Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite
Schwermuth mit Neigung zum Zerstören.
§. 106.

An die eben besprochenen Antriebe reihen sich die krankhaften
Neigungen zur Zerstörung lebloser Objecte bei Schwermüthigen
an, die sich an Allem, was den Kranken umgibt, äussern können.
Die Fälle, wo die That in Brandstiftung besteht, wurden als eine eigene
Monomanie, die s. g. Pyromanie beschrieben und erörtert -- eine
äusserliche Art der Zusammenstellung (Vgl. p. 62), die wenigstens
den Vortheil einer vorläufigen Fixirung des Gegenstandes hatte. *)

Wenn man unter den bekannt gewordenen Beobachtungen hier-
über alle die, unstreitig die Mehrzahl bildenden Fälle ausschliesst,
wo offenbar egoistische Motive **) die Hand des Brandstifters leiteten,
so bleibt allerdings noch eine Anzahl anderer übrig, wo die That des
Feueranlegens in entschieden schwermüthigem (namentlich nostal-
gischem) Zustande, oft unter Begleitung auffallender und wichtiger
körperlicher Störungen -- besonders Störungen der sexuellen Ent-
wicklung -- begangen ward. Der krankhafte Antrieb entwickelt sich
hier ebenso, wie bei den im vorigen §. betrachteten Mordimpulsen.
Die innere Angst, die allgemeine Verstörung durch den krankhaft
gesetzten Affect treibt dazu, nicht etwa, wie schon gesagt wurde
(Masius), durch den Anblick einer grossen Flamme jene Angst zu
dämpfen, sondern nur überhaupt durch irgend eine äussere That
von negativem, zerstörenden Character, sich der Verstimmung zu ent-
äussern und damit zur Ruhe zu gelangen. Die specielle Richtung
dieses Triebs auf Brandlegung kommt eben daher, dass sich den
Individuen, bei denen er bisher ausschliesslich beobachtet wurde,
nemlich jungen Leuten, namentlich jungen, weiblichen Dienstboten,
das Feuer, mit dem sie auch sonst viel umzugehen haben, als nächstes
Mittel zur Befriedigung jenes Antriebs darbietet, als ein Mittel, das
leicht anzuwenden ist und weder Thatkraft noch Entschlossenheit bedarf,

Es gibt übrigens Fälle von Brandstiftung durch Geisteskranke, der ganz
andere krankhafte Motive zu Grund liegen. Jonathan Martin, der die Cathedrale
von York anzündete, war kein Schwermüthiger, sondern offenbar ein chronisch
Verrückter, der durch Hallucinationen veranlasst, "das Haus des Herrn von
unwürdigen Priestern reinigen" wollte. Es ist eine nothwendige, üble Folge

*) Vgl. die reichhaltige deutsche Literatur über diesen Gegenstand, von Osian-
der, Henke, Meckel, Masius, Flemming, Mayer, Hettich etc.
**) Theils Rache, theils bübische Lust an Unfug, theils und zwar am häu-
figsten, die Absicht, durch Zerstörung einer Wohnung ein widerwillig ertragenes
Dienstverhältniss aufzulösen und wieder nach Hause zu kommen.
Schwermuth mit Neigung zum Zerstören.
§. 106.

An die eben besprochenen Antriebe reihen sich die krankhaften
Neigungen zur Zerstörung lebloser Objecte bei Schwermüthigen
an, die sich an Allem, was den Kranken umgibt, äussern können.
Die Fälle, wo die That in Brandstiftung besteht, wurden als eine eigene
Monomanie, die s. g. Pyromanie beschrieben und erörtert — eine
äusserliche Art der Zusammenstellung (Vgl. p. 62), die wenigstens
den Vortheil einer vorläufigen Fixirung des Gegenstandes hatte. *)

