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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. altfriesische vocale.
(das ist h) g (das ist j) und w. Nach meiner erläute-
rung des angels. in- und auslautenden g. (s. 261.) und
der bemerkung (s. 240.) über den einfluß des h auf den
vorausgehenden vocal wird man dieses unorganische iu
leicht deuten; es entspringt aus i bei folgendem v, j, h.
Wie im alth. triuwa aus triwa wurde, so hier, so aus
fiwer (goth. fidvor) finwer; niugon vergleicht sich dem
angels. nigen; siugon stammt aus sibun, sivun, siun, siu-
ven, siugen *), fiuchta, riucht entspricht dem goth. faih-
tan, raiht, angels. fihtan, riht, neben fihtan galt aber
feohtan wie peohtas (picti) neben pihtas, früher vielleicht
auch reoht, dreohten st. riht, drihten (goth. entw. draih-
tins oder wahrscheinlicher drauhtins, vgl. alth. truhtin,
mittelh. trechtin) wonach auch ein altfries. driuchtin an-
zunehmen stünde, statt welches später drochten vor-
kommt. --

Schlußbemerkungen.

1) alle kurzen und gedehnten
vocale sind vorhanden, von sonstigen diphthongen nur
ein einziger ia, da sich iu aus dem kurzen i entwickelt.
ei und au fehlen und können nur scheinbar aus con-
tractionen und consonant-verwandlungen (wie haudling
aus havedling, dei, wei, mei aus deg, dej. weg, meg)
hervorgehen **), wodurch geringe härte in die sonst
weiche mundart kommt. Die mischung mehrerer diph-
thongen in den gedehnten lauten, vornämlich dem e, ist
der klarheit der wurzeln nachtheilig. Dem Angelsachsen
gewährt sein ea den vortheil, daß er a von e geschie-
den halten kann; der Friese, weil er a für ea setzt,
muß jenen laut unter e bringen. 2) dieses e nähert die
altfr. der alts. mundart, wogegen das verhältniß der
übrigen vocale sich entschieden zum angels. neigt, na-
mentlich a = ea, abweichend vom alts. o, das häufig
mit dem wahren o (uo) zus. fällt. Auch die zerlegung
des a in a und e ist eine bedeutende ähnlichkeit mit dem
angels. a und ä, wovon im alth. und alts. keine spur,
analog mit dem e, ä steht das gedehnte e, angels. ae.
3) umlaut gilt: des a in e, des u in e oder i; vielleicht
auch des a in e, des au in e oder ei, welches erst nähere

*) Br. §. 3. 89 203. haben sogen, welches für sugen und
dies f. siugen stehn mag.
**) Offenbar nicht das alth. ei (= goth. ai, angels. a, fries. e)
sondern in dei, mei = angels. äg, in wei = angels. eg.
vgl. unten beim g und j.

I. altfrieſiſche vocale.
(das iſt h) g (das iſt j) und w. Nach meiner erläute-
rung des angelſ. in- und auslautenden g. (ſ. 261.) und
der bemerkung (ſ. 240.) über den einfluß des h auf den
vorausgehenden vocal wird man dieſes unorganiſche iu
leicht deuten; es entſpringt aus i bei folgendem v, j, h.
Wie im alth. triuwa aus triwa wurde, ſo hier, ſo aus
fiwer (goth. fidvôr) finwer; niugon vergleicht ſich dem
angelſ. nigen; ſiugon ſtammt aus ſibun, ſivun, ſiun, ſiu-
ven, ſiugen *), fiuchta, riucht entſpricht dem goth. faíh-
tan, raíht, angelſ. fihtan, riht, neben fihtan galt aber
fëohtan wie pëohtas (picti) neben pihtas, früher vielleicht
auch rëoht, drëohtën ſt. riht, drihtën (goth. entw. draíh-
tins oder wahrſcheinlicher draúhtins, vgl. alth. truhtin,
mittelh. trëchtin) wonach auch ein altfrieſ. driuchtin an-
zunehmen ſtünde, ſtatt welches ſpäter drochten vor-
kommt. —

Schlußbemerkungen.

