Die declination geschieht in allen deutschen spra- chen wesentlich durch dem worte hinten eingefügte endungen. Das wort kann sowohl in seiner nackten wurzel, als in einer abgeleiteten, d. h. schon durch eine bildungsendung vermehrten gestalt declinieren. Im letz- ten fall muß man die flexionsendung (den casus) von der voranstehenden bildungsendung trennen, deren sogar mehrere verbunden eintreten können. Im goth. worte dags ist dag die reine wurzel, s der casus; in arbja arb die wurzel, i die ableitung, a der casus; in blotinassus blot die wurzel, i die erste, nass die zweite ableitung, us der casus. Zuweilen verwächst aber der casus mit einem bildungsvocal. Unwesentlich zur declination sind 1) der durch einen vocal der endung im vocal der wur- zel gezeugte umlaut, wenn sich gleich späterhin aus diesem umlaut die abgeschliffene endung schließen läßt. 2) der vorgesetzte artikel, d. h. ein syntactisch ange- wandtes mittel, der unvollkommenheit des casus zu hülfe zu kommen oder seinen abgang völlig zu ersetzen. Der umlaut beurtheilt sich nach den allgemeinen gesetzen (im ersten buch); vom gebrauche des artikels wird erst im vierten buche gehandelt werden.
Die casus bestehen aus vocalen und consonanten. Jene laßen sich nicht im allgemeinen bestimmen, diese sind nur folgende: die spirans s; die liquidae m. n. r und die lingualis t. Historisch ergibt sich aber, daß r in der declin. überall ein unursprüngliches, nämlich all- mählig aus s entstandenes sey; ebenso daß n wahrschein- lich überall (in den meisten fällen gewiß) früheres m vertrete. Folglich blieben nur s und m als anfängliche beherrscher aller casus. Die lingualis t (nach goth. be- stimmung, das heißt = lat. d, = hochd. z) erscheint nur als seltne ausnahme in dualer pronominalform.
II. von der declination.
ZWEITES BUCH. VON DEN WORTBIEGUNGEN.
ERSTES CAPITEL. VON DER DECLINATION.
Die declination geſchieht in allen deutſchen ſpra- chen weſentlich durch dem worte hinten eingefügte endungen. Das wort kann ſowohl in ſeiner nackten wurzel, als in einer abgeleiteten, d. h. ſchon durch eine bildungsendung vermehrten geſtalt declinieren. Im letz- ten fall muß man die flexionsendung (den caſus) von der voranſtehenden bildungsendung trennen, deren ſogar mehrere verbunden eintreten können. Im goth. worte dags iſt dag die reine wurzel, s der caſus; in arbja arb die wurzel, i die ableitung, a der caſus; in blôtinaſſus blôt die wurzel, i die erſte, naſſ die zweite ableitung, us der caſus. Zuweilen verwächſt aber der caſus mit einem bildungsvocal. Unweſentlich zur declination ſind 1) der durch einen vocal der endung im vocal der wur- zel gezeugte umlaut, wenn ſich gleich ſpäterhin aus dieſem umlaut die abgeſchliffene endung ſchließen läßt. 2) der vorgeſetzte artikel, d. h. ein ſyntactiſch ange- wandtes mittel, der unvollkommenheit des caſus zu hülfe zu kommen oder ſeinen abgang völlig zu erſetzen. Der umlaut beurtheilt ſich nach den allgemeinen geſetzen (im erſten buch); vom gebrauche des artikels wird erſt im vierten buche gehandelt werden.
