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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Bücherschau

Vücherschau
Schöne Literatur II

[Beginn Spaltensatz]
Otto Krmiß, Der Tod im Brokat. Zwei
Dichtungen aus der Renaissancezeit.
München 1920. Drei Masken-Verlag.

ES ist eigentümlich, daß die in der
Schilderung des Wollüstig-Grausamen sich
gefallenden Schriftsteller sich so gern in die
Zeit der Hochrenaissance verlieren. Die beiden
Novellen führen uns fürstliche Menschen an
den verruchten Höfen des Malatesta und des
Papstes Alexander Borgia vor und schmücken
sich mit dem Reiz Poetischer, oft dunkler
Sprache, die den Sinnenrausch verschleiern
soll, aber die sadistische Lust schlägt uns doch
so grell entgegen, daß man den ästhetischen
Schein nicht immer in seiner Reinheit ab¬
lösen kann, trotzdem die Schwermut des
Todes die Gebilde durchzittert.

Paul Burg, Andreas und Maria. Roman.
Geh. M.2S.--, geb. M. 30.--. Verlag
Friedrich Kortkamp, Langensalza.

Andreas und Maria ist ein Bauernpaar
von echt deutscher Art, arbeitet sich aus
kleinsten Anfängen empor und weiß den
Kindern das Erbe durch alle Zeitnöte und
Kriegsläufe zu bewahren, bis schließlich in
der dritten Generation der Verfall herein¬
bricht. Doch im Enkel noch lebt der Geist
des tätigen Ahnen; wieder führt ein junges
Paar Andreas und Maria empor zu froher
Zukunft. Vom Recht des deutschen Bodens,
von Siedlung, von wahren und falschen
Ackergesetzcn ist hier zu lesen, was erschüttert
und ausrüttelt. Durch keine Revolution um¬
zubringender deutscher Geist lehrt hier Auf¬
bau am lebendigen Acker, an mutigen
Menschen.

Robert Snudcck, Diplomaten. München.
192t. Drei Masken-Verlag. Geh. M. 26,
geb. M. 32.

Ein graphologischer Roman, der Menschen¬
tum und Charakter allein aus der Hand¬
schrift herauslesen will, von einem hollän¬
dischen Verfasser geschrieben. Eine junge
protestantische Böhmin, die als Sekretärin
des halbblinden, schwerleidenden Grafen
Gall im Haag während der Kriegszeit in

[Spaltenumbruch]

die schwierige Lehre der Handschriftenkunde
eingeweiht wird, steht im Mittelpunkt der
fesselnden Erzählung. Der Graf ist ein
Seher, im Transzendenten wurzelnd, über
alle Vorurteile erhaben. Das Weltgeschehen
wertet er nicht nach den gebräuchlichen Ge¬
sichtspunkten des Erfolgs und Mißerfolgs.
An seiner Seite wächst Maria, die auch von
dem weisen Chinesen als Inkarnation see¬
lischer Reinheit erkannt wird ebenso wie von
dem böhmischen hochgeborenen Prinzen
Loudon, der sie zur Gemahlin begehrt, zur
vollwertigsten Graphologin heran. In Masaryk
will sie -- aus seiner Handschrift -- die
ganz ohne Eitelkeit, nur der hehren Sache der
Befreiung der Tschechen hingegebene Persön¬
lichkeit erkannt daherumb geht nach dem Tode
des Grafen, dessen reiche Erbin sie geworden
ist, in die Heimat, aufs Land, zurück, zu¬
nächst auf jeden Genutz der Geldmittel ver¬
zichtend. "Ich will die Menschen suchen, die
säen wollen, nicht die, die mit der Ernte
schachern. ..." Den Preußen ist der hol¬
ländische Verfasser wenig zugetan. Luden-
dorff kriegt ein schlechtes Zeugnis, er ist
nur eine Organisationsmaschine, die Hinden-
burg, der sonst besser abschneidet, zwischen
seine Walzen bekommen hat. Von einem
Preußen heißt es nach der Handschriften-
Prüfung: "Empfindet eine beinahe sinnliche
Lust an seiner Macht. Also echter Preuße."
Wenn es wahr wäre, daß die Graphologie
die innersten Eigenschaften der Seele ent¬
hüllen könnte, bliebe nichts als die Flucht
in die Schreibmaschine übrig, denn die
Schleier und Masken, die unser Innerstes
verhüllen sollen, dürfen nicht alle weggerissen
werden. Das hohle Treiben der Diplomatie,
von der freilich nur die deutschen und öster¬
reichischen Vertreter zur Darstellung kommen
und von denen die deutschen nach Ansicht
des Verfassers am wenigsten in der Psycho¬
logie erfahren, dagegen stark in der Samm¬
lung des Tatsachenmaterials sind, wird
schonungslos gegeißelt. Ein Roman, der sehr
nachdenklich stimmt und dazu lockt, oft der
These eine Antithese gegenüberzustellen, ernst

[Ende Spaltensatz]
Bücherschau

Vücherschau
Schöne Literatur II

[Beginn Spaltensatz]
Otto Krmiß, Der Tod im Brokat. Zwei
Dichtungen aus der Renaissancezeit.
München 1920. Drei Masken-Verlag.