Wenn man unter den bekannt gewordenen Beobachtungen hier-
über alle die, unstreitig die Mehrzahl bildenden Fälle ausschliesst,
wo offenbar egoistische Motive **) die Hand des Brandstifters leiteten,
so bleibt allerdings noch eine Anzahl anderer übrig, wo die That des
Feueranlegens in entschieden schwermüthigem (namentlich nostal-
gischem) Zustande, oft unter Begleitung auffallender und wichtiger
körperlicher Störungen — besonders Störungen der sexuellen Ent-
wicklung — begangen ward. Der krankhafte Antrieb entwickelt sich
hier ebenso, wie bei den im vorigen §. betrachteten Mordimpulsen.
Die innere Angst, die allgemeine Verstörung durch den krankhaft
gesetzten Affect treibt dazu, nicht etwa, wie schon gesagt wurde
(Masius), durch den Anblick einer grossen Flamme jene Angst zu
dämpfen, sondern nur überhaupt durch irgend eine äussere That
von negativem, zerstörenden Character, sich der Verstimmung zu ent-
äussern und damit zur Ruhe zu gelangen. Die specielle Richtung
dieses Triebs auf Brandlegung kommt eben daher, dass sich den
Individuen, bei denen er bisher ausschliesslich beobachtet wurde,
nemlich jungen Leuten, namentlich jungen, weiblichen Dienstboten,
das Feuer, mit dem sie auch sonst viel umzugehen haben, als nächstes
Mittel zur Befriedigung jenes Antriebs darbietet, als ein Mittel, das
leicht anzuwenden ist und weder Thatkraft noch Entschlossenheit bedarf,

Es gibt übrigens Fälle von Brandstiftung durch Geisteskranke, der ganz
andere krankhafte Motive zu Grund liegen. Jonathan Martin, der die Cathedrale
von York anzündete, war kein Schwermüthiger, sondern offenbar ein chronisch
Verrückter, der durch Hallucinationen veranlasst, „das Haus des Herrn von
unwürdigen Priestern reinigen“ wollte. Es ist eine nothwendige, üble Folge

