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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Reichskanzler Wirth

naht, je martialischer du uns Gesichter schneidest, desto sicherer der fiir dich
bedeutungsvolle Augenblick, daß das Volk, dem du den Haß gelehrt hast, anfängt,
über dich zu lächeln.


III.

Aber lächle nicht zu früh, mein Voltl Bedenke, daß du noch nie in deiner
Geschichte es verstanden hast, ohne großen Führer eine Situation zu gestalten.
Vor dem Krieg warst du Neuling in Weltpolitik. Äußerlich warst du stark genug
dafür, aber eS fehlte dir der Instinkt der Engländer. Jetzt bist du Neuling im
nationalen Daseinskampf, und es fehlt dir der Instinkt der Iren. Die Lektion
ist groß, aber wo sind deine Devaleras? Wo ist dein Dubliner Parlament, in
dem es nicht Arbeiter, nicht Besitzer gibt, sondern nur Iren? Es sind noch nicht
drei Jahre her, da standen unsere Krieger im Feld. Drei Jahre haben nicht
genügt, um uns die Manneszucht des Friedens zu lehren. Vor drei Jahren
wehte über Sedan die Fahne der Deutschen; aber sie mit Würde einzurollen,
haben wir noch kaum gelernt.

In der Welt -hat sich etwas geändert seit einem Jahr. Aber die wirkliche
Änderung kommt nicht von außen, sie beginnt daheim. Die Naben flattern noch
um den Berg. Wir wollen übers Jahr wieder Ausschau halten, und die Geduld
nicht verlieren.




Reichskanzler Wirth
v einem württembergischen Staatsbürger on

üben hat dem Reich in der letzten Zeit vier Reichskanzler geschenkt:
Prinz Max. Müller-Franken (er stammt aus Mannheim), Fehrenbach
und Wirth. Es sind Vertreter der seit der Revolution im Reich
herrschenden "Koalitionsparteien". Der Vorgeschichte des jüngsten
dieser Kanzler mögen hier einige Mitteilungen gewidmet werden.

Wirth zeichnet sich zweifellos durch großen Fleiß aus. Nachdem er
Mathematik und Naturwissenschaften studiert hatte und Realgymnasiallehrer in
Freiburg i. B. geworden war, hat er noch juristische und nationalökonomische
Vorlesungen fleißig gehört, schon mit dem Gedanken, dadurch als Politiker besser
ausgerüstet zu sein. Seinem Fleiß, der fleißigen Agitation, aber auch der höheren
Polnischen Arbeit, verdankt er zum großen Teil seinen Einfluß in der Zentrums-
Partei. Vor dem Krieg trat er als erfolgreicher badischer Landtags- und
Reichstaciskandidat auf. In Baden bekämpfte das Zentrum damals den Großblock.
Mau sollte heute die damaligen Reden der basischen Zenlrumspolitiker, zum


IV
Reichskanzler Wirth

naht, je martialischer du uns Gesichter schneidest, desto sicherer der fiir dich
bedeutungsvolle Augenblick, daß das Volk, dem du den Haß gelehrt hast, anfängt,
über dich zu lächeln.


III.

Aber lächle nicht zu früh, mein Voltl Bedenke, daß du noch nie in deiner
Geschichte es verstanden hast, ohne großen Führer eine Situation zu gestalten.
Vor dem Krieg warst du Neuling in Weltpolitik. Äußerlich warst du stark genug
dafür, aber eS fehlte dir der Instinkt der Engländer. Jetzt bist du Neuling im
nationalen Daseinskampf, und es fehlt dir der Instinkt der Iren. Die Lektion
ist groß, aber wo sind deine Devaleras? Wo ist dein Dubliner Parlament, in
dem es nicht Arbeiter, nicht Besitzer gibt, sondern nur Iren? Es sind noch nicht
drei Jahre her, da standen unsere Krieger im Feld. Drei Jahre haben nicht
genügt, um uns die Manneszucht des Friedens zu lehren. Vor drei Jahren
wehte über Sedan die Fahne der Deutschen; aber sie mit Würde einzurollen,
haben wir noch kaum gelernt.

In der Welt -hat sich etwas geändert seit einem Jahr. Aber die wirkliche
Änderung kommt nicht von außen, sie beginnt daheim. Die Naben flattern noch
um den Berg. Wir wollen übers Jahr wieder Ausschau halten, und die Geduld
nicht verlieren.