ES ist eigentümlich, daß die in der
Schilderung des Wollüstig-Grausamen sich
gefallenden Schriftsteller sich so gern in die
Zeit der Hochrenaissance verlieren. Die beiden
Novellen führen uns fürstliche Menschen an
den verruchten Höfen des Malatesta und des
Papstes Alexander Borgia vor und schmücken
sich mit dem Reiz Poetischer, oft dunkler
Sprache, die den Sinnenrausch verschleiern
soll, aber die sadistische Lust schlägt uns doch
so grell entgegen, daß man den ästhetischen
Schein nicht immer in seiner Reinheit ab¬
lösen kann, trotzdem die Schwermut des
Todes die Gebilde durchzittert.

Paul Burg, Andreas und Maria. Roman.
Geh. M.2S.—, geb. M. 30.—. Verlag
Friedrich Kortkamp, Langensalza.

Andreas und Maria ist ein Bauernpaar
von echt deutscher Art, arbeitet sich aus
kleinsten Anfängen empor und weiß den
Kindern das Erbe durch alle Zeitnöte und
Kriegsläufe zu bewahren, bis schließlich in
der dritten Generation der Verfall herein¬
bricht. Doch im Enkel noch lebt der Geist
des tätigen Ahnen; wieder führt ein junges
Paar Andreas und Maria empor zu froher
Zukunft. Vom Recht des deutschen Bodens,
von Siedlung, von wahren und falschen
Ackergesetzcn ist hier zu lesen, was erschüttert
und ausrüttelt. Durch keine Revolution um¬
zubringender deutscher Geist lehrt hier Auf¬
bau am lebendigen Acker, an mutigen
Menschen.

Robert Snudcck, Diplomaten. München.
192t. Drei Masken-Verlag. Geh. M. 26,
geb. M. 32.

Ein graphologischer Roman, der Menschen¬
tum und Charakter allein aus der Hand¬
schrift herauslesen will, von einem hollän¬
dischen Verfasser geschrieben. Eine junge
protestantische Böhmin, die als Sekretärin
des halbblinden, schwerleidenden Grafen
Gall im Haag während der Kriegszeit in

[Spaltenumbruch]

die schwierige Lehre der Handschriftenkunde
eingeweiht wird, steht im Mittelpunkt der
fesselnden Erzählung. Der Graf ist ein
Seher, im Transzendenten wurzelnd, über
alle Vorurteile erhaben. Das Weltgeschehen
wertet er nicht nach den gebräuchlichen Ge¬
sichtspunkten des Erfolgs und Mißerfolgs.
An seiner Seite wächst Maria, die auch von
dem weisen Chinesen als Inkarnation see¬
lischer Reinheit erkannt wird ebenso wie von
dem böhmischen hochgeborenen Prinzen
Loudon, der sie zur Gemahlin begehrt, zur
vollwertigsten Graphologin heran. In Masaryk
will sie — aus seiner Handschrift — die
ganz ohne Eitelkeit, nur der hehren Sache der
Befreiung der Tschechen hingegebene Persön¬
lichkeit erkannt daherumb geht nach dem Tode
des Grafen, dessen reiche Erbin sie geworden
ist, in die Heimat, aufs Land, zurück, zu¬
nächst auf jeden Genutz der Geldmittel ver¬
zichtend. „Ich will die Menschen suchen, die
säen wollen, nicht die, die mit der Ernte
schachern. ..." Den Preußen ist der hol¬
ländische Verfasser wenig zugetan. Luden-
dorff kriegt ein schlechtes Zeugnis, er ist
nur eine Organisationsmaschine, die Hinden-
burg, der sonst besser abschneidet, zwischen
seine Walzen bekommen hat. Von einem
Preußen heißt es nach der Handschriften-
Prüfung: „Empfindet eine beinahe sinnliche
Lust an seiner Macht. Also echter Preuße."
Wenn es wahr wäre, daß die Graphologie
die innersten Eigenschaften der Seele ent¬
hüllen könnte, bliebe nichts als die Flucht
in die Schreibmaschine übrig, denn die
Schleier und Masken, die unser Innerstes
verhüllen sollen, dürfen nicht alle weggerissen
werden. Das hohle Treiben der Diplomatie,
von der freilich nur die deutschen und öster¬
reichischen Vertreter zur Darstellung kommen
und von denen die deutschen nach Ansicht
des Verfassers am wenigsten in der Psycho¬
logie erfahren, dagegen stark in der Samm¬
lung des Tatsachenmaterials sind, wird
schonungslos gegeißelt. Ein Roman, der sehr
nachdenklich stimmt und dazu lockt, oft der
These eine Antithese gegenüberzustellen, ernst

