vertauscht habe) bin ich sie daher hier zu verlaßen be- fugt und genöthigt.
Neuniederländische vocale.
Die bezeichnung der länge geschieht ohne zweifel angemeßener, als im hochd.; man bedient sich dazu weder des eingeschobenen h, noch des dem i angehäng- ten e, sondern der gemination, schreibt also z. b. daad (factum) een (unus) mijn (d. i. miin, meus) schoon (pulcher) muur (murus) wofür ich wiederum das gleich- bedeutige dad, en, mein, schon, maur setze. Tadelhaft ist nur. daß man diese gem. nicht genug braucht und in vielen wörtern, wo sie eben so wohl vorhanden ist, gar nicht ausdrückt, d. h. den einf. vocal anwendet (wie im neuhochd.). Niederl. dichter unterscheiden gleich den hochd. überall klingende und stumpfe reime. Hieraus ergibt sich unwidersprechlich, daß jeder org. kurzgewesene vocal, auf welchen einf. consonanz folgt, lang geworden sey. Finden wir an derselben stelle z. b. jagen:vagen, wo in andern strophen doeken:hoeken, vlieten:genieten reimen, so wird man auch jagen:va- gen zu sprechen und zu schreiben haben. Noch mehr, die besten dichter binden weten (scire):heten (vocari) ontvlogen:ogen (oculis), tonen (ostendere):wonen (ha- bitare), zum klaren erweis, daß aussprache und schrei- bung weten, ontvlogen, wonen fordere. Das hat auch die im 17. 18. jahrh. herrschende orthographie häufig, nur nicht immer, erkannt, ich finde z. b. in Kramers wörterb. ganz richtig maken, zaken, wonen etc. aufge- stellt, andern wörtern gibt er schwankend länge oder kürze z. b. jagen und jagen, wieder in andern folgt er dem gebrauch und schreibt die kürze, z. b. "jar pl. jaren, nicht jaren" (warum nicht?) Dies princip, welches ursprüng- liche kürzen in längen wandelt, ist gerade das umge- drehte mittelniederl., wonach kürzen aus längen wurden (s. 468. 470. 471. 472.); dort wurde jaeren (annis) zu jaren, weil es auf varen reimt, jetzt wird varen zu va- ren, weil es klingend, folglich auf jaren reimt, damahls reimte nam (cepit):stam (stirps) jetzo nam (cepit): kram (merx). Das heutige a in jaren ist bloß zufällige herstellung des alten organismus, da mit derselben regel varen in varen (ire) verderbt wird. Lange zeit hindurch erhielt sich die mittelniederl. kürzung des a, o etc. in a, o (bei folgendem einf. cons. mit stummen e) in der
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I. neuniederländiſche vocale.
vertauſcht habe) bin ich ſie daher hier zu verlaßen be- fugt und genöthigt.
Neuniederländiſche vocale.
Die bezeichnung der länge geſchieht ohne zweifel angemeßener, als im hochd.; man bedient ſich dazu weder des eingeſchobenen h, noch des dem i angehäng- ten e, ſondern der gemination, ſchreibt alſo z. b. daad (factum) een (unus) mijn (d. i. miin, meus) ſchoon (pulcher) muur (murus) wofür ich wiederum das gleich- bedeutige dâd, ên, mîn, ſchôn, mûr ſetze. Tadelhaft iſt nur. daß man dieſe gem. nicht genug braucht und in vielen wörtern, wo ſie eben ſo wohl vorhanden iſt, gar nicht ausdrückt, d. h. den einf. vocal anwendet (wie im neuhochd.). Niederl. dichter unterſcheiden gleich den hochd. überall klingende und ſtumpfe reime. Hieraus ergibt ſich unwiderſprechlich, daß jeder org. kurzgeweſene vocal, auf welchen einf. conſonanz folgt, lang geworden ſey. Finden wir an derſelben ſtelle z. b. jagen:vagen, wo in andern ſtrophen doeken:hoeken, vlieten:genieten reimen, ſo wird man auch jâgen:vâ- gen zu ſprechen und zu ſchreiben haben. Noch mehr, die beſten dichter binden weten (ſcire):hêten (vocari) ontvlogen:ôgen (oculis), tônen (oſtendere):wonen (ha- bitare), zum klaren erweis, daß ausſprache und ſchrei- bung wêten, ontvlôgen, wônen fordere. Das hat auch die im 17. 18. jahrh. herrſchende orthographie häufig, nur nicht immer, erkannt, ich finde z. b. in Kramers wörterb. ganz richtig mâken, zâken, wônen etc. aufge- ſtellt, andern wörtern gibt er ſchwankend länge oder kürze z. b. jagen und jâgen, wieder in andern folgt er dem gebrauch und ſchreibt die kürze, z. b. “jâr pl. jaren, nicht jâren” (warum nicht?) Dies princip, welches urſprüng- liche kürzen in längen wandelt, iſt gerade das umge- drehte mittelniederl., wonach kürzen aus längen wurden (ſ. 468. 470. 471. 472.); dort wurde jaeren (annis) zu jaren, weil es auf varen reimt, jetzt wird varen zu vâ- ren, weil es klingend, folglich auf jâren reimt, damahls reimte nam (cepit):ſtam (ſtirps) jetzo nâm (cepit): krâm (merx). Das heutige â in jàren iſt bloß zufällige herſtellung des alten organiſmus, da mit derſelben regel varen in vâren (ire) verderbt wird. Lange zeit hindurch erhielt ſich die mittelniederl. kürzung des â, ô etc. in a, o (bei folgendem einf. conſ. mit ſtummen e) in der
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[529/0555]