Reichskanzler Wirth
v einem württembergischen Staatsbürger on

üben hat dem Reich in der letzten Zeit vier Reichskanzler geschenkt:
Prinz Max. Müller-Franken (er stammt aus Mannheim), Fehrenbach
und Wirth. Es sind Vertreter der seit der Revolution im Reich
herrschenden „Koalitionsparteien". Der Vorgeschichte des jüngsten
dieser Kanzler mögen hier einige Mitteilungen gewidmet werden.

Wirth zeichnet sich zweifellos durch großen Fleiß aus. Nachdem er
Mathematik und Naturwissenschaften studiert hatte und Realgymnasiallehrer in
Freiburg i. B. geworden war, hat er noch juristische und nationalökonomische
Vorlesungen fleißig gehört, schon mit dem Gedanken, dadurch als Politiker besser
ausgerüstet zu sein. Seinem Fleiß, der fleißigen Agitation, aber auch der höheren
Polnischen Arbeit, verdankt er zum großen Teil seinen Einfluß in der Zentrums-
Partei. Vor dem Krieg trat er als erfolgreicher badischer Landtags- und
Reichstaciskandidat auf. In Baden bekämpfte das Zentrum damals den Großblock.
Mau sollte heute die damaligen Reden der basischen Zenlrumspolitiker, zum


IV
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[0273] Reichskanzler Wirth naht, je martialischer du uns Gesichter schneidest, desto sicherer der fiir dich bedeutungsvolle Augenblick, daß das Volk, dem du den Haß gelehrt hast, anfängt, über dich zu lächeln. III. Aber lächle nicht zu früh, mein Voltl Bedenke, daß du noch nie in deiner Geschichte es verstanden hast, ohne großen Führer eine Situation zu gestalten. Vor dem Krieg warst du Neuling in Weltpolitik. Äußerlich warst du stark genug dafür, aber eS fehlte dir der Instinkt der Engländer. Jetzt bist du Neuling im nationalen Daseinskampf, und es fehlt dir der Instinkt der Iren. Die Lektion ist groß, aber wo sind deine Devaleras? Wo ist dein Dubliner Parlament, in dem es nicht Arbeiter, nicht Besitzer gibt, sondern nur Iren? Es sind noch nicht drei Jahre her, da standen unsere Krieger im Feld. Drei Jahre haben nicht genügt, um uns die Manneszucht des Friedens zu lehren. Vor drei Jahren wehte über Sedan die Fahne der Deutschen; aber sie mit Würde einzurollen, haben wir noch kaum gelernt. In der Welt -hat sich etwas geändert seit einem Jahr. Aber die wirkliche Änderung kommt nicht von außen, sie beginnt daheim. Die Naben flattern noch um den Berg. Wir wollen übers Jahr wieder Ausschau halten, und die Geduld nicht verlieren. Reichskanzler Wirth v einem württembergischen Staatsbürger on üben hat dem Reich in der letzten Zeit vier Reichskanzler geschenkt: Prinz Max. Müller-Franken (er stammt aus Mannheim), Fehrenbach und Wirth. Es sind Vertreter der seit der Revolution im Reich herrschenden „Koalitionsparteien". Der Vorgeschichte des jüngsten dieser Kanzler mögen hier einige Mitteilungen gewidmet werden. Wirth zeichnet sich zweifellos durch großen Fleiß aus. Nachdem er Mathematik und Naturwissenschaften studiert hatte und Realgymnasiallehrer in Freiburg i. B. geworden war, hat er noch juristische und nationalökonomische Vorlesungen fleißig gehört, schon mit dem Gedanken, dadurch als Politiker besser ausgerüstet zu sein. Seinem Fleiß, der fleißigen Agitation, aber auch der höheren Polnischen Arbeit, verdankt er zum großen Teil seinen Einfluß in der Zentrums- Partei. Vor dem Krieg trat er als erfolgreicher badischer Landtags- und Reichstaciskandidat auf. In Baden bekämpfte das Zentrum damals den Großblock. Mau sollte heute die damaligen Reden der basischen Zenlrumspolitiker, zum IV

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/273>, abgerufen am 24.07.2024.