*) Vgl. die reichhaltige deutsche Literatur über diesen Gegenstand, von Osian-
der, Henke, Meckel, Masius, Flemming, Mayer, Hettich etc.
**) Theils Rache, theils bübische Lust an Unfug, theils und zwar am häu-
figsten, die Absicht, durch Zerstörung einer Wohnung ein widerwillig ertragenes
Dienstverhältniss aufzulösen und wieder nach Hause zu kommen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0220" n="206"/>
              <fw place="top" type="header">Schwermuth mit Neigung zum Zerstören.</fw><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 106.</head><lb/>
                <p>An die eben besprochenen Antriebe reihen sich die krankhaften<lb/>
Neigungen zur <hi rendition="#g">Zerstörung lebloser Objecte</hi> bei Schwermüthigen<lb/>
an, die sich an Allem, was den Kranken umgibt, äussern können.<lb/>
Die Fälle, wo die That in Brandstiftung besteht, wurden als eine eigene<lb/>
Monomanie, die s. g. <hi rendition="#g">Pyromanie</hi> beschrieben und erörtert &#x2014; eine<lb/>
äusserliche Art der Zusammenstellung (Vgl. p. 62), die wenigstens<lb/>
den Vortheil einer vorläufigen Fixirung des Gegenstandes hatte. <note place="foot" n="*)">Vgl. die reichhaltige deutsche Literatur über diesen Gegenstand, von Osian-<lb/>
der, Henke, Meckel, Masius, Flemming, Mayer, Hettich etc.</note></p><lb/>
                <p>Wenn man unter den bekannt gewordenen Beobachtungen hier-<lb/>
über alle die, unstreitig die Mehrzahl bildenden Fälle ausschliesst,<lb/>
wo offenbar egoistische Motive <note place="foot" n="**)">Theils Rache, theils bübische Lust an Unfug, theils und zwar am häu-<lb/>
figsten, die Absicht, durch Zerstörung einer Wohnung ein widerwillig ertragenes<lb/>
Dienstverhältniss aufzulösen und wieder nach Hause zu kommen.</note> die Hand des Brandstifters leiteten,<lb/>
so bleibt allerdings noch eine Anzahl anderer übrig, wo die That des<lb/>
Feueranlegens in entschieden schwermüthigem (namentlich nostal-<lb/>
gischem) Zustande, oft unter Begleitung auffallender und wichtiger<lb/>
körperlicher Störungen &#x2014; besonders Störungen der sexuellen Ent-<lb/>
wicklung &#x2014; begangen ward. Der krankhafte Antrieb entwickelt sich<lb/>
hier ebenso, wie bei den im vorigen §. betrachteten Mordimpulsen.<lb/>
Die innere Angst, die allgemeine Verstörung durch den krankhaft<lb/>
gesetzten Affect treibt dazu, nicht etwa, wie schon gesagt wurde<lb/>
(Masius), durch den Anblick einer grossen Flamme jene Angst zu<lb/>
dämpfen, sondern nur <hi rendition="#g">überhaupt</hi> durch <hi rendition="#g">irgend eine</hi> äussere That<lb/>
von negativem, zerstörenden Character, sich der Verstimmung zu ent-<lb/>
äussern und damit zur Ruhe zu gelangen. Die specielle Richtung<lb/>
dieses Triebs auf Brandlegung kommt eben daher, dass sich den<lb/>
Individuen, bei denen er bisher ausschliesslich beobachtet wurde,<lb/>
nemlich jungen Leuten, namentlich jungen, weiblichen Dienstboten,<lb/>
das Feuer, mit dem sie auch sonst viel umzugehen haben, als nächstes<lb/>
Mittel zur Befriedigung jenes Antriebs darbietet, als ein Mittel, das<lb/>
leicht anzuwenden ist und weder Thatkraft noch Entschlossenheit bedarf,</p><lb/>
                <p>Es gibt übrigens Fälle von Brandstiftung durch Geisteskranke, der ganz<lb/>
andere krankhafte Motive zu Grund liegen. Jonathan Martin, der die Cathedrale<lb/>
von York anzündete, war kein Schwermüthiger, sondern offenbar ein chronisch<lb/>
Verrückter, der durch Hallucinationen veranlasst, &#x201E;das Haus des Herrn von<lb/>
unwürdigen Priestern reinigen&#x201C; wollte. Es ist eine nothwendige, üble Folge<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0220] Schwermuth mit Neigung zum Zerstören. §. 106. An die eben besprochenen Antriebe reihen sich die krankhaften Neigungen zur Zerstörung lebloser Objecte bei Schwermüthigen an, die sich an Allem, was den Kranken umgibt, äussern können. Die Fälle, wo die That in Brandstiftung besteht, wurden als eine eigene Monomanie, die s. g. Pyromanie beschrieben und erörtert — eine äusserliche Art der Zusammenstellung (Vgl. p. 62), die wenigstens den Vortheil einer vorläufigen Fixirung des Gegenstandes hatte. *) Wenn man unter den bekannt gewordenen Beobachtungen hier- über alle die, unstreitig die Mehrzahl bildenden Fälle ausschliesst, wo offenbar egoistische Motive **) die Hand des Brandstifters leiteten, so bleibt allerdings noch eine Anzahl anderer übrig, wo die That des Feueranlegens in entschieden schwermüthigem (namentlich nostal- gischem) Zustande, oft unter Begleitung auffallender und wichtiger körperlicher Störungen — besonders Störungen der sexuellen Ent- wicklung — begangen ward. Der krankhafte Antrieb entwickelt sich hier ebenso, wie bei den im vorigen §. betrachteten Mordimpulsen. Die innere Angst, die allgemeine Verstörung durch den krankhaft gesetzten Affect treibt dazu, nicht etwa, wie schon gesagt wurde (Masius), durch den Anblick einer grossen Flamme jene Angst zu dämpfen, sondern nur überhaupt durch irgend eine äussere That von negativem, zerstörenden Character, sich der Verstimmung zu ent- äussern und damit zur Ruhe zu gelangen. Die specielle Richtung dieses Triebs auf Brandlegung kommt eben daher, dass sich den Individuen, bei denen er bisher ausschliesslich beobachtet wurde, nemlich jungen Leuten, namentlich jungen, weiblichen Dienstboten, das Feuer, mit dem sie auch sonst viel umzugehen haben, als nächstes Mittel zur Befriedigung jenes Antriebs darbietet, als ein Mittel, das leicht anzuwenden ist und weder Thatkraft noch Entschlossenheit bedarf, Es gibt übrigens Fälle von Brandstiftung durch Geisteskranke, der ganz andere krankhafte Motive zu Grund liegen. Jonathan Martin, der die Cathedrale von York anzündete, war kein Schwermüthiger, sondern offenbar ein chronisch Verrückter, der durch Hallucinationen veranlasst, „das Haus des Herrn von unwürdigen Priestern reinigen“ wollte. Es ist eine nothwendige, üble Folge *) Vgl. die reichhaltige deutsche Literatur über diesen Gegenstand, von Osian- der, Henke, Meckel, Masius, Flemming, Mayer, Hettich etc. **) Theils Rache, theils bübische Lust an Unfug, theils und zwar am häu- figsten, die Absicht, durch Zerstörung einer Wohnung ein widerwillig ertragenes Dienstverhältniss aufzulösen und wieder nach Hause zu kommen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/220
Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/220>, abgerufen am 21.12.2024.