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[0268] Bücherschau Vücherschau Schöne Literatur II Otto Krmiß, Der Tod im Brokat. Zwei Dichtungen aus der Renaissancezeit. München 1920. Drei Masken-Verlag. ES ist eigentümlich, daß die in der Schilderung des Wollüstig-Grausamen sich gefallenden Schriftsteller sich so gern in die Zeit der Hochrenaissance verlieren. Die beiden Novellen führen uns fürstliche Menschen an den verruchten Höfen des Malatesta und des Papstes Alexander Borgia vor und schmücken sich mit dem Reiz Poetischer, oft dunkler Sprache, die den Sinnenrausch verschleiern soll, aber die sadistische Lust schlägt uns doch so grell entgegen, daß man den ästhetischen Schein nicht immer in seiner Reinheit ab¬ lösen kann, trotzdem die Schwermut des Todes die Gebilde durchzittert. Paul Burg, Andreas und Maria. Roman. Geh. M.2S.—, geb. M. 30.—. Verlag Friedrich Kortkamp, Langensalza. Andreas und Maria ist ein Bauernpaar von echt deutscher Art, arbeitet sich aus kleinsten Anfängen empor und weiß den Kindern das Erbe durch alle Zeitnöte und Kriegsläufe zu bewahren, bis schließlich in der dritten Generation der Verfall herein¬ bricht. Doch im Enkel noch lebt der Geist des tätigen Ahnen; wieder führt ein junges Paar Andreas und Maria empor zu froher Zukunft. Vom Recht des deutschen Bodens, von Siedlung, von wahren und falschen Ackergesetzcn ist hier zu lesen, was erschüttert und ausrüttelt. Durch keine Revolution um¬ zubringender deutscher Geist lehrt hier Auf¬ bau am lebendigen Acker, an mutigen Menschen. Robert Snudcck, Diplomaten. München. 192t. Drei Masken-Verlag. Geh. M. 26, geb. M. 32. Ein graphologischer Roman, der Menschen¬ tum und Charakter allein aus der Hand¬ schrift herauslesen will, von einem hollän¬ dischen Verfasser geschrieben. Eine junge protestantische Böhmin, die als Sekretärin des halbblinden, schwerleidenden Grafen Gall im Haag während der Kriegszeit in die schwierige Lehre der Handschriftenkunde eingeweiht wird, steht im Mittelpunkt der fesselnden Erzählung. Der Graf ist ein Seher, im Transzendenten wurzelnd, über alle Vorurteile erhaben. Das Weltgeschehen wertet er nicht nach den gebräuchlichen Ge¬ sichtspunkten des Erfolgs und Mißerfolgs. An seiner Seite wächst Maria, die auch von dem weisen Chinesen als Inkarnation see¬ lischer Reinheit erkannt wird ebenso wie von dem böhmischen hochgeborenen Prinzen Loudon, der sie zur Gemahlin begehrt, zur vollwertigsten Graphologin heran. In Masaryk will sie — aus seiner Handschrift — die ganz ohne Eitelkeit, nur der hehren Sache der Befreiung der Tschechen hingegebene Persön¬ lichkeit erkannt daherumb geht nach dem Tode des Grafen, dessen reiche Erbin sie geworden ist, in die Heimat, aufs Land, zurück, zu¬ nächst auf jeden Genutz der Geldmittel ver¬ zichtend. „Ich will die Menschen suchen, die säen wollen, nicht die, die mit der Ernte schachern. ..." Den Preußen ist der hol¬ ländische Verfasser wenig zugetan. Luden- dorff kriegt ein schlechtes Zeugnis, er ist nur eine Organisationsmaschine, die Hinden- burg, der sonst besser abschneidet, zwischen seine Walzen bekommen hat. Von einem Preußen heißt es nach der Handschriften- Prüfung: „Empfindet eine beinahe sinnliche Lust an seiner Macht. Also echter Preuße." Wenn es wahr wäre, daß die Graphologie die innersten Eigenschaften der Seele ent¬ hüllen könnte, bliebe nichts als die Flucht in die Schreibmaschine übrig, denn die Schleier und Masken, die unser Innerstes verhüllen sollen, dürfen nicht alle weggerissen werden. Das hohle Treiben der Diplomatie, von der freilich nur die deutschen und öster¬ reichischen Vertreter zur Darstellung kommen und von denen die deutschen nach Ansicht des Verfassers am wenigsten in der Psycho¬ logie erfahren, dagegen stark in der Samm¬ lung des Tatsachenmaterials sind, wird schonungslos gegeißelt. Ein Roman, der sehr nachdenklich stimmt und dazu lockt, oft der These eine Antithese gegenüberzustellen, ernst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/268>, abgerufen am 04.07.2024.