. T.) allein einzelne denk-
mähler weisen fana (misc. 1, 19) hin und wieder brauchen
mittelh. dichter van (s. 448. 450.) auch H. Sachs reimt
van: man. Wenn nun in heutigen hochdeutschen
mundarten van f. von nur im östlichen, nicht im west-
lichen Baiern erscheint (Schm. §. 316.), so folgt klar,

Vorrede.
bleiben, werden ihre flexionen langſamer verändern; be-
rührung mehrerer dialecte muß, auch wenn der ſiegende
vollendetere formen beſäße, weil er ſie mit aufgenom-
menen wörtern der andern mundart, auszugleichen hat,
abſtumpfung beider mundarten beſchleunigen. Die-
ſer gegenſtand kann nur durch eine genaue ver-
gleichung aller deutſchen dialecte, wozu hier kein
ort iſt, gründlich erledigt werden. Eine andere ein-
leuchtende bemerkung ſcheint, daß wir den althoch-
deutſchen und altſächſiſchen dialecten land anzuweiſen
faſt nicht anders hoffen dürfen, als durch aufſpürung
ihrer eigenheit in der eingrenzung heutiger volks-
ſprache. Was ich meine ſollen einige beiſpiele zeigen.
Der ausdruck hëvan (coelum), der ſich nur in dem un-
rein-alth. hildebrand findet, bleibt auf den ſächſiſchen
volksſtamm beſchränkt (angelſ. hëofon, engl. heaven,
plattd. hewen, häwen), allen übrigen mundarten fremd
(goth. himins, altn. himinn, alth. himil, altfrieſ. himul,
niederl. hêmel, weſtphäl. hemmel); wenn nun in der
altſächſ. E. H. beide ausdrücke hëbhan und himil ab-
wechſeln, wenn ſich ferner ausmitteln ließe, auf wel-
chem landſtriche zwiſchen Weſtphalen und Niederſach-
ſen beide noch heute den einwohnern geläufig ſind (der
cleviſche Teutoniſta führt heven und hymmel an) ſo
wäre ein punct gewonnen, der uns mit andern ähnli-
chen die heimath des dichters der E. H. verriethe. Die
demſelben dialect eigne analoge bildung gëbhan (mare)
angelſ. gëofon, iſt ſpäteren mundarten abgeſtorben.
Keine reinmittelh. quelle liefert hëven oder hëben, weder
Veldek noch Herbort haben es, aber Reinolt v. der lippe
ſetzt zeile 92. ſogar: himel und hëben zuſammen; weiſt
er wieder die ſcheide Weſtphalens und Sachſens, die un-
gefähr an dieſen fluß fällt? Der unſtatthaften ableitung
des wortes hëvan von hefan (tollere) muß man entſagen.
— Ein anderes beiſpiel gewährt die praep. von, welche
altſächſ. fan, niederländ. und plattdeutſch van, altfrieſ. fon
lautet, im angelſ. und altn. gänzlich mangelt. Die alt-
und mittelhochd. form iſt zwar vona (ſ. 85) von, ſelbſt
bey ſolchen, die in andern wörtern -an für -on ſetzen
(z. b. N. wanên f. wonên bei O. T.) allein einzelne denk-
mähler weiſen fana (miſc. 1, 19) hin und wieder brauchen
mittelh. dichter van (ſ. 448. 450.) auch H. Sachs reimt
van: man. Wenn nun in heutigen hochdeutſchen
mundarten van f. von nur im öſtlichen, nicht im weſt-
lichen Baiern erſcheint (Schm. §. 316.), ſo folgt klar,

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[XIV/0020] Vorrede. bleiben, werden ihre flexionen langſamer verändern; be- rührung mehrerer dialecte muß, auch wenn der ſiegende vollendetere formen beſäße, weil er ſie mit aufgenom- menen wörtern der andern mundart, auszugleichen hat, abſtumpfung beider mundarten beſchleunigen. Die- ſer gegenſtand kann nur durch eine genaue ver- gleichung aller deutſchen dialecte, wozu hier kein ort iſt, gründlich erledigt werden. Eine andere ein- leuchtende bemerkung ſcheint, daß wir den althoch- deutſchen und altſächſiſchen dialecten land anzuweiſen faſt nicht anders hoffen dürfen, als durch aufſpürung ihrer eigenheit in der eingrenzung heutiger volks- ſprache. Was ich meine ſollen einige beiſpiele zeigen. Der ausdruck hëvan (coelum), der ſich nur in dem un- rein-alth. hildebrand findet, bleibt auf den ſächſiſchen volksſtamm beſchränkt (angelſ. hëofon, engl. heaven, plattd. hewen, häwen), allen übrigen mundarten fremd (goth. himins, altn. himinn, alth. himil, altfrieſ. himul, niederl. hêmel, weſtphäl. hemmel); wenn nun in der altſächſ. E. H. beide ausdrücke hëbhan und himil ab- wechſeln, wenn ſich ferner ausmitteln ließe, auf wel- chem landſtriche zwiſchen Weſtphalen und Niederſach- ſen beide noch heute den einwohnern geläufig ſind (der cleviſche Teutoniſta führt heven und hymmel an) ſo wäre ein punct gewonnen, der uns mit andern ähnli- chen die heimath des dichters der E. H. verriethe. Die demſelben dialect eigne analoge bildung gëbhan (mare) angelſ. gëofon, iſt ſpäteren mundarten abgeſtorben. Keine reinmittelh. quelle liefert hëven oder hëben, weder Veldek noch Herbort haben es, aber Reinolt v. der lippe ſetzt zeile 92. ſogar: himel und hëben zuſammen; weiſt er wieder die ſcheide Weſtphalens und Sachſens, die un- gefähr an dieſen fluß fällt? Der unſtatthaften ableitung des wortes hëvan von hefan (tollere) muß man entſagen. — Ein anderes beiſpiel gewährt die praep. von, welche altſächſ. fan, niederländ. und plattdeutſch van, altfrieſ. fon lautet, im angelſ. und altn. gänzlich mangelt. Die alt- und mittelhochd. form iſt zwar vona (ſ. 85) von, ſelbſt bey ſolchen, die in andern wörtern -an für -on ſetzen (z. b. N. wanên f. wonên bei O. T.) allein einzelne denk- mähler weiſen fana (miſc. 1, 19) hin und wieder brauchen mittelh. dichter van (ſ. 448. 450.) auch H. Sachs reimt van: man. Wenn nun in heutigen hochdeutſchen mundarten van f. von nur im öſtlichen, nicht im weſt- lichen Baiern erſcheint (Schm. §. 316.), ſo folgt klar,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/20>, abgerufen am 26.04.2024.