Die caſus beſtehen aus vocalen und conſonanten. Jene laßen ſich nicht im allgemeinen beſtimmen, dieſe ſind nur folgende: die ſpirans ſ; die liquidae m. n. r und die lingualis t. Hiſtoriſch ergibt ſich aber, daß r in der declin. überall ein unurſprüngliches, nämlich all- mählig aus ſ entſtandenes ſey; ebenſo daß n wahrſchein- lich überall (in den meiſten fällen gewiß) früheres m vertrete. Folglich blieben nur ſ und m als anfängliche beherrſcher aller caſus. Die lingualis t (nach goth. be- ſtimmung, das heißt = lat. d, = hochd. z) erſcheint nur als ſeltne ausnahme in dualer pronominalform.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0622"n="596"/><fwplace="top"type="header">II. <hirendition="#i">von der declination.</hi></fw><lb/><divn="1"><head><hirendition="#g">ZWEITES BUCH</hi>.<lb/><hirendition="#g">VON DEN WORTBIEGUNGEN</hi>.</head><lb/><divn="2"><head><hirendition="#g">ERSTES CAPITEL</hi>.<lb/><hirendition="#g">VON DER DECLINATION</hi>.</head><lb/><p>Die declination geſchieht in allen deutſchen ſpra-<lb/>
chen weſentlich durch dem worte hinten eingefügte<lb/>
endungen. Das wort kann ſowohl in ſeiner nackten<lb/>
wurzel, als in einer abgeleiteten, d. h. ſchon durch eine<lb/>
bildungsendung vermehrten geſtalt declinieren. Im letz-<lb/>
ten fall muß man die flexionsendung (den caſus) von<lb/>
der voranſtehenden bildungsendung trennen, deren ſogar<lb/>
mehrere verbunden eintreten können. Im goth. worte<lb/>
dags iſt dag die reine wurzel, s der caſus; in arbja arb<lb/>
die wurzel, i die ableitung, a der caſus; in blôtinaſſus<lb/>
blôt die wurzel, i die erſte, naſſ die zweite ableitung,<lb/>
us der caſus. Zuweilen verwächſt aber der caſus mit<lb/>
einem bildungsvocal. Unweſentlich zur declination ſind<lb/>
1) der durch einen vocal der endung im vocal der wur-<lb/>
zel gezeugte umlaut, wenn ſich gleich ſpäterhin aus<lb/>
dieſem umlaut die abgeſchliffene endung ſchließen läßt.<lb/>
2) der vorgeſetzte artikel, d. h. ein ſyntactiſch ange-<lb/>
wandtes mittel, der unvollkommenheit des caſus zu<lb/>
hülfe zu kommen oder ſeinen abgang völlig zu erſetzen.<lb/>
Der umlaut beurtheilt ſich nach den allgemeinen geſetzen<lb/>
(im erſten buch); vom gebrauche des artikels wird erſt<lb/>
im vierten buche gehandelt werden.</p><lb/><p>Die caſus beſtehen aus vocalen und conſonanten.<lb/>
Jene laßen ſich nicht im allgemeinen beſtimmen, dieſe<lb/>ſind nur folgende: die ſpirans ſ; die liquidae m. n. r<lb/>
und die lingualis t. Hiſtoriſch ergibt ſich aber, daß r<lb/>
in der declin. überall ein unurſprüngliches, nämlich all-<lb/>
mählig aus ſ entſtandenes ſey; ebenſo daß n wahrſchein-<lb/>
lich überall (in den meiſten fällen gewiß) früheres m<lb/>
vertrete. Folglich blieben nur ſ und m als anfängliche<lb/>
beherrſcher aller caſus. Die lingualis t (nach goth. be-<lb/>ſtimmung, das heißt = lat. d, = hochd. z) erſcheint<lb/>
nur als ſeltne ausnahme in dualer pronominalform.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[596/0622]
II. von der declination.
ZWEITES BUCH.
VON DEN WORTBIEGUNGEN.
ERSTES CAPITEL.
VON DER DECLINATION.
Die declination geſchieht in allen deutſchen ſpra-
chen weſentlich durch dem worte hinten eingefügte
endungen. Das wort kann ſowohl in ſeiner nackten
wurzel, als in einer abgeleiteten, d. h. ſchon durch eine
bildungsendung vermehrten geſtalt declinieren. Im letz-
ten fall muß man die flexionsendung (den caſus) von
der voranſtehenden bildungsendung trennen, deren ſogar
mehrere verbunden eintreten können. Im goth. worte
dags iſt dag die reine wurzel, s der caſus; in arbja arb
die wurzel, i die ableitung, a der caſus; in blôtinaſſus
blôt die wurzel, i die erſte, naſſ die zweite ableitung,
us der caſus. Zuweilen verwächſt aber der caſus mit
einem bildungsvocal. Unweſentlich zur declination ſind
1) der durch einen vocal der endung im vocal der wur-
zel gezeugte umlaut, wenn ſich gleich ſpäterhin aus
dieſem umlaut die abgeſchliffene endung ſchließen läßt.
2) der vorgeſetzte artikel, d. h. ein ſyntactiſch ange-
wandtes mittel, der unvollkommenheit des caſus zu
hülfe zu kommen oder ſeinen abgang völlig zu erſetzen.
Der umlaut beurtheilt ſich nach den allgemeinen geſetzen
(im erſten buch); vom gebrauche des artikels wird erſt
im vierten buche gehandelt werden.
Die caſus beſtehen aus vocalen und conſonanten.
Jene laßen ſich nicht im allgemeinen beſtimmen, dieſe
ſind nur folgende: die ſpirans ſ; die liquidae m. n. r
und die lingualis t. Hiſtoriſch ergibt ſich aber, daß r
in der declin. überall ein unurſprüngliches, nämlich all-
mählig aus ſ entſtandenes ſey; ebenſo daß n wahrſchein-
lich überall (in den meiſten fällen gewiß) früheres m
vertrete. Folglich blieben nur ſ und m als anfängliche
beherrſcher aller caſus. Die lingualis t (nach goth. be-
ſtimmung, das heißt = lat. d, = hochd. z) erſcheint
nur als ſeltne ausnahme in dualer pronominalform.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/622>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.