I. neuniederländiſche vocale.
vertauſcht habe) bin ich ſie daher hier zu verlaßen be-
fugt und genöthigt.
Neuniederländiſche vocale.
Die bezeichnung der länge geſchieht ohne zweifel
angemeßener, als im hochd.; man bedient ſich dazu
weder des eingeſchobenen h, noch des dem i angehäng-
ten e, ſondern der gemination, ſchreibt alſo z. b. daad
(factum) een (unus) mijn (d. i. miin, meus) ſchoon
(pulcher) muur (murus) wofür ich wiederum das gleich-
bedeutige dâd, ên, mîn, ſchôn, mûr ſetze. Tadelhaft
iſt nur. daß man dieſe gem. nicht genug braucht und
in vielen wörtern, wo ſie eben ſo wohl vorhanden iſt,
gar nicht ausdrückt, d. h. den einf. vocal anwendet
(wie im neuhochd.). Niederl. dichter unterſcheiden
gleich den hochd. überall klingende und ſtumpfe reime.
Hieraus ergibt ſich unwiderſprechlich, daß jeder org.
kurzgeweſene vocal, auf welchen einf. conſonanz folgt,
lang geworden ſey. Finden wir an derſelben ſtelle z. b.
jagen:vagen, wo in andern ſtrophen doeken:hoeken,
vlieten:genieten reimen, ſo wird man auch jâgen:vâ-
gen zu ſprechen und zu ſchreiben haben. Noch mehr,
die beſten dichter binden weten (ſcire):hêten (vocari)
ontvlogen:ôgen (oculis), tônen (oſtendere):wonen (ha-
bitare), zum klaren erweis, daß ausſprache und ſchrei-
bung wêten, ontvlôgen, wônen fordere. Das hat auch
die im 17. 18. jahrh. herrſchende orthographie häufig,
nur nicht immer, erkannt, ich finde z. b. in Kramers
wörterb. ganz richtig mâken, zâken, wônen etc. aufge-
ſtellt, andern wörtern gibt er ſchwankend länge oder
kürze z. b. jagen und jâgen, wieder in andern folgt er dem
gebrauch und ſchreibt die kürze, z. b. “jâr pl. jaren, nicht
jâren” (warum nicht?) Dies princip, welches urſprüng-
liche kürzen in längen wandelt, iſt gerade das umge-
drehte mittelniederl., wonach kürzen aus längen wurden
(ſ. 468. 470. 471. 472.); dort wurde jaeren (annis) zu
jaren, weil es auf varen reimt, jetzt wird varen zu vâ-
ren, weil es klingend, folglich auf jâren reimt, damahls
reimte nam (cepit):ſtam (ſtirps) jetzo nâm (cepit):
krâm (merx). Das heutige â in jàren iſt bloß zufällige
herſtellung des alten organiſmus, da mit derſelben regel
varen in vâren (ire) verderbt wird. Lange zeit hindurch
erhielt ſich die mittelniederl. kürzung des â, ô etc. in
a, o (bei folgendem einf. conſ. mit ſtummen e) in der
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/555>, abgerufen am 03.12.2024.
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