1) alle kurzen und gedehnten
vocale ſind vorhanden, von ſonſtigen diphthongen nur
ein einziger ia, da ſich iu aus dem kurzen i entwickelt.
ei und au fehlen und können nur ſcheinbar aus con-
tractionen und conſonant-verwandlungen (wie hâudling
aus hâvedling, dei, wëi, mei aus deg, dej. wëg, meg)
hervorgehen **), wodurch geringe härte in die ſonſt
weiche mundart kommt. Die miſchung mehrerer diph-
thongen in den gedehnten lauten, vornämlich dem ê, iſt
der klarheit der wurzeln nachtheilig. Dem Angelſachſen
gewährt ſein ea den vortheil, daß er â von ê geſchie-
den halten kann; der Frieſe, weil er â für eá ſetzt,
muß jenen laut unter ê bringen. 2) dieſes ê nähert die
altfr. der altſ. mundart, wogegen das verhältniß der
übrigen vocale ſich entſchieden zum angelſ. neigt, na-
mentlich â = eá, abweichend vom altſ. ô, das häufig
mit dem wahren ô (uo) zuſ. fällt. Auch die zerlegung
des a in a und e iſt eine bedeutende ähnlichkeit mit dem
angelſ. a und ä, wovon im alth. und altſ. keine ſpur,
analog mit dem e, ä ſteht das gedehnte ê, angelſ. æ.
3) umlaut gilt: des a in e, des u in ë oder i; vielleicht
auch des â in ê, des û in ê oder î, welches erſt nähere

*) Br. §. 3. 89 203. haben ſogen, welches für ſugen und
dies f. ſiugen ſtehn mag.
**) Offenbar nicht das alth. ei (= goth. ai, angelſ. â, frieſ. ê)
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vgl. unten beim g und j.
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[274/0300] I. altfrieſiſche vocale. (das iſt h) g (das iſt j) und w. Nach meiner erläute- rung des angelſ. in- und auslautenden g. (ſ. 261.) und der bemerkung (ſ. 240.) über den einfluß des h auf den vorausgehenden vocal wird man dieſes unorganiſche iu leicht deuten; es entſpringt aus i bei folgendem v, j, h. Wie im alth. triuwa aus triwa wurde, ſo hier, ſo aus fiwer (goth. fidvôr) finwer; niugon vergleicht ſich dem angelſ. nigen; ſiugon ſtammt aus ſibun, ſivun, ſiun, ſiu- ven, ſiugen *), fiuchta, riucht entſpricht dem goth. faíh- tan, raíht, angelſ. fihtan, riht, neben fihtan galt aber fëohtan wie pëohtas (picti) neben pihtas, früher vielleicht auch rëoht, drëohtën ſt. riht, drihtën (goth. entw. draíh- tins oder wahrſcheinlicher draúhtins, vgl. alth. truhtin, mittelh. trëchtin) wonach auch ein altfrieſ. driuchtin an- zunehmen ſtünde, ſtatt welches ſpäter drochten vor- kommt. — Schlußbemerkungen. 1) alle kurzen und gedehnten vocale ſind vorhanden, von ſonſtigen diphthongen nur ein einziger ia, da ſich iu aus dem kurzen i entwickelt. ei und au fehlen und können nur ſcheinbar aus con- tractionen und conſonant-verwandlungen (wie hâudling aus hâvedling, dei, wëi, mei aus deg, dej. wëg, meg) hervorgehen **), wodurch geringe härte in die ſonſt weiche mundart kommt. Die miſchung mehrerer diph- thongen in den gedehnten lauten, vornämlich dem ê, iſt der klarheit der wurzeln nachtheilig. Dem Angelſachſen gewährt ſein ea den vortheil, daß er â von ê geſchie- den halten kann; der Frieſe, weil er â für eá ſetzt, muß jenen laut unter ê bringen. 2) dieſes ê nähert die altfr. der altſ. mundart, wogegen das verhältniß der übrigen vocale ſich entſchieden zum angelſ. neigt, na- mentlich â = eá, abweichend vom altſ. ô, das häufig mit dem wahren ô (uo) zuſ. fällt. Auch die zerlegung des a in a und e iſt eine bedeutende ähnlichkeit mit dem angelſ. a und ä, wovon im alth. und altſ. keine ſpur, analog mit dem e, ä ſteht das gedehnte ê, angelſ. æ. 3) umlaut gilt: des a in e, des u in ë oder i; vielleicht auch des â in ê, des û in ê oder î, welches erſt nähere *) Br. §. 3. 89 203. haben ſogen, welches für ſugen und dies f. ſiugen ſtehn mag. **) Offenbar nicht das alth. ei (= goth. ai, angelſ. â, frieſ. ê) ſondern in dei, mei = angelſ. äg, in wëi = angelſ. ëg. vgl. unten beim g und j.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/300>, abgerufen am 22.12.2024.